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VwGH vom 27.09.2019, Ra 2019/02/0059

VwGH vom 27.09.2019, Ra 2019/02/0059

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, Hofrat Mag. Straßegger sowie Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Lili enfeld gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederöst erreich vom , LVwG-S-2476/001-2018, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: B in R, vertreten durch Mag. Wolfgang Moser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wächtergasse 1/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld (BH) vom wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe am um 20:15 Uhr an einem näher bezeichneten Ort ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,92 Promille Alkoholgehalt des Blutes) gelenkt. Der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen; über ihn wurde eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 800,--

(Ersatzfreiheitsstrafe: 168 Stunden) verhängt.

2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG), in der er im Wesentlichen geltend machte, dass die Feststellungen zum konsumierten Alkohol nicht zum festgestellten Blutalkoholwert passen würden. Die "Rückrechnung" durch die Amtsärztin sei nicht korrekt, der Mitbeteiligte wiege 20 kg mehr als angenommen. Tatsächlich habe er zwei große Bier in einem Lokal getrunken; der Unfallzeitpunkt sei 20:05 Uhr. Überdies habe er nach dem Unfall mit dem Unfallbeteiligten Alkohol konsumiert, es sei jedoch nur ein kleines Bier als Nachtrunk festgestellt worden. Insgesamt habe er jedoch nach dem Unfall bis zum Eintreffen der Polizei "zwei weitere Seidl Bier und einen Jägermeister" getrunken. 3 Das LVwG gab der Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 50 VwGVG Folge, hob das Straferkenntnis der revisionswerbenden BH vom auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das LVwG - nach wörtlicher Wiedergabe des Spruches des Straferkenntnisses vom und des Beschwerdevorbringens - Folgendes aus:

Der Mitbeteiligte habe am um ca. 20:15 Uhr ein bestimmtes KFZ an einem bestimmten Ort gelenkt und sei mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden, bei dem ein Sachschaden entstanden sei. Es sei davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte vor dem Lenken des KFZ und danach - vor der maßgeblichen Untersuchung seiner Atemluft mittels Alkomatmessgerät, die ein gültiges Messergebnis im Ausmaß von 0,54 mg/l um 21:05 Uhr erbracht habe - alkoholische Getränke konsumiert habe. Die Aussagen des Mitbeteiligten vor der Polizei anlässlich der Amtshandlung sowie im gerichtlichen Verfahren und der Zeugen zum Alkoholkonsum vor und nach dem Unfall seien unterschiedlich.

In der Folge gab das LVwG das eingeholte Sachverständigengutachten sowie den Gang der Verhandlung wörtlich wieder und führte aus, dass der Mitbeteiligte die relevante Nachtrunkmenge im Zuge der polizeilichen Amtshandlung nicht im vollen Umfang bekannt gegeben habe, sich jedoch von Anbeginn des Behördenverfahrens auf den Alkoholkonsum berufen habe. Die Zeugenaussagen seien nicht unglaubwürdig gewesen und keine Umstände zu erkennen, die für eine Absprache nach Kenntnis des Alkoholisierungsgrades sprächen. Es habe daher zum Zeitpunkt des Lenkens kein Grad an Alkoholisierung von 0,5 Promille oder mehr vorgelegen. Aus der höchstgerichtlichen Judikatur sei eine unwiderrufliche und nicht mehr entkräftbare Bindung an Erstangaben nicht ableitbar. Die Übertretung sei daher nicht erweislich gewesen, weshalb das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei. 5 Gegen dieses Erkenntnis erhob die BH die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision erweist sich aufgrund des Vorbringens der

revisionswerbenden Partei, das LVwG sei von näherer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung von Nachtrunkbehauptungen abgewichen als zulässig. Sie ist auch berechtigt:

8 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den § 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. , mwN).

9 Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa , 0002, mwN).

