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VwGH vom 22.04.2008, 2008/18/0129

VwGH vom 22.04.2008, 2008/18/0129

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des S K, (geboren am ), in Wien, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 1449/04, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen pakistanischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 60 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Rückkehrverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei nach eigenen Angaben am nach Österreich eingereist und habe am einen Asylantrag eingebracht. Dieses Verfahren sei derzeit beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig. Der Beschwerdeführer verfüge über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz.

Bereits am sei der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Josefstadt gemäß §§ 223 Abs. 2, 15, 228 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er versucht habe, durch Vorlage eines teilgefälschten pakistanischen Duplikatführerscheins einen österreichischen Führerschein zu erlangen.

Zuletzt sei der Beschwerdeführer am vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß §§ 142 Abs. 1, 143, 15, 206 Abs. 1 und 3 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Er sei für schuldig gesprochen worden, gemeinsam mit einem Mittäter im Zeitraum vom bis zum Raubüberfälle auf eine OMV-Tankstelle, eine Billafiliale sowie eine ältere Frau verübt zu haben, indem er die Angestellten bzw. die Dame unter Vorhalt einer Gaspistole zur Herausgabe von Bargeld gezwungen habe, was in einem Fall aber misslungen sei. Außerdem sei der Beschwerdeführer verurteilt worden, weil er in der Zeit von Mai 2002 bis zum mit der am geborenen M M. in zumindest vier Fällen den Beischlaf unternommen habe, wobei die Unmündige schwanger geworden sei.

Es könne kein Zweifel bestehen, dass der im § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Tatbestand verwirklicht sei. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - hier: das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität bzw. an der Unversehrtheit der körperlichen Integrität - in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Rückkehrverbots vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 FPG (auch) im Grund des § 62 Abs. 1 leg. cit. gegeben seien.

Der Beschwerdeführer, der sich bereits mehr als neun Jahre in Österreich aufhalte, verfüge im Inland über familiäre Bindungen zu seinem minderjährigen Kind. Es sei daher von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in seine persönlichen Interessen auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung dieser fremdenpolizeilichen Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, dringend geboten und sohin im Grund des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Das teilweise wiederkehrende (gleichgelagerte) strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr augenfällig, dass er nicht gewillt sei, die für ihn maßgebenden Rechtsvorschriften seines Gastlands einzuhalten. Von daher gesehen könne eine Verhaltensprognose keinesfalls zu Gunsten des Beschwerdeführers gestellt werden. Dies umso weniger, als seine Straftaten von hoher krimineller Energie gekennzeichnet seien und er überdies ein 13-jähriges Mädchen geschwängert habe.

Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer einen Teil seines Aufenthalts im Bundesgebiet in Gerichtshaft verbracht. Die Bindung zur Mutter seines Kindes sei insofern zu relativieren, als er mit dieser nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Überdies entstamme das Kind einer strafbaren Handlung. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auswirkungen eines Rückkehrverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seines Kindes keinesfalls schwer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Angesichts des dargestellten Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten habe von der Erlassung des Rückkehrverbots auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer leitet aus seiner ins Treffen geführten Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin ab, dass der angefochtene Bescheid von einem unabhängigen Tribunal zu erlassen gewesen wären. Mit diesem Vorbringen geht er (ungeachtet der Frage, ob ihm die Lebensgemeinschaft die Stellung eines Angehörigen iSd § 2 FPG verschaffen könnte) schon deswegen fehl, weil sich der Beschwerde kein Anhaltspunkt dafür entnehmen lässt, dass diese Lebensgefährtin ihr gemeinschaftsrechtliches Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hätte. Schon deshalb kann nicht gesehen werden, dass die belangte Behörde zur Entscheidung über die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht zuständig gewesen wäre (vgl. § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG; vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0119). Damit kann sich die Beschwerde aber im Übrigen auch nicht mit Erfolg auf die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, berufen. Vor diesem Hintergrund ist eine Befassung des Europäischen Gerichtshofs mit einer Vorlage nach Art. 234 EG, wie dies der Beschwerdeführer mit Blick auf die Richtlinie 2004/38/EG anregt, nicht erforderlich. Abgesehen davon erscheint eine Regelung, die darauf abstellt, dass ein EWR-Bürger das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, entgegen der Beschwerde nach dem Legalitätsprinzip gemäß Art. 18 B-VG hinreichend determiniert (vgl. dazu wiederum das hg. Erkenntnis Zl. 2006/18/0119, sowie den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B 236/06 u.a.). Da der genannte § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG in Verfassungsrang steht, kann die Erlassung des angefochtenen Bescheides durch die belangte Behörde auch keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (wie dies der Beschwerdeführer annimmt) bedeuten (vgl. dazu nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 2006/18/0119). Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ergänzend auf Art. 6 EMRK hinweist, ist ihm zu entgegnen, dass fremdenpolizeiliche Maßnahmen nicht in den Anwendungsbereich der genannten Konventionsbestimmung fallen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/18/0028, mwH).

