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VwGH vom 23.04.2020, Ra 2019/01/0368

VwGH vom 23.04.2020, Ra 2019/01/0368

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision 1. des G K, 2. der S L,

3. des N K und 4. des I K, der Dritt- und der Viertrevisionswerber vertreten durch den Erstrevisionswerber und durch die Zweitrevisionswerberin, alle vertreten durch Mag. Josef Philip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zlen. 1. L518 2184644- 2/43E, 2. L518 2184652-2/43E, 3. L518 2184649-2/40E und

4. L518 2184645-2/40E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es den Drittrevisionswerber betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertrevisionswerber. Alle Revisionswerber sind georgische Staatsangehörige und stammen aus Abchasien.

2 Die Revisionswerber stellten jeweils am Anträge auf internationalen Schutz, die sie unter anderem damit begründeten, dass es in Georgien für die Revisionswerber als Binnenflüchtlinge keine Unterstützung und keine medizinische Hilfe für den Dritt- und den Viertrevisionswerber gebe.

3 Der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) bestellte Sachverständige aus dem Fachgebiet der Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendneurologie führte in seinem Gutachten vom unter anderem zum Gesundheitszustand des Drittrevisionswerbers zusammengefasst aus, dieser leide an einer schweren Autoimmunerkrankung. Es handle sich um eine besondere chronisch verlaufende Erkrankung mit ungewissem Verlauf für die Zukunft. Der Drittrevisionswerber erhalte eine Cortison- sowie eine Chemotherapie mit einem näher bezeichneten Medikament. Im Falle der Unterbrechung der Behandlung müsse mit weiteren Schüben gerechnet werden. Der Drittrevisionswerber benötige ständige Kontrollen und Anpassungen der immunsupressiven Therapie, die er in Abchasien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erhalten werde. Im Falle des Abbruchs der Behandlung bestehe das Risiko einer Chronifizierung mit Ausbreitung in das Gesicht oder eines Übergangs in eine systemische Form mit Organbeteiligung. In diesem Fall sei die Prognose "infaust". Der Drittrevisionswerber würde im Falle einer Rückführung "ernsten Schaden" in seiner "Gesundheit beziehungsweise Gedeihen nehmen".

4 Mit Bescheiden des BFA jeweils vom wurden die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen, den Revisionswerbern kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, Rückkehrentscheidungen gegen sie erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Zudem erließ das BFA ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin. 5 Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom wurde die dagegen erhobene Beschwerde, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wurde der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

6 Begründend führte das BVwG betreffend die Zurückverweisung - auf das hier Wesentliche zusammengefasst - aus, dass aufgrund von Ermittlungs- und Feststellungsmängeln nicht erkennbar sei, ob die Abschiebung der Revisionswerber einen Eingriff in die durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte bewirke. Das BFA hätte sich mit den Angaben des Gutachters konkret auseinandersetzten müssen. Es könne nicht unerörtert im Raum stehen gelassen werden, dass der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt habe, "beide Kinder" (also der Dritt- und der Viertrevisionswerber) würden im Fall einer Rückführung Schaden nehmen. Es werde vor einer Einvernahme des Sachverständigen eine Anfragebeantwortung zur Behandlungsmöglichkeit einzuholen sein, auf die der Gutachter hingewiesen werden könne. Das BFA habe abzuklären, welche Behandlungsmöglichkeiten es in Georgien gebe, welche Kosten dafür entstehen könnten sowie welche konkreten Zugangs- und Unterstützungsmöglichkeiten es für die Revisionswerber gebe. 7 Nach der Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Verfügbarkeit des näher bezeichneten Medikaments und der Unterstützung von Abchasen in Georgien wies das BFA die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheiden jeweils vom als unbegründet ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen gegen die Revisionswerber und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei. Unter einem erkannte es den Beschwerden gegen diese Entscheidungen die aufschiebende Wirkung ab und erließ gegen den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin jeweils auf fünf Jahre befristete Einreiseverbote.

