VwGH vom 24.03.2010, 2006/06/0157

VwGH vom 24.03.2010, 2006/06/0157

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des JA in K, vertreten durch Harisch Partner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Hofhaymerallee 42, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Ve1-8-1/302-1, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde K), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Baugesuch vom beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung der Baubewilligung für den Neubau eines Lebensmittelmarktes auf einem näher genannten Grundstück in der mitbeteiligten Stadtgemeinde.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom , dem Beschwerdeführer zugestellt am , wurde das Ansuchen um Baubewilligung gemäß § 26 Abs. 4 lit. c Tiroler Bauordnung 2001 (BO) iVm § 113 Abs. 2 Tiroler Raumordnungsgesetz 2001, LGBl. Nr. 13 (im Folgenden: ROG alt), abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus den Ausführungen des Sachverständigen beim Baubezirksamt Kufstein ergebe sich, dass die Errichtung eines Lebensmittelmarktes auf dem Baugrundstück auf Grund der gegebenen verkehrsmäßigen Überlastung der P. Landesstraße einer zweckmäßigen verkehrsmäßigen Erschließung des betroffenen Gemeindegebietes unter Bedachtnahme auf die Erfordernisse einer geordneten Gesamterschließung des gesamten Gemeindegebietes zuwiderliefe. Das Bauvorhaben erfülle somit nicht die Voraussetzungen des § 113 Abs. 2 lit. b ROG.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Mit Bescheid des Stadtrates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde diese Berufung abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Baubehörde erster Instanz habe angesichts der vorliegenden Gutachten im Ergebnis das Bauansuchen zu Recht nach § 113 Abs. 2 lit. b ROG alt abgewiesen. Die Berufung sei aber auch aus einem weiteren Grund abzuweisen. Nach § 48a Tiroler Raumordnungsgesetz 2001 idF der Novelle LGBl. Nr. 35/2005 (im Folgenden: ROG) sei die Schaffung und Erweiterung von Handelsbetrieben mit einer Kundenfläche von mehr als 300 m2 außer in Kernzonen nur auf Sonderflächen für Handelsbetriebe zulässig. Gemäß § 110 Abs. 9 ROG sei § 48a ROG auf Bauvorhaben für Handelsbetriebe, für die am eine in erster Instanz erteilte Baubewilligung vorgelegen sei, nicht anzuwenden. Die Novelle LGBl. Nr. 35/2005 sei am in Kraft getreten. Eine Baubewilligung erster Instanz sei im vorliegenden Fall am nicht vorgelegen. Die Berufungsbehörde habe Änderungen der Rechtslage zu beachten. Das Bauvorhaben widerspreche nunmehr auf Grund des § 48a ROG dem Flächenwidmungsplan und sei somit gemäß § 26 Abs. 4 lit. a BO nicht genehmigungsfähig.