2. Die (nicht bekämpfte) Ansicht der belangten Behörde, dass der (gemäß § 62 Abs. 2 FPG) heranziehbare Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. erfüllt sei, begegnet in Anbetracht der im angefochtenen Bescheid genannten rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers vom keinen Bedenken.

3. Die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet schon im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer wiederholt mehrere Monate hinweg verübten (im angefochtenen Bescheid ausreichend dargestellten) Raubüberfälle und die daraus abzuleitende besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers keinem Einwand. Dieses wiederholte Fehlverhalten des Beschwerdeführers liegt auch noch nicht so lange zurück, dass angesichts des seither verstrichenen Zeitraums (auch unter Bedachtnahme auf ein vom Beschwerdeführer behauptetes zwischenzeitliches Wohlverhalten) ein Wegfall oder doch eine maßgebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr anzunehmen wäre. Weiters liegt dem Beschwerdeführer unstrittig auch ein Verstoß gegen § 206 Abs. 1 und 3 StGB das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (in qualifizierter Form) zur Last, was eine schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit darstellt, wobei er nach den unstrittigen Feststellungen sein strafbares Verhalten ebenfalls wiederholt gesetzt hat. Dazu kommt noch, dass der Beschwerdeführer durch die im angefochtenen Bescheid beschriebene Vorlage eines teilgefälschten pakistanischen Duplikatführerscheins auch dem öffentlichen Interesse an der Zuverlässigkeit von Urkunden im Rechtsverkehr zuwidergehandelt und sich durch die erfolgte rechtskräftige Verurteilung nicht davon abhalten hat lassen, neuerlich straffällig zu werden und dabei sein kriminelles Verhalten noch ganz erheblich zu steigern. Angesichts des dargestellten Gesamtfehlverhaltens vermag der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Umstand, dass er nicht - wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid angenommen - am , sondern erst am geboren worden sei und zur Tatzeit noch Jugendlicher gewesen sei, an der vorstehenden Beurteilung nichts zu ändern. Mit dem Vorbringen, der gerichtliche Strafausspruch sei teilweise bedingt erfolgt, übersieht die Beschwerde, dass die Fremdenpolizeibehörde ihre Beurteilung eigenständig aus dem Blickwinkel des FPG und unabhängig von strafgerichtlichen Erwägungen zur Strafbemessung zu treffen hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0438, mwH).

4.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 66 FPG. Der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers liege in Österreich, wo er sich seit rund zehn Jahren aufhalte, in seinem Heimatland bestünden im Verhältnis dazu weniger familiäre bzw. freundschaftliche Beziehungen. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung hätten in Österreich intensive familiäre Bindungen bestanden, der Beschwerdeführer habe ein Kind mit seiner Lebensgefährtin. Das im Beschwerdefall sehr hohe Integrationsausmaß der Familie des Beschwerdeführers sei von der belangten Behörde "nicht behandelt" worden. Feststellungen zum Integrationsausmaß der Lebensgefährtin und des Kindes würden fehlen, ferner sei es für die Beurteilung nach Art. 8 EMRK nicht relevant, dass das Kind einer strafbaren Handlung entstamme. Nach dem Familienbegriff des Art. 8 EMRK seien auch eheähnliche Verhältnisse bzw. die Beziehung zwischen unverheirateten Partnern geschützt. Die belangte Behörde habe sich auch nicht danach damit auseinandergesetzt, mit welchen Schwierigkeiten seine Lebensgefährtin in seinem Heimatland konfrontiert wäre.

4.2. Angesichts der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers ist mit dem Aufenthaltsverbot ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Wenn die belangte Behörde dennoch angesichts des schweren Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die Erlassung der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme im Licht des § 66 Abs. 1 FPG für zulässig, weil dringend geboten erachtet hat, so ist dies in Ansehung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Rechte und Freiheiten sowie zum Schutz der Moral nicht als rechtswidrig zu erkennen. Unter Zugrundelegung dieses großen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 2 FPG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Die Integration des Beschwerdeführers hat in der für sie wesentlichen sozialen Komponente (entgegen der Beschwerde) durch das von ihm gesetzte Fehlverhalten - insbesondere durch die von ihm begangenen massiven Eigentums- und Gewaltdelikte sowie durch sein gravierendes strafbares Verhalten gegen die Sittlichkeit - eine ganz erhebliche Beeinträchtigung erfahren. Von daher gesehen hat die belangte Behörde der durch die Straftaten des Beschwerdeführers bewirkten Gefährdung der maßgeblichen öffentliche Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbots im Grunde des § 66 Abs. 2 FPG - auch unter Berücksichtigung der ins Treffen geführten Bindungen zu seinem Kind und zu seiner Lebensgefährtin sowie des Vorbringens zu seinem Heimatland - zu Recht kein geringeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und die seiner Angehörigen.

5. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers iSd § 55 Abs. 3 FPG wäre eine auf einer Ermessensübung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0294, mwH).

6. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe den Sachverhalt (etwa infolge des Unterlassens einer Einvernahme des Beschwerdeführers) nicht ausreichend ermittelt, als nicht zielführend.

7. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am