8 Gegen diese Bescheide erhoben die Revisionswerber Beschwerde, mit der sie ein offenkundig auf ihr Ersuchen hin erstelltes Ergänzungsgutachten des vom BFA beauftragten Sachverständigen vom vorlegten, in dem dieser unter anderem ausführte, dass der Drittrevisionswerber eine Mono-Therapie mit dem näher bezeichneten Medikament erhalte. Es sei nicht ausreichend, dass das Präparat in Georgien zur Verfügung gestellt werde. Aufgrund des hohen Risikos bei der Verabreichung des Medikaments und der Nebenwirkungen könne eine Therapie nur gelingen, wenn sich eine onkologisch spezialisierte Klinik in der Umgebung befinde oder ein Facharzt die Basisbetreuung übernehme und im Falle einer toxischen Krise rasch eingreifen könne. Der Sachverständige bezweifle, dass das Präparat in Georgien verfügbar sei. Sofern das Medikament nicht regelmäßig eingenommen werde, sei mit einer "raschen Exacerbation" der Erkrankung zu rechnen, zumal der Drittrevisionswerber "noch nicht Rezidiv frei" sei. Der Drittrevisionswerber könnte im Falle einer Abschiebung nach Georgien sterben.

9 Mit Erkenntnis des BVwG vom wurde die Beschwerde der Revisionswerber mit der Maßgabe, dass die Einreiseverbote mit 2 Jahren bemessen wurden, als unbegründet abgewiesen.

Dieses Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2018/14/0303, infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, weil die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht vorgelegen waren. 10 Mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung "mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als die wider die volljährigen BF verhängten Einreiseverbot mit 2 Jahren bemessen werden". Zudem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11 Begründend führte das BVwG hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Drittrevisionswerbers aus, dieser leide an einer näher bezeichneten Autoimmunerkrankung, sei vorerst mit Cortison behandelt und dann auf eine Mono-Therapie mit einem näher bezeichneten Medikament umgestellt worden. Seit drei Monaten erhalte der Drittrevisionswerber keinerlei Medikamente. Dieses Medikament sei in Georgien verfügbar, wobei es hinsichtlich der Finanzierung eine Staffelung der benötigten Medikamente gebe. Der Drittrevisionswerber finde in Georgien die notwendigen Behandlungsmöglichkeiten vor. Zudem stellte das BVwG disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung fest, dass der Drittrevisionswerber keine Behandlung benötige.

12 Zu den Ausführungen des Sachverständigen führte das BVwG aus, dass sich in dessen Gutachten Suggestivfragen finden würden und der Gutachter aufgrund der Angaben der Revisionswerber zu diversen Schlussfolgerungen gelangt sei. Einige Ausführungen seien auch anhand der Angaben der Revisionswerber nicht nachvollziehbar und der Schlusssatz des Gutachtens lege nahe, dass der Sachverständige die Grundsätze der für die Gutachtenserstellung nötigen Regeln nicht eingehalten habe. Es sei nach der Aktenlage nicht ersichtlich, woher der Sachverständige die Sachkenntnis für die Beurteilung des georgischen Gesundheitssystems habe. Das BVwG folge dem Sachverständigengutachten aber insoweit, als es sich auf die Darlegung der Erkrankungen und der allgemeinen Behandlungsnotwendigkeiten der Revisionswerber beziehe. 13 Der Antrag der Revisionswerber auf Einvernahme des Sachverständigen gehe aufgrund der fehlenden Qualifikation des Sachverständigen zu länderspezifischen Aussagen ins Leere. Das BVwG habe sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung und des Verhaltens der Revisionswerber bereits ein Bild von den Revisionswerbern machen können und das BVwG gehe davon aus, dass der Sachverständige bestätigen werde, dass ihm die Revisionswerber die Wahrheit erzählt hätten. Die Einvernahme des Sachverständigen, der offensichtlich versuche, die Revisionswerber zu unterstützen, führe daher zu keiner anderen Sachverhaltsbeurteilung. 14 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zusammengefasst unter Zitierung näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rügt, das BVwG habe sich mit dem vom BFA beauftragten Gutachten nicht ausreichend auseinandergesetzt und das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen weitgehend ignoriert. Der Gutachter habe "keinen Zweifel offen gelassen", dass die bloße Verabreichung des näher bezeichneten Medikaments nicht ausreichend sei. Der Drittrevisionswerber stehe in engmaschiger Behandlung im Allgemeinen Krankenhaus, was aufgrund der Nebenwirkungen erforderlich sei. Zudem hätten die Revisionswerber die Einvernahme des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung beantragt, zumal dieser in seinem Gutachten dargelegt habe, dass ihm länderspezifische Dokumentationen des BFA über Georgien vorgelegen seien. Das BVwG selbst habe in seinem Erkenntnis vom noch die Befragung des Sachverständigen zur Erhältlichkeit und Therapierbarkeit der Erkrankungen des Drittrevisionswerbers "angeregt", weder das BFA noch das BVwG habe die Befragung jedoch in weiterer Folge durchgeführt.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

16 Die Revision ist zulässig und sie ist auch begründet.

17 In der vorliegenden Rechtssache geht es alleine um die Rechtsfrage, ob dem Drittrevisionswerber aufgrund seiner schweren Krankheit gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu erteilen ist.

Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom , C-542/13, M'Bodj, Rn. 43 bis 46, einem Mitgliedstaat verwehrt ist, "Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, mit denen die in dieser Richtlinie vorgesehene Rechtsstellung einer Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz einem an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen wegen der Gefahr der Verschlechterung seines Gesundheitszustands, die auf das Fehlen einer angemessenen Behandlung in seinem Herkunftsland zurückzuführen ist, zuerkannt wird, da solche Bestimmungen mit dieser Richtlinie nicht vereinbar sind". Daher ist es dem nationalen Gesetzgeber - auch unter Berufung auf Art. 3 der Statusrichtlinie - verboten, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuerkennen (vgl. , mwN auf die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere , Ahmedbekova).

Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof auch dargelegt, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen würde. Damit würde der Statusrichtlinie zu Unrecht eine ihr im gegebenen Zusammenhang nicht zukommende unmittelbare Wirkung zugeschrieben. Infolge dessen sei an der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann, festzuhalten (vgl. -0400, mit Verweis auf ).

Daher ist vorliegend - bis zur Schaffung einer unionsrechtskonformen Rechtslage durch den Gesetzgeber des AsylG 2005 - weiterhin davon auszugehen, dass eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine schwere Krankheit nach nationalem Recht des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet.

18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung etwa , mwN und Hinweis auf EGMR , Paposhvili gegen Belgien, 41738/10).

19 Ob derartige außergewöhnliche Umstände vorliegen, ist eine von der Behörde bzw. vorliegend dem BVwG zu beurteilende Rechtsfrage. Diese Beurteilung setzt aber nachvollziehbare Feststellungen über die Art der Erkrankung des Betroffenen und die zu erwartenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand im Falle einer (allenfalls medizinisch unterstützen) Abschiebung voraus (vgl. etwa -0313, und , mwN).

20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des VwG. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (siehe , mwN). Eine antizipierende Beweiswürdigung liegt dann vor, wenn ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorweggenommen wird (vgl. etwa , mwN).

21 Wenngleich die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes unterliegt (vgl. etwa , mwN), führt die Revision zu Recht ins Treffen, dass die Ablehnung des Beweisantrages auf Einvernahme des Sachverständigen bereits vor dem Hintergrund, dass das BVwG die Einvernahme ursprünglich selbst in seinem Erkenntnis vom noch für erforderlich erachtet hatte, nicht nachvollziehbar erscheint.

22 Soweit das BVwG dem Beweisantrag auf Einvernahme des Sachverständigen deshalb nicht folgte, weil die Befragung des Sachverständigen zu keiner anderen Sachverhaltsbeurteilung führen könne und der Sachverständige "offensichtlich" versuche, die Revisionswerber zu unterstützen, handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.

23 Sollte das BVwG in diesem Zusammenhang Bedenken gegen das Gutachten des Sachverständigen haben, so wird es gehalten sein, den Amtssachverständigen unter Vorhalt seiner Überlegungen zur Ergänzung seines Gutachtens aufzufordern oder erforderlichenfalls ein weiteres Gutachten einzuholen (, mwN).

24 Nach dem oben Gesagten hat das BVwG somit - wie in der Revision zu Recht geltend gemacht wird - sein Erkenntnis mit relevanten Verfahrensmängeln belastet.

25 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit es den Drittrevisionswerber betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

26 Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Revisionswerber als Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidung (vgl. etwa , mwN). Das Erkenntnis war daher, soweit es den Erstrevisionswerber, die Zweitrevisionswerberin und den Viertrevisionswerber betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

27 Die Kostenentscheidung gründet auf § 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010368.L00
Schlagworte:
Anforderung an ein Gutachten Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene Gutachten Ergänzung

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