VwGH vom 17.11.2011, 2010/21/0143
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 155.239/2- III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom , mit dem sein Antrag vom auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zurückgewiesen worden war, gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011 ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Dieser sei "erst- und zweitinstanzlich abweisend finalisiert" worden. Es sei festgestellt worden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. Die Behandlung einer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde sei am abgelehnt worden. In der Folge habe der Beschwerdeführer vier weitere Asylanträge gestellt, die - zuletzt - "mit rechtskräftig negativ beschieden" worden seien. (Ausweisungen waren damit - zuletzt offenbar irrtümlich - nicht verbunden.)
Mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom sei der Beschwerdeführer wegen unrechtmäßigen Aufenthalts aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden.
Am habe der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zum Zweck der Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens eingebracht. Er habe (im Berufungsverfahren) auf eine jahrelange Aufenthaltsverfestigung und eine umfangreiche Teilnahme am sozialen Leben verwiesen. Seine Sprachkenntnisse hätten zumindest das Niveau A2 der europäischen Sprachkompetenzstufen erreicht. Er habe jahrelang als Zeitungszusteller gearbeitet (und verfüge infolge der dadurch erzielten Einkünfte über eine Wohnung und sei sozialversichert). Ebenso habe er zahlreiche freundschaftliche Bindungen auch zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft. Mittlerweile habe er eine Beziehung zur österreichischen Staatsbürgerin D.
Unter Zitierung des § 44b Abs. 1 NAG verwies die belangte Behörde auf den erwähnten Bescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom , mit dem der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden sei. Dieser Bescheid sei am in Rechtskraft erwachsen. Ein seit diesem Zeitpunkt maßgeblich geänderter Sachverhalt sei nicht hervorgekommen, sodass der am eingebrachte Antrag als unzulässig zurückzuweisen sei.
Auch seien das wiedergegebene Vorbringen unterstützende Zeugnisse, Empfehlungsschreiben von Arbeitgebern, Unterstützungsschreiben von Freunden, Kollegen, Bekannten oder sonstigen Personen nicht vorgelegt worden. Die Beziehung zur Österreicherin D. betreffende Recherchen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer mit dieser seit dem , also erst seit wenigen Wochen, im gemeinsamen Haushalt lebe. Von einem berücksichtigungswürdigen Familienleben sei daher nicht auszugehen. Jedenfalls sei die Beziehung zu einem Zeitpunkt entstanden, als dem Beschwerdeführer sein unsicherer Aufenthaltsstatus hätte bewusst sein müssen. Insgesamt sei das dargestellte Vorbringen somit bereits geprüft worden, der seitherige Zeitablauf könne für sich allein genommen noch nicht als eine maßgebliche Änderung angesehen werden.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hat einen Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) gestellt. Nach dieser Bestimmung ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b) eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z. 1, 2 oder 4 vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG sind, wenn (wie hier) kein Fall des § 44a vorliegt, derartige Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht herkommt.
Der Beschwerdeführer lässt unbestritten, dass er mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom ausgewiesen wurde. Sein Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG war daher gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG zurückzuweisen, es sei denn, es wäre im Hinblick auf maßgebliche Sachverhaltsänderungen seit der ergangenen Ausweisung eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich.
Dies verneinte die belangte Behörde, nachdem sie die wiedergegebenen Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers getroffen und - jedenfalls im Ergebnis - eine inhaltliche Würdigung der geltend gemachten integrationsbegründenden Umstände (wenn auch unvollständig) vorgenommen hatte.
Damit erkannte sie zwar die Notwendigkeit, das Antragsvorbringen einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen. Allerdings hätte sie - bereits auf Grundlage dieser Beurteilung - dann die in erster Instanz ausgesprochene Antragszurückweisung nicht bestätigen dürfen. Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG darf nämlich nach Erlassung einer Ausweisung - wie bereits erwähnt - nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung nach Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist. Davon kann allerdings im vorliegenden Fall schon nach den Ausführungen der belangten Behörde keine Rede sein, weil der Beschwerdeführer während seines jahrelangen Aufenthaltes in Österreich (seit der Ausweisung im April 2002) berufstätig war sowie über eine Wohnung und Sozialversicherungsschutz verfügte. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt läge nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall wäre eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG zulässig gewesen (vgl. zum Ganzen die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/22/0127, und vom , Zlen. 2011/22/0035 bis 0039, jeweils mwN).
Auch irrt die belangte Behörde, soweit sie die Ansicht vertritt, die mit der Österreicherin D. eingegangene Beziehung des Beschwerdeführers wäre ungeeignet, eine maßgebliche Sachverhaltsänderung zu begründen. Dafür reicht weder deren verhältnismäßig kurze Dauer noch der Umstand aus, dass der Beschwerdeführer die Beziehung erst einging, als er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus in Österreich bewusst gewesen war (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0018).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-81065