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VwGH vom 04.06.2009, 2008/18/0278

VwGH vom 04.06.2009, 2008/18/0278

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der K N, geboren am , vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/96096/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe bereits am einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt, welcher am "abgelehnt" worden sei. Am sei sie wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich festgenommen worden. Bei ihren Vernehmungen am 25. und habe sie diesbezüglich angegeben, gemeinsam mit ihren beiden Kindern und einem vom bis gültigen Visum am legal in das Bundesgebiet eingereist, aber nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums unrechtmäßig hier geblieben zu sein. Ihr Ehemann wäre in "Jugoslawien" geblieben, während sie mit den Kindern zu dessen Eltern (also ihren Schwiegereltern) in W gezogen wäre, wo sie sich jedoch nicht behördlich angemeldet hätte.

Mit Bescheid vom sei gegen die Beschwerdeführerin wegen deren Mittellosigkeit ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes (bis gültiges) Aufenthaltsverbot erlassen und per die Abschiebung durchgeführt worden.

Am sei bei der Erstbehörde (Bundespolizeidirektion Wien) ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes mit der Begründung eingelangt, dass der Stiefvater der Beschwerdeführerin (A.) dänischer Staatsangehöriger sei.

Laut ihrer Stellungnahme vom habe die Beschwerdeführerin mit dem Ehepaar A. im August 2004 eine näher genannte Wohnung in W bezogen. Am habe die Beschwerdeführerin angegeben, im Sommer 2005 mit ihren beiden Kindern "im 9. Bezirk (von W) gegangen" zu sein und dort eine namentlich bekannte Frau getroffen zu haben, die sie dann monatelang in unregelmäßigen Abständen besucht hätte. Auch daraus ergebe sich, dass sich die Beschwerdeführerin trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes in Österreich aufgehalten habe.

Die Ehe der Beschwerdeführerin sei am rechtskräftig geschieden worden.

Am habe die Beschwerdeführerin u.a. angegeben, dass sie seit mehr als vier Jahren von ihrem Stiefvater mit EUR 500 bis EUR 700,-- monatlich unterstützt würde, wobei es sich jeweils um Barzahlungen handelte. Außerdem bekäme sie noch Geld für Lebensmittel.

Ihr Stiefvater, A., habe als Zeuge am u. a. angegeben, dass sich seine Lebensinteressen und die seiner Ehegattin, der Mutter der Beschwerdeführerin, von 1990 bis 1992 in Dänemark und danach in Deutschland befunden hätten. Seine Ehegattin und er hätten im Jahr 2002 in W eine Wohnung gemietet und für "Besucherzwecke" einen Zweitwohnsitz begründet. Der Mittelpunkt seiner eigenen Lebensinteressen läge noch in Deutschland. Die Beschwerdeführerin wäre, außer zu kurzfristigen Besuchen, noch nie in Deutschland gewesen.

Die Mutter der Beschwerdeführerin, R., habe am sinngemäß die Angaben ihres Ehemannes bestätigt.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom sei der Beschwerdeführerin die behördliche Rechtsmeinung bekannt gegeben worden, dass sie (die Beschwerdeführerin) keine begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG wäre, weil sie sich bereits seit 2002/2003 im Bundesgebiet aufhielte und ihren Stiefvater weder nach Österreich begleitet hätte, noch ihm nachgezogen wäre.

In der daraufhin ergangenen Stellungnahme vom habe die Beschwerdeführerin die behördliche Annahme, dass sie sich seit 2002 durchgehend in Österreich aufgehalten habe, bestätigt. Sie wäre auf Grund eines vom 24. Oktober bis gültigem Visums zunächst zu ihrem Stiefvater nach Dänemark und anschließend nach W gezogen. Sie beabsichtigte, eine humanitäre Anregung nach § 72 NAG zu initiieren. Einen gültigen Aufenthaltstitel für die Zeit ab dem habe sie nicht nachgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass sich die Beschwerdeführerin im Zeitraum 1990 bis 2002 zeitweise in Österreich aufgehalten habe, wobei sich aus dem Akt nicht ableiten lasse, inwieweit diese Aufenthalte legal gewesen seien. Vom bis zu ihrer Festnahme am habe sie sich unrechtmäßig hier aufgehalten. Im Oktober/November 2002 sei sie auf Grund eines ihr trotz des gegen sie verhängten Aufenthaltsverbotes ausgestellten Schengen-Visums wieder in Österreich eingereist und halte sich seither ohne Aufenthaltstitel durchgehend hier auf.

