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VwGH vom 09.12.2019, Ra 2019/02/0086

VwGH vom 09.12.2019, Ra 2019/02/0086

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der W in W, vertreten durch die Rohregger Scheibner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rotenturmstraße 17/15, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien jeweils vom , 1.) Zl. VGW- 042/063/224/2019/E-3 und 2.) Zl. VGW-042/063/225/2019/E-2, jeweils betreffend Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: ÖBB Personenverkehr AG in 1100 Wien, Am Hauptbahnhof 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.452,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte in diesen Rechtssachen wird auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2018/02/0107, 0108, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof die dort angefochtenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom und vom wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof sprach insbesondere aus, dass das der Revisionswerberin gemäß § 7 Abs. 1 Z 11, § 8 Abs. 1 Z 9 und § 11 Abs. 1 Z 1 und Z 2 iVm § 11 Abs. 3 Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) vorgeworfene Unterbleiben der Mitführung von Prüfbefunden als tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn zu qualifizieren sei. Fallbezogen seien somit keine Einzelstrafen pro beanstandeter Tür, sondern es sei nur eine (nach § 19 VStG entsprechend zu bemessende) Gesamtstrafe pro unterlassener Mitführung der Prüfbefunde am Einsatzort (dem Fahrzeug bzw. dem "Zug" in seiner jeweiligen Zusammensetzung) zu verhängen gewesen. Weiters führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in den angefochtenen Erkenntnissen Feststellungen dazu fehlten, welche und wieviele Fahrzeuge konkret vom Tatvorwurf betroffen gewesen seien. 2 Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen jeweils vom gab das Verwaltungsgericht den Beschwerden insoweit Folge, als es anstelle der verhängten 52 Geldstrafen von je EUR 560,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je ein Tag und neun Stunden) 14 Geldstrafen von je EUR 560,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je ein Tag und neun Stunden) (Zl. VGW-042/063/224/2019/E-3) bzw. anstelle der verhängten 16 Geldstrafen von je EUR 560,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je ein Tag und neun Stunden) vier Geldstrafen von je EUR 560,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je ein Tag und neun Stunden) (Zl. VGW- 042/063/225/2019/E-2) verhängte. Im Übrigen wies es die Beschwerden als unbegründet ab und bestätigte die angefochtenen Straferkenntnisse. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für unzulässig.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, es sei ergänzend festzustellen, dass die sieben R.-Garnituren mit den Nummern R. (...), R. (...), R. (...), R. (...), R. (...), R. (...) und R. (...), welche am überprüft worden seien (Zl. VGW-042/063/224/2019/E-3), bzw. die beiden R.-Garnituren mit den Nummern R. (...) und R. (...), welche am überprüft worden seien (Zl. VGW-042/063/225/2019/E-2), jeweils eine betrieblich untrennbare Einheit von sieben Fahrzeugen und einer Lokomotive darstellten, welche immer in derselben Garnitur zum Einsatz kämen.

4 In rechtlicher Hinsicht sei aufgrund der Bindungswirkung an die wesentlichen Aufhebungsgründe und die Rechtsansicht des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes eine Gesamtstrafe pro unterlassener Mitführung der Prüfbefunde am Einsatzort (dem Fahrzeug bzw. dem "Zug" in seiner jeweiligen Zusammensetzung) zu verhängen, "demnach für jeweils eine R.-Garnitur (vier bzw. zwei überprüfte Türen) je eine Gesamtstrafe pro unterlassener Mitführung der Prüfbefunde bzw. Kopien über die letzte Abnahmeprüfung sowie über die wiederkehrenden Prüfungen". In weiterer Folge begründete das Verwaltungsgericht die Höhe der verhängten Einzelstrafen.

5 Gegen diese Erkenntnisse wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision für zulässig erklären, eine mündliche Verhandlung durchführen, in der Sache selbst entscheiden bzw. in eventu die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben und der Revisionswerberin Kostenersatz zusprechen.

6 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und stellte den Antrag, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen bzw. allenfalls als unbegründet abzuweisen. 7 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten keine Revisionsbeantwortungen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen erwogen:

9 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der gegenständlichen Revision vor, das Verwaltungsgericht habe die Bindungswirkung des hg. Erkenntnisses missachtet und anders als der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass für jeweils eine R.- Garnitur (Waggon) je eine Gesamtstrafe zu verhängen sei. Gemäß der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes dürfe nur eine Strafe pro "Fahrzeug bzw. dem Zug in seiner jeweiligen Zusammensetzung" verhängt werden. Aus dieser Feststellung sei zweifelsfrei abzuleiten, dass nur eine Strafe pro Zug (der stets aus sieben Waggons und einer Lokomotive bestehe) zu verhängen sei. Im gegenständlichen Fall seien insgesamt zwei Züge überprüft worden. Die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts stünden daher mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gröblich im Widerspruch.

10 Die Revision ist aus diesem Grund zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

11 Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Vorerkenntnis vom , Ra 2018/02/0107, 0108, unter Hinweis auf weitere hg. Judikatur zunächst festgehalten, dass hinsichtlich der Arbeitsmittel "kraftbetriebene Türen und Tore, einschließlich solcher von Fahrzeugen" das jeweilige Fahrzeug den "Einsatzort" gemäß § 11 Abs. 3 zweiter Satz AM-VO darstellt, an welchem die bezughabenden Prüfbefunde bzw. deren Kopien vorhanden sein müssen. 13 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiter ausgeführt, dass das der Revisionswerberin jeweils vorgeworfene Unterbleiben der Mitführung von Prüfbefunden als tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn zu qualifizieren ist. Ausgehend davon hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass fallbezogen keine Einzelstrafen pro beanstandeter Tür, sondern nur eine (nach § 19 VStG entsprechend zu bemessende) Gesamtstrafe

pro unterlassener Mitführung der Prüfbefunde am Einsatzort (dem Fahrzeug bzw. dem "Zug" in seiner jeweiligen Zusammensetzung) zu verhängen war (vgl. zum Ganzen , 0108, mwN).

