VwGH vom 25.11.2010, 2008/18/0262
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des R Y, geboren 1983, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/48231/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer in Wien geboren worden sei, hier bis zu seinem siebenten Lebensjahr gelebt habe und dann für die Dauer von neun Jahren in sein Heimatland zurückgekehrt sei. Seit 2001 halte er sich wieder ununterbrochen in Österreich auf; er besitze einen bis gültigen Niederlassungsnachweis.
Der Beschwerdeführer sei ledig und habe zu seinen familiären Verhältnissen angegeben, dass seine ganze Familie - Eltern, Geschwister, Neffen, Nichten usw. - in Österreich lebe und er in der Türkei keine Verwandten mehr habe. Zu seinen beruflichen Verhältnissen habe der Beschwerdeführer am ausgeführt, dass er vor seiner letzten Verhaftung als arbeitslos gemeldet gewesen sei; über eine Beschäftigungsaufnahme nach Verbüßung der Strafhaft habe er keine Angaben gemacht.
Am sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 Strafgesetzbuch - StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt worden.
Am habe das Landesgericht für Strafsachen Wien den Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 erster und zweiter Fall Suchtmittelgesetz - SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am einem verdeckten Ermittler ein Briefchen Kokain (5,1 Gramm brutto) zu einem Preis von EUR 350,-- verkauft und im Jänner 2006 Heroin und Kokain sowie am weitere 1,2 Gramm (brutto) Kokain und acht Ecstasy-Tabletten zum Eigenkonsum erworben und besessen habe.
Am sei der Beschwerdeführer schließlich wieder durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe am einem Mann mit einem Messer zwei Stiche im Bereich der linken Achselhöhle und zwei Stiche im Bereich der rechten "Rückseite" versetzt, die zu einer Eröffnung der rechten und linken Brusthöhle sowie zur Läsion der Rippenschlagader im siebten rechten Zwischenrippenraum mit daraus folgender erheblicher Blutung in die rechte Brusthöhle geführt habe; weiters habe der Beschwerdeführer am einem Mann mehrere Faustschläge gegen den Körper versetzt und ihn gewürgt, wodurch dieser Schwellungen und Rötungen im Halsbereich erlitten habe.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen des § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FPG - im Wesentlichen aus, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei und die Annahme als gerechtfertigt erscheine, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet insbesondere der Verteidigung der Ordnung, dem Schutz des Eigentums und der Gesundheit anderer sowie der Verhinderung von strafbaren Handlungen zuwiderlaufe.
Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Gewalt- und Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier:
zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit anderer - dringend geboten. Aufgrund des insgesamt etwa 15 Jahre dauernden, allerdings nicht ununterbrochenen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und der sehr starken - bereits dargestellten - familiären Bindungen müsse von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Trotzdem sei die Zulässigkeit dieser Maßnahmen im Grunde des § 66 FPG zu bejahen. Das geschilderte und mehrfache Fehlverhalten des Beschwerdeführers verdeutliche augenfällig dessen Gefährlichkeit für die körperliche Integrität und die Gesundheit von sich im Bundesgebiet aufhaltenden Menschen und das Unvermögen oder den Unwillen des Beschwerdeführers, die Rechtsvorschriften des Gastlandes einzuhalten.
Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jede Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Von daher hätten die privaten bzw. familiären Interessen des Beschwerdeführers - eine berufliche Integration scheine ja nicht vorzuliegen - gegenüber den genannten, überaus hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten.
Eine Ermessensentscheidung der belangten Behörde (zu Gunsten des Beschwerdeführers) komme nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Hinweis auf § 55 Abs. 3 Z. 1 und § 56 Abs. 2 Z. 1 FPG von vornherein nicht in Betracht.
Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet auszusprechen, weil der Beschwerdeführer als Wiederholungstäter anzusehen sei und durch sein strafbares Verhalten wichtige Rechtsgüter nachhaltig gefährde; daher - und wegen der mehrfachen Begehung von schweren strafrechtlich relevanten Delikten - könne auch nicht vorhergesehen werden, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, weggefallen sein werde.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Aufgrund der unstrittig feststehenden Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am ist der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG erfüllt.
1.2. Nach den in der Beschwerde nicht bestrittenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides hat der Beschwerdeführer (unter anderem) im November 2006 Kokain verkauft und im August 2007 einen Mann durch vier Messerstiche absichtlich schwer im Brustbereich verletzt.
Aus diesem gravierenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers resultiert eine schwerwiegende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung sowohl von Suchtgiftkriminalität als auch von Gewaltkriminalität (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/18/0203, und vom , Zl. 2009/18/0485, jeweils mwN). Daran vermag das Beschwerdevorbringen, dem Beschwerdeführer sei durch die noch andauernde Strafhaft mit Deutlichkeit vor Augen geführt worden, welche Folgen ein nicht gesetzeskonformes Verhalten habe, nichts zu ändern.
Die Ansicht der belangten Behörde, dass angesichts der festgestellten Straftaten des Beschwerdeführers die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet somit keinen Bedenken.
1.3. Der dem Beschwerdeführer erteilte Niederlassungsnachweis gilt gemäß § 11 Abs. 1 lit. C Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" oder als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter.
Damit sind im Fall des Beschwerdeführers die - gegenüber § 60 Abs. 1 FPG strengeren - Voraussetzungen des Gefährdungsmaßstabes nach § 56 Abs. 1 FPG heranzuziehen, die allerdings aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens und gemäß § 27 Abs. 2 SMG (vgl. § 56 Abs. 2 Z. 1 FPG) ebenfalls erfüllt sind (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom , mwN).
2.1. Die Beschwerde wendet sich im Weiteren gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung und bringt dazu vor, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer von seiner Geburt bis zu seinem siebten Lebensjahr in Wien gelebt habe, in der Türkei sodann neun Jahre lang die Schule besucht habe und sich in weiterer Folge seit wiederum sieben Jahren in Österreich bei seiner hier lebenden Familie aufhalte. Die Familie im Bundesgebiet umfasse die Eltern, einen Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers, "die ebenfalls verheiratet sind und Kinder haben"; in der Türkei habe der Beschwerdeführer keinerlei Verwandte mehr.
2.2. Auch damit zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nach § 66 FPG hat die belangte Behörde ohnehin die in der Beschwerde vorgebrachten Umstände zugrunde gelegt und ist zutreffend von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ausgegangen. Der belangten Behörde ist auch darin beizupflichten, dass die aus dem bisherigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers resultierende Integration in ihrer sozialen Komponente durch dessen strafbares Verhalten erheblich gemindert wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0134, mwN).
Soweit die Beschwerde eine "erhebliche Integration" des Beschwerdeführers behauptet, lässt sie jedes konkrete Vorbringen dazu vermissen. Die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Feststellungen zur mangelnden beruflichen Integration des Beschwerdeführers werden in der Beschwerde nicht bestritten.
Den dennoch schwerwiegenden privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die aus seinem weiteren Aufenthalt resultierende - wie oben unter II.1.2. ausgeführt - gravierende Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Suchtgift- und Gewaltkriminalität gegenüber.
Unter gehöriger Abwägung all dieser Umstände kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und Schutz der Gesundheit anderer) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme (§ 66 Abs. 2 FPG), nicht als rechtswidrig erkannt werden.
3. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
VAAAE-81099