VwGH vom 17.12.2010, 2008/18/0186
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der I B in W, geboren am , vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/264.743/2007, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin mit einem von der Österreichischen Botschaft Ankara ausgestellten und vom 10. Juli bis gültigen Reisevisum in das Bundesgebiet gelangt sei. Laut Zentralem Melderegister sei die Beschwerdeführerin seit mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Die Beschwerdeführerin verfüge über keinen Aufenthaltstitel.
Mit Schreiben vom habe das "Bundesministerium für Inneres" mitgeteilt, die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass sie aufgrund einer Erkrankung nicht ausreisen könne. Die vorgelegten Befunde seien vom Chefarzt des Bundesministeriums für Inneres überprüft worden. Der Chefarzt habe in einer Stellungnahme mitgeteilt, dass es sich laut dem Befund vom vermutlich um ein Hypophysenadenom handle, welches behandelt worden sei und derzeit keinerlei Therapie bedürfe. Aufgrund des vorliegenden Befundes liege keinerlei Krankheit vor und Reisefähigkeit sei gegeben. Da keine humanitären Gründe vorlägen, werde der Anfrage zur Zulassung zur Inlandsantragstellung bzw. zur Heilung sonstiger Verfahrensmängel gemäß § 74 iVm § 75 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG nicht zugestimmt.
In einer Stellungnahme vom habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass sie mit S.B. verheiratet sei. S.B. halte sich schon mehr als siebzehn Jahre legal im Bundesgebiet auf, verfüge über Arbeit und eine entsprechende Wohnung. Überdies sei er voll integriert und sein Staatsbürgerschaftsverfahren stehe vor dem Abschluss.
In der Berufung habe die Beschwerdeführerin weiters geltend gemacht, dass sie mit S.B. ein gemeinsames Kind habe.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 66 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien.
Vor diesem Hintergrund sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Dieser Eingriff erweise sich jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier:
zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - als dringend geboten. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstoße der nicht bloß kurzfristige unrechtmäßige Weiterverbleib im Bundesgebiet im Anschluss an ein Reisevisum. Unter den gegebenen Umständen sei die Beschwerdeführerin nicht in der Lage, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei daher von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Es könne daher kein Zweifel daran bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und somit zulässig im Sinne des § 66 FPG sei.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde auch keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm allerdings von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund eines von der Österreichischen Botschaft Ankara ausgestellten, vom 10. Juli bis gültigen Visums nach Österreich eingereist und dass ihr kein Aufenthaltstitel ausgestellt worden ist. Im Hinblick darauf, dass sich die Beschwerdeführerin somit seit unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, begegnet die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
2.1. Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der von der belangte Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung und bringt dazu vor, dass die Beschwerdeführerin durch die Trennung von S.B., mit dem sie "seit vielen Jahren" verheiratet sei, und ihrem Kind "in ihren Rechten auf ein Familienleben" verletzt werde. Die Beschwerdeführerin befinde sich in Österreich - sowohl familiär als auch materiell - in geordneten Verhältnissen. Es liege eine Integration vor, weil sich die Beschwerdeführerin schon seit längerer Zeit in Österreich befinde und ihr Ehemann knapp vor der Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft stehe.
2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde hat bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung gemäß § 66 FPG den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet seit Juli 2005 sowie die familiären Bindungen zu ihrem Ehemann - der sich seit mehr als siebzehn Jahren in Österreich legal aufhalte, über eine Arbeit und Wohnung verfüge, hier voll integriert sei und dessen Staatsbürgerschaftsverfahren bald beendet sei - und dem gemeinsamen Kind berücksichtigt. Die aus dem inländischen Aufenthalt der Beschwerdeführerin und ihrem Familienleben mit ihrem Ehemann und dem Kind resultierenden persönlichen Interessen sind allerdings an Gewicht insoweit zu relativieren, als der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland nur aufgrund eines auf wenige Monate befristeten Reisevisums zulässig war und seit dem Ablauf der Gültigkeit dieses Visums am unrechtmäßig ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0731, mwN). In Österreich nahm die Beschwerdeführerin ihr Familienleben zu ihrem Ehemann und ihrem Kind darüber hinaus zu einem Zeitpunkt auf, in dem ihr ihr unsicherer Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom , mwN).
Den - somit in ihrer Bedeutung verminderten - persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass sie sich trotz Ablauf ihres Visums am seitdem unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, was eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften darstellt, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom , mwN).
Die dargestellten privaten und familiären Bindungen der Beschwerdeführerin lassen auch keine besonderen Umstände erkennen, die es ihr mit Blick auf Art. 8 EMRK unzumutbar machen würden, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens in ihr Heimatland zurückzukehren, bzw. die es zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffs in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben erforderlich machen würden, vom Erfordernis der Auslandsantragstellung abzusehen und ihr rasch bzw. sofort eine (humanitäre) Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Sofern die Beschwerdeführerin geltend macht, dass eine Auslandsantragstellung unmöglich sei, weil "das anzurufende Call-Center", das von der Österreichischen Botschaft Ankara mit der Vermittlung von Terminen beauftragt worden sei, nur gegen erhebliche Vorleistungen und sporadisch erreichbar sei, so ist dieses Vorbringen schon im Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG) unbeachtlich.
Bei Abwägung des angeführten großen öffentlichen Interesses und der gegenläufigen - wie oben dargestellt - relativierten Interessen der Beschwerdeführerin begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 FPG zulässig sei, auch dann keinem Einwand, wenn man - mit dem Beschwerdevorbringen - berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin keinerlei Vorstrafen habe.
3. Die Beschwerde bringt weiter vor, dass auf das Assoziationsabkommen zu verweisen sei, das zwischen der EWG und der Türkei abgeschlossen worden sei, und hat damit offenbar den Beschluss des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom , Nr. 1/80 (ARB), vor Augen; eine Abschiebung der Beschwerdeführerin verstoße gegen das Diskriminierungsverbot, das eine Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit EU-Bürgern vorsehe.
Diese Auffassung geht schon deshalb fehl, weil die Beschwerdeführerin mit einem Touristenvisum in das Bundesgebiet eingereist ist und dieser Einreisetitel keine Genehmigung im Sinn des Art. 7 ARB darstellt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0158, mwN).
4. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-81027