VwGH vom 15.12.2011, 2010/21/0112

VwGH vom 15.12.2011, 2010/21/0112

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des G, zuletzt in B, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH, Dr. Wilfried Ludwig Weh, Wolfeggstraße 1, 6900 Bregenz, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom , Zl. UVS-1-159/E2-2009, betreffend Bestrafung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Strafausspruch und soweit er über Kosten des Strafverfahrens erkennt, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen (hinsichtlich des Schuldspruches) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stammt aus Serbien und ist Bruder eines österreichischen Staatsbürgers. Nachdem er gegenüber der Bezirkshauptmannschaft Bludenz (im Folgenden: BH) erklärt hatte, einen Aufenthalt in Österreich ohne Erwerbsabsicht anzustreben und von seinem Bruder "bereits jetzt" finanziell unterstützt zu werden, wurde ihm im April 2006 eine "Niederlassungsbewilligung-Angehöriger" erteilt.

Seit ist der Beschwerdeführer Mehrheitsgesellschafter und einzelvertretungsbefugter Geschäftsführer einer GmbH, die in Bludenz eine Pizzeria betreibt. Am wurde bei einer dort stattgefundenen Kontrolle festgestellt, dass der Beschwerdeführer Kellnertätigkeiten ausführe. Im Hinblick darauf wurde er einerseits gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus Österreich ausgewiesen (vgl. dazu näher das die Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Ausweisungsbescheid abweisende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0845). Andererseits erging gegen den Beschwerdeführer eine Strafverfügung. Ihm wurde vorgeworfen, er habe im Tatzeitraum bis "eine Änderung des Aufenthaltszweckes in Österreich während der Gültigkeit des Aufenthaltstitels durchgeführt und dies nicht ohne unnötigen Aufschub der Behörde bekanntgegeben bzw. Handlungen gesetzt, die vom Zweckumfang nicht erfasst sind", da er als Geschäftsführer und Gesellschafter für die T. GmbH tätig sei. Sein Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung-Angehöriger" schließe sowohl eine selbständige als auch unselbständige Erwerbstätigkeit aus. Der Beschwerdeführer habe "dadurch" § 77 Abs. 1 Z 1 NAG verletzt.

Der Beschwerdeführer erhob gegen die genannte, mit datierte Strafverfügung Einspruch und erstattete in weiterer Folge eine bei der BH am eingelangte Stellungnahme.

Mit Straferkenntnis vom verhängte die BH sodann über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 77 Abs. 1 Z 1 NAG gemäß § 77 Abs. 1 letzter Satz NAG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 50,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 84 Stunden) und trug ihm die Bezahlung von Strafverfahrenskosten auf. Der Tatvorwurf gleicht jenem, der bereits in der Strafverfügung vom erhoben worden war.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (die belangte Behörde) der gegen das genannte Straferkenntnis erhobenen Berufung keine Folge und verpflichtete den Beschwerdeführer überdies zur Zahlung weiterer Verfahrenskosten. Der Beschwerdeführer habe selbst eingeräumt - so die belangte Behörde im Ergebnis -, dass er im Tatzeitraum die Tätigkeit als handelsrechtlicher Geschäftsführer der fraglichen GmbH ausgeübt habe. Damit habe er, gleich ob diese Tätigkeit als selbständig oder als unselbständig zu qualifizieren sei, Handlungen gesetzt, die über den Zweckumfang einer "Niederlassungsbewilligung-Angehöriger" hinausreichten. Um eine "Straflosigkeit" (gemeint: Bestrafung) zu vermeiden, hätte der Beschwerdeführer somit eine "(zweckgeänderte) Niederlassungsbewilligung iS des NAG" erwirken müssen.

Im Rahmen der Erwägungen zur Strafbemessung führte die belangte Behörde u.a. aus, dass keine Erschwerungsgründe vorlägen. Als mildernd wertete sie (nur) die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers. Die BH war demgegenüber davon ausgegangen, dass "keine besonderen Erschwerungs- und Milderungsgründe zu berücksichtigen" gewesen seien.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 1437/09-3, abgelehnt. Über die sodann mit weiterem Beschluss vom dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene und in der Folge ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Arten und Form der Aufenthaltstitel" wird in § 8 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) Folgendes normiert:

"§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

1. 'Niederlassungsbewilligung' für eine nicht bloß vorübergehende befristete Niederlassung im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (Abs. 2) mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' (Z 3) zu erlangen;

(2) Niederlassungsbewilligungen gemäß Abs. 1 Z 1 werden erteilt als:

1. 'Niederlassungsbewilligung - Schlüsselkraft', die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung oder ein Gutachten nach §§ 12 Abs. 4 oder 24 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;

2. 'Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit', die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt;

3. 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt', die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt;

4. 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt', die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gilt, berechtigt;

5. 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger', die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt; die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist nur auf Grund einer nachträglichen quotenpflichtigen Zweckänderung erlaubt.

…"

Der Beschwerdeführer wurde wegen Übertretung des § 77 Abs. 1 Z 1 NAG bestraft. Diese Bestimmung (in der Stammfassung) lautet:

"§ 77. (1) Wer

1. eine Änderung des Aufenthaltszweckes während der Gültigkeit des Aufenthaltstitels der Behörde nicht ohne unnötigen Aufschub bekannt gibt oder Handlungen setzt, die vom Zweckumfang nicht erfasst sind;

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis

zu 200 Euro zu bestrafen."

Der Beschwerdeführer hatte eine "Niederlassungsbewilligung-Angehöriger" nach § 47 Abs. 3 Z 3 NAG inne. Diese Niederlassungsbewilligung berechtigte ihn, wie sich klar aus § 8 Abs. 2 Z 5 NAG ergibt (vgl. demgegenüber etwa § 8 Abs. 2 Z 3 und 4 NAG), auch nicht zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Indem er dennoch als Geschäftsführer tätig war, verwirklichte er somit - weil jedenfalls, unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des AuslBG, den Zweckumfang der erteilten Niederlassungsbewilligung überschreitend - das Tatbild des § 77 Abs. 1 Z 1 NAG. Dass ihn hieran kein Verschulden traf, vermag er mit der zur mangelnden Strafbarkeit des Verhaltens nunmehr in der vorliegenden Beschwerde im Ergebnis allein aufgestellten Behauptung, die Bestimmungen des NAG seien "derart nebulos", dass der einzelne Normunterworfene mit der Anwendung und Einhaltung des Gesetzes schlichtweg überfordert sei, nicht darzutun.

Mit Recht rügt der Beschwerdeführer allerdings die lange Verfahrensdauer. Sie geht maßgeblich darauf zurück, dass nach Einlangen der oben erwähnten Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der BH am bis zur Ausfertigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses mehr als zwei Jahre vergingen, ohne dass in diesem Zeitraum erkennbare Verfahrensschritte gesetzt worden wären. Es ist nicht ersichtlich, worauf dieses Zuwarten der BH zurückgeführt werden könnte; eine ungewöhnliche Komplexität und Schwierigkeit der vorliegenden Strafsache ist jedenfalls nicht erkennbar. Von daher ist die Verfahrensdauer nicht mehr als angemessen im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren, was in Anwendung des § 19 VStG iVm § 34 Abs. 2 StGB als strafmildernd zu bewerten gewesen wäre (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/09/0209). Das hat die belangte Behörde unterlassen, weshalb der bekämpfte Bescheid in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war. Hinsichtlich des Schuldspruches war die Beschwerde dagegen, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. Der Anforderung des Art. 6 EMRK wurde im gegenständlichen Fall durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde, einem Tribunal im Sinne der EMRK, Genüge getan (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/09/0011).

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am