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VwGH vom 19.05.2011, 2010/21/0106

VwGH vom 19.05.2011, 2010/21/0106

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, 1010 Wien, Schottenring 7-9, gegen den am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, Zl. UVS- 01/11/768/2010-9, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: S, vertreten durch die Marschall Heinz Rechtsanwalts-Partnerschaft, 1010 Wien, Goldschmiedgasse 8; weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Tunesiens, reiste im Februar 2003 in das Bundesgebiet ein und heiratete hier am die österreichische Staatsbürgerin Z. Hierauf gestützt stellte er am den Antrag auf Erteilung "einer Niederlassungsbewilligung/eines Niederlassungsnachweises". In der Folge leitete die Fremdenpolizeibehörde Erhebungen zum Vorliegen einer Scheinehe ein.

Mit im Instanzenzug (im zweiten Rechtsgang) ergangenem Bescheid vom erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Mitbeteiligten gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf acht Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Dies begründete sie damit, der Mitbeteiligte sei die erwähnte Ehe mit Z. nur zum Schein eingegangen. Der Bescheid vom wurde RA Dr. F., welcher der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien die rechtsfreundliche Vertretung des Mitbeteiligten mit am bei dieser eingelangten Eingabe vom (Blatt 223 der vorgelegten Verwaltungsakten) angezeigt hatte, am per Fax übermittelt. Eine Beschwerde an den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof wurde gegen diesen Bescheid nicht erhoben.

Der Mitbeteiligte verblieb in der Folge im Bundesgebiet, hielt sich jedoch nicht mehr an seiner bisherigen Meldeadresse auf. Am wurde er in einer anderen Wohnung aufgefunden und festgenommen.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom verhängte die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft "zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung (§§ 53, 54 FPG), des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (§ 60 FPG) und der Abschiebung (§ 46 FPG)".

Begründend führte sie nach zusammenfassender Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, der Mitbeteiligte sei vor rund drei Wochen aus seiner bisherigen Wohnung ausgezogen, habe sich behördlich aber nicht abgemeldet. Von seiner österreichischen Ehegattin (Z.) lebe er seit vier Jahren getrennt. In der Wohnung, in der er aufgegriffen worden sei, habe er "nur wenige Effekten". Er sei ohne Beschäftigung und mittellos. Sein Vater lebe in Tunesien, alle anderen Verwandten in Frankreich. Er werde "von Freunden fallweise unterstützt", habe jedoch deren Namen oder Adressen nicht genannt. Auch habe er auf derartige Unterstützungen keinen Rechtsanspruch. Er wolle das Bundesgebiet, zu dem er keine beruflichen und familiären Bindungen aufweise, nicht verlassen und sei somit als ausreiseunwillig zu betrachten. Es lägen daher die Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft vor, gelindere Mittel hätten nicht zur Anwendung gelangen können.

Dieser Bescheid wurde dem Mitbeteiligten, der dessen Annahme verweigerte, noch am selben Tag zugestellt; auch seinem Rechtsvertreter, RA Dr. F., wurde der Bescheid am selben Tag per Fax übermittelt. Auf Grund dieses Bescheides wurde der Mitbeteiligte bis zum in Schubhaft angehalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom erklärte die belangte Behörde über Schubhaftbeschwerde vom "die Schubhaft sowie die Anhaltung gemäß § 67c Abs. 3 AVG in Verbindung mit §§ 61, 72 und 73 Fremdengesetz, BGBl. I 100/2005, sowie unter Einbeziehung des §§ 27 und 28 Ehegesetz 1938, Deutsches Reichsgesetzblatt I S. 807/1938, für rechtswidrig".

Begründend führte sie - auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst - aus, der genannte Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom sei nicht wirksam erlassen worden, weil er dem damaligen Rechtsvertreter des Mitbeteiligten Dr. W. - dieser war zunächst als Vertreter des Mitbeteiligten eingeschritten, hatte dann aber mit die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt gegeben - nicht zugestellt worden sei. Der - hierauf gestützt - die Schubhaft anordnende Bescheid vom basiere damit auf einer unrichtigen Voraussetzung. Auch lägen inhaltlich die Erfordernisse für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht vor, weil sich nach den zitierten Bestimmungen des EheG niemand auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen dürfe, solange diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden sei.