In weiterer Folge vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei, § 66 Abs. 1 FPG deren Ausweisung - trotz deren bereits sehr lange Zeit währenden Aufenthaltes und der beachtlichen beruflichen und familiären Bindungen im Bundesgebiet - nicht entgegenstehe, besondere Umstände, die eine positive Ermessensübung zulassen würden, weder erkannt, noch vorgebracht worden seien und die Beschwerdeführerin der im Schreiben der belangten Behörde vom vertretenen Rechtsauffassung, dass sie keine begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG sei, weil sie ihren Stiefvater weder nach Österreich begleitet habe, noch ihm hierher nachgezogen sei, nicht entgegengetreten sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bringt u.a. vor, dass sich die belangte Behörde eingehend mit den familiären Verhältnissen der Beschwerdeführerin hätte auseinandersetzen müssen. Nicht nur, dass die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem minderjährigen Kind im Bundesgebiet lebe, sei sie auch Angehörige eines EU-Bürgers, zumal ihr Vater eine dänisch-deutsche Doppelstaatsbürgerschaft innehabe und seine Tochter darüber hinaus auch finanziell unterstütze.

2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

2.1. Nach Ausweis der Verwaltungsakten veranlasste die belangte Behörde im Berufungsverfahren Ermittlungen zur Frage, ob der Beschwerdeführerin im Hinblick darauf, dass sie die Stieftochter eines EWR-Bürgers (dänischen Staatsangehörigen) sei, der "wahrscheinlich" sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe, von diesem tatsächlich Unterhalt gewährt werde (vgl. das Schreiben der belangten Behörde an die Erstbehörde vom ). Der zu dieser Frage vernommene Stiefvater A. und die Beschwerdeführerin gaben vor der Erstbehörde am diesbezüglich übereinstimmend an, dass sie von A. seit mehr als vier Jahren finanziell unterstützt werde, wobei sich diese Unterstützungen auf einen Bargeldbetrag von ca. EUR 500,-- bis EUR 700,-- monatlich beliefen, und sie außerdem noch zusätzlich Geld für Lebensmittel erhalten habe, was in der monatlichen Unterstützung noch nicht berücksichtigt sei. Bei seiner weiteren Vernehmung am gab A. vor der Erstbehörde an, dass er beruflich Fernfahrer sei und seine Fahrten quer durch Europa gingen. Zwar liege der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen noch in Deutschland, für die Zeit seines Aufenthaltes in Österreich habe er jedoch ein weiteres Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen begründet, in dem auch die Beschwerdeführerin beschäftigt sei.

Die belangte Behörde hielt mit Schreiben vom diese Angaben und ihre Auffassung, dass nach den bisherigen Verfahrensergebnissen klargestellt erscheine, dass die Beschwerdeführerin keine begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG sei, der Beschwerdeführerin vor. Dazu führte die belangte Behörde in dem genannten Schreiben aus, es könne dahingestellt bleiben, ob die "Ankerperson" (der Stiefvater der Beschwerdeführerin) sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe, zumal dies frühestens mit seiner Beschäftigungsaufnahme in Österreich, also im Februar 2007, der Fall sein könnte. Die Beschwerdeführerin habe ihn jedenfalls weder begleitet, noch sei sie ihm nachgezogen, halte sie sich doch seit 2002/2003 im Bundesgebiet auf.

Daraufhin erstattete die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom im Berufungsverfahren eine weitere Stellungnahme, in der sie u.a. vorbrachte, dass sich ihre Eltern die meiste Zeit in Österreich aufhielten und sie sowohl moralisch als auch finanziell unterstützten.

