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VwGH vom 28.08.2012, 2010/21/0120

VwGH vom 28.08.2012, 2010/21/0120

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-08-3058, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, damals Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, reiste am in das Bundesgebiet ein und stellte hier in der Folge einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG abgewiesen und es wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit gab der Beschwerdeführer folgende schriftliche Erklärung ab:

"Ich habe … einen Asylantrag gestellt. Nun beabsichtige ich, freiwillig zurückzukehren. Ich erkläre mich damit einverstanden, dass damit mein Asylantrag gem. § 31 Abs. 3 als gegenstandslos abgelegt wird …"

Der unabhängige Bundesasylsenat wertete dieses Schreiben gemäß § 44 Abs. 3 iVm § 23 Abs. 3 AsylG (in der Fassung der AsylG-Novelle 2003) als Zurückziehung des Asylantrages sowie der Berufung. Im Asylwerberinformationssystem (AIS) wurde daraufhin vermerkt, dass der gegen den Beschwerdeführer - der über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügt hatte - ergangene erstinstanzliche Asylbescheid in Rechtskraft erwachsen sei.

Unter der Annahme, der Beschwerdeführer halte sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, wurde er am von Beamten der Bundespolizeidirektion Schwechat festgenommen. In der Folge wurde gegen ihn gemäß § 61 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung, des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, der Zurückschiebung und der Abschiebung die Schubhaft angeordnet, was die Bundespolizeidirektion Schwechat ebenfalls mit dem unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers begründete.

In der dagegen erhobenen Schubhaftbeschwerde brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, er sei nach wie vor Asylwerber; der unabhängige Bundesasylsenat habe seine oben wiedergegebene Erklärung fälschlicherweise als Zurückziehung der Berufung ausgelegt.

Am wurde der Beschwerdeführer enthaftet.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom wies der unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) - vorangegangene Entscheidungen waren vom Verfassungsgerichtshof (mit Erkenntnis vom , B 452/05) bzw. vom Verwaltungsgerichtshof (mit Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0253) aufgehoben worden - die Administrativbeschwerde (neuerlich), gestützt auf

§ 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, als unbegründet ab.

Die belangte Behörde gab einerseits § 76 Abs. 1 bis 3 FPG wieder und bezog sich dann andererseits in ihrer Beurteilung auf

§ 61 Abs. 1 FrG. Zum oben dargestellten Vorbringen in der Administrativbeschwerde verwies sie darauf, dass die eingangs wiedergegebene Erklärung des Beschwerdeführers vom vom unabhängigen Bundesasylsenat als Zurückziehung des Asylantrages und damit auch als Zurückziehung der Berufung gewertet worden sei. Ausgehend von "diesen Feststellungen" des unabhängigen Bundesasylsenates - so die belangte Behörde weiter - habe die Fremdenpolizeibehörde "schlüssig und berechtigterweise" davon ausgehen können, dass der erstinstanzliche Asylbescheid in Rechtskraft erwachsen sei und dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr rechtmäßig "im Asylwerberstatus" im Bundesgebiet aufhalte. Wenn der unabhängige Bundesasylsenat in einer am durchgeführten Berufungsverhandlung dann zur gegenteiligen - von der belangten Behörde im Übrigen nicht geteilten - Auffassung gelangt sei, so vermöge das für die Rechtmäßigkeit der Schubhaftverhängung mit sowie des Schubhaftvollzuges bis

"keinerlei Relevanz zu entfalten, weil die Feststellungen des UBAS hinsichtlich der 'Fortsetzung' des Berufungsverfahrens zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft nicht dem Rechtsbestand angehört haben."

Verhängung und Vollzug der Schubhaft seien daher nicht mit Rechtswidrigkeit belastet.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung mit Beschluss vom , B 11/10-3, ab und trat die Beschwerde in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Dieser hat über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Im gegenständlichen Fall erfolgten Festnahme und Schubhaftverhängung am , die Schubhaft wurde dann bis zum vollzogen. Ungeachtet dessen, dass der bekämpfte Bescheid erst im Dezember 2009 erlassen wurde, war die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen daher - mangels anderslautender gesetzlicher Anordnungen - nach den im Jahr 2005 noch in Kraft stehenden Bestimmungen des FrG zu beurteilen. Eine Bedachtnahme auf den von der belangten Behörde auch zitierten § 76 FPG kam dagegen insoweit von vornherein nicht in Betracht. (Was das von ihr anzuwendende Verfahrensrecht anlangt, so hatte die belangte Behörde jedoch die seit dem geltende Rechtslage anzuwenden. Dass sie ihre Entscheidung spruchgemäß auf § 83 FPG stützte, ist daher für sich betrachtet richtig (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0054, Punkt I. der Entscheidungsgründe).)