14 Damit hat der Verwaltungsgerichtshof unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass im gegenständlichen Fall der Zug in seiner jeweiligen Zusammensetzung als "Fahrzeug" im oben genannten Sinn anzusehen ist. Fallbezogen ist somit der jeweilige R. (Zug) in seiner konkreten Zusammensetzung als "Fahrzeug" zu qualifizieren, welches den "Einsatzort" iSd § 11 Abs. 3 zweiter Satz AM-VO darstellt.

15 Das Verwaltungsgericht hat die im zitierten hg. Erkenntnis dargelegte Rechtslage verkannt, wenn es davon abweichend den einzelnen Zugwaggon (vom Verwaltungsgericht synonym als "R-Garnitur" bzw. "Fahrzeug" bezeichnet) als "Einsatzort" qualifiziert und jeweils einzelne Strafen pro Zugwaggon anstatt einer Gesamtstrafe pro Zug im oben dargestellten Sinn verhängt hat.

16 Das Verwaltungsgericht wäre angesichts der ihm obliegenden Begründungspflicht jedoch gehalten gewesen, zunächst Feststellungen dahingehend zu treffen, wie sich das jeweilige Fahrzeug (hier: der R.), welches rechtlich als "Einsatzort" iSd § 11 Abs. 3 zweiter Satz AM-VO zu qualifizieren ist, konkret zusammensetzt. In weiterer Folge hätte es festzustellen gehabt, wie viele Fahrzeuge (R.) im vorliegenden Fall vom Tatvorwurf betroffen waren. Von diesen Feststellungen ausgehend hätte es sodann eine Gesamtstrafe pro unterlassener Mitführung der Prüfbefunde am Einsatzort (dem R.) zu verhängen gehabt. Derartige konkrete Feststellungen sind den angefochtenen Erkenntnissen jedoch nicht zu entnehmen.

17 Zweck der hier maßgeblichen Verpflichtung gemäß § 7 Abs. 1 Z 11, § 8 Abs. 1 Z 9 und § 11 Abs. 1 Z 1 und Z 2 iVm § 11 Abs. 3 AM-VO, die Prüfbefunde am jeweiligen Einsatzort der Arbeitsmittel mitzuführen, ist, eine rasche Kontrolle der ordnungsgemäß erfolgten Überprüfung der kraftbetriebenen Türen von Fahrzeugen zu ermöglichen (vgl. erneut , 0108). Daraus ist zu schließen, dass sich die hier vorliegende Tathandlung bzw. Unterlassung einerseits auf die Gesamtheit aller Arbeitsmittel, die sich zum Zeitpunkt der Überprüfung am jeweiligen Ort der Kontrolle befinden (vgl. erneut , 0108), und andererseits auf die Gesamtheit der am Einsatzort mitzuführenden Prüfbefunde bzw. Kopien, nämlich sowohl hinsichtlich der letzten Abnahmeprüfung, als auch der wiederkehrenden Prüfungen und der Prüfungen nach Aufstellung, bezieht. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits klargestellt, dass das der Revisionswerberin vorgeworfene Unterbleiben der Mitführung von Prüfbefunden als tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn zu qualifizieren ist (vgl. erneut , 0108). Auch diese Rechtslage hat das Verwaltungsgericht verkannt, indem es jeweils einzelne Strafen für die unterlassene Mitführung der Prüfbefunde hinsichtlich der Abnahmeprüfungen und der wiederkehrenden Prüfungen verhängt hat.

18 Soweit das Verwaltungsgericht im Rahmen der Strafbemessung die "mehrfache Tatbegehung pro Delikt" als erschwerend gewertet hat, hat es übersehen, dass aufgrund des im Verwaltungsstrafverfahren geltenden Kumulationsprinzips (§ 22 Abs. 2 erster Satz VStG) der Erschwerungsgrund der Begehung mehrerer strafbarer Handlungen, dem das im StGB herrschende Absorptionsprinzip zu Grunde liegt, im Verwaltungsstrafrecht nicht zum Tragen kommt (vgl. Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, Verwaltungsstrafgesetz2 (2017), § 19 Rz 11; , mwN). Hingegen können bereits erfolgte frühere (das heißt vor der Tat liegende) rechtskräftige gleichartige Bestrafungen bei der Strafbemessung sehr wohl als erschwerend zugrunde gelegt werden (vgl. erneut ). 19 Indem das Verwaltungsgericht in den angefochtenen Erkenntnissen einzelne Strafen pro Zugwaggon und jeweils pro unterlassener Mitführung der Prüfbefunde bzw. Kopien über die letzte Abnahmeprüfung sowie die wiederkehrenden Prüfungen verhängt hat, hat es sich über die bindenden Ausführungen im Vorerkenntnis Ra 2018/02/0107, 0108 hinweggesetzt. Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

20 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil bereits eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht stattgefunden hat (vgl. , 0053).

21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG, insbesondere § 52 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020086.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete Erschwerende und mildernde Umstände Vorstrafen

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