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VwGH vom 13.12.2012, 2010/21/0168

VwGH vom 13.12.2012, 2010/21/0168

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Thomas Weber, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Kaiser-Franz-Ring 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. E 1/212/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein bosnischer Staatsangehöriger, kam Ende 1992 im Alter von fünf Jahren nach Österreich und verfügte ab September 1993 (zuletzt bis ) über Aufenthaltstitel. In Österreich leben auch die Mutter des Beschwerdeführers und zwei Schwestern.

Mit Bescheid vom erließ die Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 (Z 1) iVm § 61 Z 4 und §§ 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark mit Bescheid vom mit der Maßgabe ab, dass das Aufenthaltsverbot mit zehn Jahren befristet wurde.

Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2009/21/0267, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen (Ersatz )Bescheid vom entschied die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) neuerlich dahin, dass die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld vom mit der Maßgabe der Befristung des Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren abgewiesen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

In dem genannten Erkenntnis vom hat der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der örtlichen Zuständigkeit der Erstbehörde Folgendes ausgeführt:

"Die örtliche Zuständigkeit in einem Verfahren wie dem vorliegenden auf Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach den §§ 60 ff FPG richtet sich gemäß § 6 Abs. 1 FPG nach dem vom Fremden im Inland begründeten Hauptwohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 7 MeldeG, in Ermangelung eines solchen nach einem sonstigen Wohnsitz des Fremden im Bundesgebiet. Hat dieser keinen Wohnsitz in Österreich, richtet sich die Zuständigkeit gemäß § 6 Abs. 2 FPG 'nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach diesem Bundesgesetz'.

Der Beschwerdeführer weist - beginnend mit dem Urteil des Landesgerichtes Leoben vom - nunmehr insgesamt sieben rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen zu Freiheitsstrafen auf. Zuletzt war über ihn vom Landesgericht Wiener Neustadt am wegen Verleumdung eine Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verhängt worden. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Ende 2002 durchgehend in (Untersuchungs- und) Strafhaft, deren Ende - unter Einbeziehung der letzten Verurteilung - voraussichtlich im Jahr 2010 sein wird. Seit Jänner 2007 verbüßt der Beschwerdeführer die über ihn verhängten Freiheitsstrafen in der - im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft Baden gelegenen - Justizanstalt Hirtenberg.

Dessen ungeachtet haben sich weder die Erstbehörde noch die belangte Behörde mit der Frage der örtlichen Zuständigkeit auseinandergesetzt, sondern haben - ohne nähere Begründung - offenbar nur aufgrund der aufrechten Meldung an der Wohnadresse der Mutter das Bestehen eines (Haupt )Wohnsitzes des Beschwerdeführers im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld unterstellt.

In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde zwar die Auffassung vertreten, ein zwangsweise begründeter Aufenthalt eines Häftlings sei kein Wohnsitz (vgl. aus der letzten Zeit beispielsweise das Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0522). Um so weniger könnte in diesen Fällen das Vorliegen eines Hauptwohnsitzes angenommen werden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0238). Entgegen der behördlichen Auffassung kann in der vorliegenden Konstellation aber auch nicht - ohne Weiteres - angenommen werden, der Beschwerdeführer habe seinen früheren (Haupt )Wohnsitz bei seiner Mutter in Knittelfeld aufrechterhalten, zumal sich der (damals im 16. Lebensjahr befindliche und nunmehr 22 Jahre alte) Beschwerdeführer seit Ende 2002 durchgehend zur Verbüßung von Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß von acht Jahren in verschiedenen Justizanstalten aufgehalten hat.

Davon ausgehend wäre es für die Frage der örtlichen Zuständigkeit zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 2 FPG auf dessen 'Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach diesem Bundesgesetz' angekommen (vgl. auch dazu das schon zitierte Erkenntnis Zl. 2007/21/0238, mit weiteren Judikaturnachweisen). Nach den (mit der Aktenlage übereinstimmenden) Feststellungen im angefochtenen Bescheid stellt das 'erste behördliche Einschreiten' im gegenständlichen Aufenthaltsverbotsverfahren das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld vom dar, mit dem der Beschwerdeführer von der Einleitung eines Verfahrens zur Beendigung seines Aufenthaltes verständigt und ihm Parteiengehör zu der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme eingeräumt worden war. Damals befand sich der Beschwerdeführer aber bereits mehr als ein Jahr in der Justizanstalt Hirtenberg, weshalb von einer Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Baden zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer auszugehen gewesen wäre. Diesfalls wäre die Unzuständigkeit der Erstbehörde - auch ohne entsprechenden Einwand in der Berufung - von der belangten Behörde wahrzunehmen gewesen.

Der angefochtene Bescheid leidet somit zumindest an (auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden) Feststellungsmängeln betreffend die für die angenommene Zuständigkeit maßgebliche Frage der Aufrechterhaltung eines Wohnsitzes in Knittelfeld, sodass er schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war."