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa , mwN; , 2005/02/0315) im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit eines behaupteten Nachtrunkes dem Umstand Bedeutung beigemessen, zu welchem Zeitpunkt der Lenker diese Behauptung aufgestellt hat. In Anbetracht der Wichtigkeit dieses Umstandes ist davon auszugehen, dass auf einen allfälligen Nachtrunk bei erster sich bietender Gelegenheit - von sich aus - hingewiesen wird. 11 Im vorliegenden Fall hat der Mitbeteiligte allerdings trotz gebotener Gelegenheit die Behauptung eines Nachtrunkes zunächst auf lediglich ein der Menge nach genau bezeichnetes alkoholisches Getränk beschränkt und erst im Strafverfahren den Konsum größerer Alkoholmengen nach dem Verkehrsunfall behauptet. Die Tatsache dieser ersten Angabe wurde vom einschreitenden Polizisten in der vor dem LVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung zeugenschaftlich bestätigt; der Mitbeteiligte hat dazu begründungslos ausgesagt, die Alkoholmenge "nicht vollständig bekannt gegeben zu haben".

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen

Rechtsprechung darauf verwiesen, dass bei der ersten Befragung in der Regel am ehesten richtige Angaben gemacht werden (vgl. etwa ). Weiters entspricht es der hg. Rechtsprechung (vgl. das soeben zitierte Erkenntnis), dass derjenige, der sich auf einen Nachtrunk beruft, die Menge des solcherart konsumierten Alkohols konkret zu behaupten und zu beweisen hat.

13 Das LVwG hat nun in der mündlichen Verhandlung auch die vom Mitbeteiligten genannten, mit diesem bekannten Zeugen einvernommen und die oben zitierte Rechtsprechung wiedergegeben. In der Folge gelangte das LVwG abweichend von der Erstverantwortung des Mitbeteiligten sowie der Zeugenaussage des Meldungslegers zur - dislozierten - Feststellung eines Nachtrunks im höheren und der Zusammensetzung nach anderen Ausmaß als zunächst angegeben. 14 Die Beweiswürdigung zu dieser Feststellung erschöpft sich darin, dass die Aussagen der Zeugen "schlüssig, widerspruchsfrei und nicht unglaubwürdig" gewesen seien und es keine Umstände zu erkennen gäbe, die für eine Absprache nach Kenntnis des Alkoholisierungsgrades sprechen könnten.

15 Der Verwaltungsgerichtshof ist grundsätzlich als Rechtsinstanz tätig; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt lediglich dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. z.B. , 0146, mwN).

16 Vor dem Hintergrund der vom LVwG nicht näher beachteten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Erstaussagen ein höheres Ausmaß an Glaubhaftigkeit innewohnt, erweist sich die Beweiswürdigung des LVwG, das sich in dieser formelhaften Begründung erschöpft und die - mit Ausnahme der behaupteten Alkoholmenge - widersprüchlichen Aussagen der Zeugen in diese Beweiswürdigung nicht miteinbezieht als grob fehlerhaft. Mit den Gründen für die - nach dem Mitbeteiligten angeblich - falschen Behauptungen bei der Erstbefragung zum Alkoholkonsum hat sich das LVwG überhaupt nicht beschäftigt. Wie es zur Beurteilung der mangelnden Absprache nach Kenntnis des Alkoholkonsums kommt, bleibt angesichts der Tatsache, dass die vernommenen Zeugen - mit Ausnahme des Meldungslegers - mit dem Mitbeteiligten bekannt sind, unklar und wird ebenfalls nicht näher begründet.

17 Die vom LVwG lediglich formelhaft erfolgte Beweiswürdigung vermag daher die dislozierte Feststellung der Nachtrunkmengen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wichtigkeit des Zeitpunktes der Behauptung einer Nachtrunkmenge nicht zu tragen (vgl. dazu auch ).

18 Da das LVwG somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung es zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, belastete das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG.

19 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesem Grund aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020059.L00
Schlagworte:
Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Beschuldigtenverantwortung Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung Nachtrunk

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