2.2. Gemäß § 85 Abs. 1 FPG haben begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 11 FPG) das Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von drei Monaten, wobei sie jedoch der Sichtvermerkspflicht unterliegen, und besteht darüber hinaus ein Aufenthaltsrecht nach Maßgabe des 4. Hauptstückes des zweiten Teils des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG. Gemäß § 86 Abs. 2 FPG sind begünstigte Drittstaatsangehörige dann auszuweisen, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 1 NAG das Niederlassungsrecht fehlt.

§ 55 Abs 1 (erster Satz) NAG verweist (u.a.) auf das gemäß § 54 NAG dokumentierte Niederlassungsrecht.

Gemäß § 54 Abs. 1 (erster Satz) NAG sind Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51 NAG), die nicht EWR-Bürger sind und die die in § 52 Z. 1 bis 3 leg. cit. genannten Voraussetzungen erfüllen, zur Niederlassung berechtigt.

Gemäß § 52 Z. 2 NAG sind Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51 NAG), die selbst EWR-Bürger sind, zur Niederlassung berechtigt, wenn sie Verwandter des EWR-Bürgers oder seines Ehegatten in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sind.

Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG sind begünstigte Drittstaatsangehörige u.a. Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Eine Unterhaltsgewährung im Sinn dieser Bestimmung liegt nur vor, wenn der EWR-Bürger für alle erforderlichen, wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse des Drittstaatsangehörigen aufkommt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/18/0188, und vom , Zl. 2007/18/0558, mwN; ferner in diesem Zusammenhang auch das ,Yunying Jia gegen Migrationsverk).

Weitere Voraussetzung des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG ist nach dessen Wortlaut, dass der Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht. Die Wortfolge, "begleitet oder ihm nachzieht", ist wie die in der Richtlinie 2004/38/EG enthaltene, insoweit gleichlautende Wendung auszulegen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/18/0391, und vom , Zl. 2009/21/0027, mwH auf das , Metock u.a.).

In diesem Urteil hat der EuGH in Bezug auf die genannte Richtlinie ausgesprochen, dass es keine Rolle spielt, ob Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind und sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, vor oder nach dem Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind oder bevor oder nachdem sie Familienangehörige des Unionsbürgers geworden sind, wobei es auch nicht darauf ankommt, ob sich der betreffende Drittstaatsangehörige bereits rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat oder nicht (vgl. insbesondere RN 70 und 93 dieses Urteiles).

2.3. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die Auffassung vertreten, dass die Beschwerdeführerin bereits deshalb keine begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG sei, weil sie ihren Stiefvater (der unbestritten dänischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger ist) weder nach Österreich begleitet habe noch ihm hierher nachgezogen sei. Auf dem Boden der vorzitierten Judikatur hat sie mit dieser Auffassung jedoch die Rechtslage verkannt und auf Grund deren Verkennung keine Feststellungen darüber getroffen, ob sich der dänische Stiefvater der Beschwerdeführerin, der dem Schreiben der belangten Behörde vom zufolge (vgl. oben II.2.1.) im Februar 2007 in Österreich eine Beschäftigung aufgenommen hat, hier aufhält - diesbezüglich hat die die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren behauptet, dass er die meiste Zeit in Österreich aufhältig sei - und ob ihr von ihm der erforderliche Unterhalt tatsächlich gewährt wird, das heißt, er für ihre wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse aufkommt.

Sollte der Stiefvater der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides 33 Jahre alten Beschwerdeführerin im Rahmen seines gemeinschaftlichen Freizügigkeitsrechtes als EWR-Bürger - wie behauptet - in Österreich beschäftigt sein und sich mit ihr hier aufhalten sowie ihr materielle Unterstützung gewähren, die dazu ausreicht, alle wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse der Beschwerdeführerin zu bestreiten, dann hätte sie die Rechtsposition einer begünstigten Drittstaatsangehörigen im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG, sodass über die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 9 Abs. 1 FPG nicht die belangte Behörde, sondern der (für Wien zuständige) unabhängige Verwaltungssenat hätte entscheiden müssen.

3. Im Hinblick darauf war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
UAAAE-81124