Der die Schubhaft anordnende Bescheid vom sei zudem ohne Dolmetscher dem Mitbeteiligten gegenüber erlassen und dessen Rechtsvertreter nicht zur Kenntnis gebracht worden. Von dessen Verständigung "entbinde" auch nicht die Bestimmung des § 76 Abs. 4 FPG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen hat:

Zunächst ist festzuhalten, dass der belangten Behörde - wie sich aus dem einleitend wiedergegebenen Sachverhalt ergibt - hinsichtlich der Zustellung des Bescheides der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom eine Aktenwidrigkeit unterlaufen ist. Dieser Bescheid (Aufenthaltsverbot) wurde dem - nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten (was auch das Vorliegen einer von der belangten Behörde nunmehr behaupteten Neuerung im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ausschließt) zweifelsfrei ausgewiesenen - Rechtsvertreter des Mitbeteiligten, der Zustellverfügung entsprechend, noch am per Fax übermittelt. Dass dieses Fax nicht zugegangen sei, wurde nie behauptet, sodass von einer wirksamen Bescheiderlassung mit auszugehen ist. Die Rechtskraft dieses Bescheides bewirkt somit das Vorliegen einer bindenden Entscheidung, sodass die - von der belangten Behörde dennoch vorgenommene - Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit des Aufenthaltsverbotes ausgeschlossen ist. Dazu kommt, dass Schubhaft nach der klaren Anordnung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FPG u.a. auch angeordnet werden kann, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes abzusichern. Die wirksame Zustellung oder Rechtskraft eines ein Aufenthaltsverbot anordnenden Bescheides ist somit generell keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Schubhaft nach der genannten Gesetzesstelle.

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass die - von der Fremdenpolizeibehörde vorzunehmende - Prüfung des Vorliegens einer Scheinehe nicht voraussetzt, dass die Ehe gemäß § 23 EheG für nichtig erklärt worden ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0416, mwN).

Was die Zustellung des die Schubhaft anordnenden Bescheides vom anlangt, so enthält § 76 Abs. 4 FPG folgende Anordnung:

"(4) Hat der Fremde einen Zustellungsbevollmächtigten, so gilt die Zustellung des Schubhaftbescheides auch in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem eine Ausfertigung dem Fremden tatsächlich zugekommen ist. Die Zustellung einer weiteren Ausfertigung an den Zustellungsbevollmächtigten ist in diesen Fällen unverzüglich zu veranlassen."

Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass bereits die Zustellung des Schubhaftbescheides an den Fremden zu einer rechtswirksamen Erlassung des Bescheides führt. Beim zweiten Satz des § 76 Abs. 4 FPG (Zustellung einer weiteren Ausfertigung an den Zustellungsbevollmächtigten) handelt es sich lediglich um eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung nicht die Rechtswidrigkeit der Schubhaft nach sich zieht. Dies entspricht der auf § 76 Abs. 4 FPG übertragbaren Judikatur zum inhaltsgleichen § 41 Abs. 3 FrG 1992 (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/02/0292, vom , Zl. 94/02/0525, und vom , Zl. 97/02/0188).

Es bestand aber auch nicht die von der belangten Behörde unterstellte Verpflichtung der Bundespolizeidirektion Wien, ihren Bescheid vom dem Mitbeteiligten gegenüber zur Gänze zu übersetzen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0953, mwN). Das gilt fallbezogen umso mehr, weil der Mitbeteiligte durch einen Rechtsanwalt vertreten war und darüber hinaus (zuletzt in der von der belangten Behörde durchgeführten Verhandlung vom ) das Vorliegen ausreichender Deutschkenntnisse ins Treffen geführt hat.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die belangte Behörde zu Unrecht sowohl von der rechtlichen Maßgeblichkeit als auch vom tatsächlichen Fehlen der bereits erfolgten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber dem Mitbeteiligten ausgegangen ist und auch ohne taugliche Rechtsgrundlage das bisherige Unterbleiben einer rechtswirksamen Erlassung des die Schubhaft anordnenden Bescheides vom unterstellt hat. Die entsprechenden Einwände der Amtsbeschwerde erweisen sich somit als berechtigt, sodass der angefochtene Bescheid wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am