Die diesbezügliche Begründung in dem auch unter dem Gesichtspunkt der Unzuständigkeit der Erstbehörde angefochtenen Ersatzbescheid lautet nach (ganz kurzer) zusammengefasster Bezugnahme auf die dargestellten Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes wie folgt (Fettdruck und Unterstreichung im Original):

"Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark war nunmehr veranlasst, einen Ersatzbescheid zu erlassen und hat in einem ergänzenden Ermittlungsverfahren zur Klärung des Hauptwohnsitzes die Mutter sowie T.

(Beschwerdeführer) befragt (siehe Beilagen).

Beide gaben im wesentlichen für die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark übereinstimmend an, dass Herr T. den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in Knittelfeld - § 7) österreichisches Meldegesetz - bzw. in Knittelfeld das überwiegende Naheverhältnis hatte (auch im Zeitpunkt der Verhängung des Aufenthaltsverbotes) und auch noch hat. "

Diese Ausführungen sind (trotz des Fehlens der Paragraphenzahl) dahin zu verstehen, dass der Beschwerdeführer nach Auffassung der belangten Behörde jedenfalls im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom seinen Hauptwohnsitz iSd § 1 Abs. 7 MeldeG in Knittelfeld hatte. Nach der genannte Begriffsbestimmung des Meldegesetzes ist der "Hauptwohnsitz" eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. Nun bleibt die belangte Behörde aber in der wiedergegebenen Begründung - wie der Verwaltungsgerichtshof schon im ersten Rechtsgang bemängelt hat - weiterhin jedes Tatsachensubstrat schuldig, aus dem abgeleitet werden könnte, der mittlerweile erwachsene Beschwerdeführer sei trotz des durchgehenden Aufenthaltes in verschiedenen Justizanstalten seit Ende 2002 auch noch im Jahr 2008 in der Wohnung seiner Mutter in Knittelfeld als "niedergelassen" iSd § 1 Abs. 7 MeldeG anzusehen. Der pauschale Verweis auf dem angefochtenen Bescheid nicht angeschlossene "Beilagen" genügt dafür nicht. Demnach ist die von der Erstbehörde in der vorliegenden Konstellation in Anspruch genommene örtliche Zuständigkeit im angefochtenen Bescheid (nach wie vor) nicht nachvollziehbar begründet, was auch die Beschwerde im Ergebnis zutreffend geltend macht.

In der weiteren Begründung des im ersten Rechtsgang erlassenen Erkenntnisses vom wurde vom Verwaltungsgerichtshof noch Folgendes bemängelt:

"Zur Vollständigkeit ist für das weitere Verfahren noch anzumerken, dass der angefochtenen Bescheid auch deshalb keinen Bestand hätte haben können, weil die belangte Behörde keine ausreichenden Feststellungen betreffend die den Gerichtsurteilen zugrundeliegenden Straftaten getroffen, sondern (neben der Anführung der Urteilsdaten, der maßgeblichen Strafbestimmungen und der verhängten Strafen) lediglich in zwei Fällen den Urteilstenor wiedergegeben hat. Es entspricht aber der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einem Aufenthaltsverbot nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0197, mwN, und mehrere darauf Bezug nehmende Folgeerkenntnisse, wie beispielsweise das zu § 56 FPG ergangene Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603). Solche näheren Feststellungen über die Begleitumstände der - teilweise während der Haftzeiten begangenen -

(Jugendstraf )Taten wären vor allem für eine nachvollziehbare Gefährlichkeitsprognose erforderlich gewesen, zumal der Beschwerdeführer deren Berechtigung mit dem Hinweis auf seinen durch mehrere Therapien während der Anhaltung und durch geänderte Lebensumstände bei einer Enthaftung bewirkten Gesinnungswandel bestreitet. Im Übrigen hätten die diesbezüglich eingeholten Berichte und Stellungnahmen nicht nur die Wiedergabe im Bescheid, sondern auch eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung zur Folge haben müssen. Schließlich ist unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung noch darauf hinzuweisen, dass § 66 Abs. 2 FPG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 anzuwenden gewesen wäre und dass - insbesondere vor dem Hintergrund des Inlandsaufenthaltes des Beschwerdeführers seit seinem 5. Lebensjahr, der in Österreich bestehenden familiären Bindungen sowie dem Fehlen von entsprechenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und der behaupteten mangelnden Kenntnisse der Muttersprache - insoweit eine eingehende Begründung unter Bedachtnahme auf alle in dieser Bestimmung genannten Kriterien geboten gewesen wäre."

Diesen Ausführungen hat die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Ersatzbescheides in keiner Weise Rechnung getragen. Vielmehr entspricht dessen Begründung - abgesehen von den oben behandelten, die Zuständigkeitsfrage betreffenden Teilen (Seite 13 letzter Absatz und Seite 14) - wörtlich der Begründung des im ersten Rechtsgang aufgehobenen Bescheides vom . Auch deshalb leidet der angefochtene Bescheid, in dem folglich auch nicht auf die weitere Entwicklung bis zu seiner Erlassung Bedacht genommen wurde, an einem wesentlichen Begründungsmangel.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am