Der Beschwerdeführer erhob Vorstellung, die mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, nach § 113 Abs. 2 ROG alt sei lediglich zu prüfen, ob durch die Bebauung des betreffenden Grundstückes die (weitere) verkehrsmäßige Erschließung verhindert werde. Da diesbezüglich das entscheidungswesentliche verkehrstechnische Gutachten keine Anhaltspunkte aufweise, sei dieses nicht geeignet, die Abweisung des Bauansuchens zu begründen. Die Abweisung der Berufung durch den Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde sei jedoch zu Recht erfolgt. Unstrittig gehe es im vorliegenden Fall um einen Handelsbetrieb mit einer Kundenfläche von mehr als 300 m2. Im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde am sei § 48a ROG idF LGBl. Nr. 35/2005 jedenfalls anzuwenden gewesen. Nach § 110 Abs. 9 ROG sei § 48a ROG auf Bauvorhaben für Handelsbetriebe, für die am eine in erster Instanz erteilte Baubewilligung vorgelegen sei, nicht anzuwenden. Unstrittig sei, dass der Beschwerdeführer über keine am in erster Instanz erteilte Baubewilligung verfüge. Im Gegenteil sei die beantragte Baubewilligung ausdrücklich versagt worden. Somit sei § 110 Abs. 9 ROG auf das gegenständliche Bauvorhaben nicht anzuwenden. Vielmehr sei § 48a ROG maßgebend. Der gegenständliche Bauplatz sei als allgemeines Mischgebiet gewidmet. Eine Sonderfläche für Handelsbetriebe nach § 48a ROG liege nicht vor. Dem Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde sei daher beizupflichten, dass das Bauvorhaben nunmehr auf Grund des § 48a ROG dem Flächenwidmungsplan widerspreche und somit nicht bewilligungsfähig sei. Mangels entsprechender Widmung hätte daher auch in zweiter Instanz die Baubewilligung nicht erteilt werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer legt im Wesentlichen dar, die belangte Behörde habe die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers bestätigt, wonach die Gemeindebehörden zu Unrecht § 113 ROG alt zur Versagung der Baubewilligung herangezogen hätten. Bei richtiger Rechtsanwendung hätte dem Beschwerdeführer die Baubewilligung erteilt werden müssen, zumal die Baubehörde erster Instanz die Versagung der Baubewilligung einzig darauf gestützt habe, dass das Bauvorhaben mit § 113 ROG nicht im Einklang stehe. Außerdem sei eine Erledigung des Verfahrens in erster Instanz vor dem möglich gewesen, wie das Bescheiddatum vom und die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides am nachdrücklich zeigten. Dem Wortlaut nach würde zwar § 110 Abs. 9 ROG darauf hinauslaufen, dass für die Nichtanwendbarkeit des § 48a ROG entscheidend sei, dass bis zum zumindest in erster Instanz ein positiver Baubewilligungsbescheid vorliege. Andererseits werde im zweiten Satz des § 110 Abs. 9 ROG angeordnet, dass dann, wenn die Baubewilligung rechtskräftig erteilt werde, § 110 Abs. 7 ROG sinngemäß gelte. In dieser Bestimmung seien Regelungen für künftige Erweiterungen eines Lebensmittelmarktes enthalten. Die "Erteilung" einer ursprünglich versagten Baubewilligung sei auch noch im Rechtsmittelverfahren durch die Baubehörde zweiter Instanz möglich. Hingegen sei es ausgeschlossen, dass beim Vorliegen einer positiven Baubewilligung bis zum eine solche nach Ablauf des (nochmals) "rechtskräftig erteilt" werden könnte. Ein bis erlassener Baubewilligungsbescheid könne vielmehr nach diesem Stichtag höchstens in Rechtskraft erwachsen, nicht jedoch rechtskräftig "erteilt" werden. Von § 110 Abs. 9 erster Satz ROG sei somit auch der Fall erfasst, dass es bei einer ursprünglichen negativen Entscheidung der Baubehörde erster Instanz nachfolgend im Rechtsmittelverfahren zu einer (rechtskräftigen) Erteilung der Baubewilligung durch die Baubehörde zweiter Instanz kommt. Eine reine Wortinterpretation des ersten Satzes des § 110 Abs. 9 ROG sei nicht zulässig, zumal dann der genannte Abs. 9 als gesamtes gesehen keinen Sinnzusammenhang ergäbe. Es sei daher davon auszugehen, dass bis zum in erster Instanz ein Bescheid erlassen sein müsse, wobei es bei einem abweisenden Bescheid der ersten Instanz ausreichend sei, wenn im Rechtsmittelverfahren nachträglich die vorerst negative Entscheidung dahingehend abgeändert werde, dass nachfolgend eine Baubewilligung "rechtskräftig erteilt" werde, damit § 48a ROG nicht zur Anwendung komme. Dieses Ergebnis sei auch aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten. Die Rechtsmeinung der belangten Behörde würde nämlich bewirken, dass eine negative Entscheidung der Baubehörde erster Instanz, die vor dem getroffen worden sei, endgültig in dem Sinn wäre, dass eine nachträgliche Überprüfung im Rechtsmittelverfahren sowie durch den Verfassungsgerichtshof bzw. Verwaltungsgerichtshof nicht mehr möglich wäre. Damit würde das Gesetz jede (auch willkürliche) Entscheidung der Baubehörde erster Instanz rechtfertigen, was dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen sei. Es komme somit letztendlich nur auf die endgültige rechtskräftige Entscheidung der Behörden (allenfalls erst im Instanzenzug) an, ob die Bestimmung des § 48a ROG (Notwendigkeit einer Sonderflächenwidmung) anzuwenden sei oder nicht.

Die §§ 48a und 49 ROG idF LGBl. Nr. 35/2005 haben

auszugsweise folgenden Wortlaut:

"§ 48a

Sonderflächen für Handelsbetriebe

(1) Die Schaffung und die Erweiterung von Handelsbetrieben mit einer Kundenfläche von mehr als 300 m2 ist unbeschadet des § 49 außer in Kernzonen im Sinn des § 8 Abs. 3 nur auf Sonderflächen für Handelsbetriebe zulässig. § 8 Abs. 1 zweiter und dritter Satz und Abs. 2 gilt sinngemäß.

...

§ 49

Sonderflächen für Einkaufszentren

(1) Die Schaffung, die Erweiterung und die Änderung des Betriebstyps von Einkaufszentren ist nur auf Grundflächen, die als Sonderflächen für Einkaufszentren gewidmet sind, zulässig.

(2) Bei der Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren sind der zulässige Betriebstyp und das jeweils zulässige Höchstausmaß der Kundenfläche festzulegen. Weiters ist festzulegen, ob Lebensmittel angeboten werden dürfen. Gegebenenfalls ist ferner das zulässige Höchstausmaß jenes Teiles der Kundenfläche festzulegen, auf dem Lebensmittel angeboten werden dürfen."