Auch die entscheidende Frage, ob der Beschwerdeführer im Februar bzw. März 2005 noch Asylwerber war, war anhand der damals geltenden Vorschriften zu überprüfen.

Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer seinen Asylantrag bereits 2003 gestellt hatte. Auf dieses Asylverfahren waren daher auch noch nach dem gemäß § 44 Abs. 1 AsylG (in der Fassung der AsylG-Novelle 2003) die mit in Kraft getretenen Bestimmungen der AsylG-Novelle 2003 - mit Ausnahme der in § 44 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG genannten Vorschriften - noch nicht anzuwenden. Insbesondere war daher § 31 Abs. 3 AsylG, der erst mit der genannten Novelle geschaffen worden ist und der vorsieht, dass der Asylantrag Fremder, denen Rückkehrhilfe gewährt wurde, mit ihrer Ausreise als gegenstandslos abgelegt wird, auf den Beschwerdeführer noch nicht anzuwenden. Die eingangs wiedergegebene Erklärung ging daher insoweit, als sie auf § 31 Abs. 3 AsylG Bezug nahm, von vornherein ins Leere. Es bestand aber auch keine Rechtfertigung, sie in eine Zurückziehung des Asylantrages - mit der Wirkung einer Berufungszurückziehung (dazu vgl. insbesondere auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/01/0289, VwSlg 16.944 A/2006) - umzudeuten. Von daher war der Beschwerdeführer aber, wie schon in der Administrativbeschwerde vorgebracht, im Februar bzw. März 2005 noch Asylwerber. Davon ausgehend wäre die Verhängung von Schubhaft gegen ihn gemäß § 61 Abs. 1 FrG jedoch nur nach Maßgabe des § 21 Abs. 1 AsylG in der Stammfassung in Frage gekommen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0333, auf dessen Begründung insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Ob § 21 Abs. 1 AsylG (in der Stammfassung) im vorliegenden Fall Schubhaft ermöglichte, hat die belangte Behörde nicht geprüft. Sie zog sich auf den Standpunkt zurück, ausgehend von den (seinerzeitigen) "Feststellungen" des unabhängigen Bundesasylsenates habe die Fremdenpolizeibehörde "schlüssig und berechtigterweise" davon ausgehen können, dass der Beschwerdeführer nicht mehr Asylwerber sei; wenn der unabhängige Bundesasylsenat am zu einer anderen Auffassung gelangt sei, so sei dies irrelevant.

Diese Ansicht ist verfehlt. Nicht in Bescheidform ergangenen (und in Rechtskraft erwachsenen) "Feststellungen" der Asylbehörden, auch wenn sie im AIS Niederschlag gefunden haben, kommt nämlich keine Bindungswirkung zu. Das ergibt sich schon aus dem oben erwähnten aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , in dem der belangten Behörde als Verfassungswidrigkeit begründender Ermittlungsmangel vorgeworfen worden war, der Frage der Rechtmäßigkeit des weiteren Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet (infolge seines Asylwerberstatus trotz der Erklärung vom ) ungeachtet des dazu in der Administrativbeschwerde erstatteten Vorbringens nicht nachgegangen zu sein. Das bezog sich nicht nur auf die Phase nach Geltendmachung dieses Umstandes mit der Einbringung der Administrativbeschwerde, sondern schon auf die davor vollzogene Haft. Dass insoweit die Schubhaftbehörde an der Richtigkeit der Eintragungen im AIS noch keine Zweifel hegen musste, ist irrelevant, zumal eine Falschbeurteilung durch die Asylbehörden nicht zu Lasten des - allenfalls zu Unrecht - in Haft befindlichen Fremden gehen kann (vgl. zu einer ähnlichen Fallkonstellation auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0348).

Nach dem Gesagten beruht der bekämpfte Bescheid auf einer verfehlten Rechtsansicht. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am