§ 110 ROG idF LGBl. Nr. 35/2005 lautet auszugsweise:

"§ 110

Bestehende Einkaufszentren

und Handelsbetriebe

...

(7) § 48a ist auf die Erweiterung der am nach den raumordnungsrechtlichen Vorschriften rechtmäßig bestehenden Handelsbetriebe nicht anzuwenden, sofern das Ausmaß der Kundenfläche um höchstens 25 v. H. der zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer rechtskräftigen Baubewilligung zulässig gewesenen Kundenfläche erhöht wird. Das für die Begründung der Eigenschaft als Einkaufszentrum des jeweiligen Betriebstyps laut der Anlage zu den §§ 8 und 49 maßgebende Ausmaß der Kundenfläche darf nicht überschritten werden.

...

(9) § 48a ist auf Bauvorhaben für Handelsbetriebe, für die am eine in erster Instanz erteilte Baubewilligung vorgelegen ist, nicht anzuwenden. Wird die Baubewilligung rechtskräftig erteilt, so gilt Abs. 7 sinngemäß.

..."

Gemäß Art. III des Gesetzes LGBl. Nr. 35/2005 ist dieses Gesetz mit in Kraft getreten. Es datiert im Übrigen vom und wurde im Landesgesetzblatt am kundgemacht.

Für die belangte Behörde war bei der Überprüfung des Berufungsbescheides vom die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung dieses Berufungsbescheides maßgebend (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/06/0108). Der Berufungsbescheid vom ist dem Beschwerdeführer nach dem im Akt befindlichen Rückschein am zugestellt worden.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 110 Abs. 9 erster Satz ROG wird auf das Vorliegen einer in erster Instanz erteilten Baubewilligung am abgestellt. Die Auffassung des Beschwerdeführers widerspricht diesem Wortlaut. Soweit der Beschwerdeführer den zweiten Satz des § 110 Abs. 9 ROG für seine Rechtsmeinung ins Treffen führt, ist ihm Folgendes zu entgegnen:

§ 110 Abs. 7 ROG betrifft die Erweiterung der am bereits rechtmäßig bestehenden Handelsbetriebe. Durch § 110 Abs. 9 zweiter Satz ROG erfährt diese Regelung eine Ausdehnung dahingehend, dass sie sinngemäß auch für am noch nicht rechtmäßig bestehende Handelsbetriebe gilt. Welche Handelsbetriebe von dieser Erweiterung umfasst sind, regelt der erste Satz des Abs. 9, was sich aus dem Zusammenhang schon dadurch ergibt, dass der zweite Satz diesem ersten Satz nachgestellt ist und ohne den ersten Satz unverständlich bliebe. Auch der zweite Satz des § 110 Abs. 9 ROG setzt somit voraus, dass am eine in erster Instanz erteilte Baubewilligung vorgelegen ist. Er macht diese Voraussetzung, die sich schon aus seiner systematischen Nachstellung nach dem ersten Satz im selben Absatz ergibt, keineswegs, wie der Beschwerdeführer vermeint, hinfällig.

Abgesehen davon umfasst der erste Satz des Abs. 9 Fälle, in denen die erstinstanzliche Baubewilligung am bereits rechtskräftig gewesen ist, aber auch jene Fälle, in denen die erstinstanzliche Baubewilligung zwar erteilt, aber an diesem Tag noch nicht rechtskräftig gewesen ist. Wird die erstinstanzlich erteilte Baubewilligung in zweiter Instanz (aus anderen Gründen als der geänderten Rechtslage) versagt, erübrigt sich damit auch eine Regelung über die spätere Erweiterung des Handelsbetriebes. Nur dann, wenn eine rechtskräftige Baubewilligung, sei es der ersten Instanz oder sei es der zweiten Instanz, vorliegt, kann eine derartige Regelung überhaupt zum Tragen kommen. Gerade für diesen Fall stellt der zweite Satz des Abs. 9 die Handelsbetriebe nach Abs. 9 erster Satz jenen gleich, die bereits von Abs. 7 erfasst sind. Es trifft daher nicht zu, dass die Bestimmung des Abs. 9 als Gesamtes gesehen dann, wenn man dem Wortlaut des ersten Satzes folgt, keinen Sinnzusammenhang ergäbe.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist das von der belangten Behörde erzielte Ergebnis auch nicht verfassungsrechtlich bedenklich. Es liegt nämlich grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob er auf einen bestimmten Sachverhalt im Fall einer Änderung der Rechtslage die Anwendung des früheren oder des neuen Rechts anordnet (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 18.281, mwN).

Da im Übrigen aber grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der letztinstanzlichen Gemeindebehörde maßgebend ist, führt es auch zu keinen verfassungsrechtlichen Bedenken der hier maßgebenden Rechtslage, wenn die Überprüfung der Begründung der erstinstanzlichen Versagung einer Baubewilligung, die aus anderen Gründen als jenen der neuen Rechtslage erfolgt ist, nicht mehr von Relevanz ist.

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Zuspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am