VwGH vom 24.03.2010, 2006/06/0099
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des AE in F, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Mag. Marina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch und Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA18E-80.30-372/02-127, betreffend Wiederaufnahme eines Enteignungsverfahrens (mitbeteiligte Partei: Land Steiermark, Straßenverwaltung, 8010 Graz, Landhausgasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom wurden gemäß §§ 48 bis 50 des Landesstraßenverwaltungsgesetzes 1964 für die Ausführung des Straßenbauvorhabens an der Landesstraße Nr. 379 im Baulos "Feldkirchnerstraße - Flughafen" im Detailprojekt 2001 vom näher gekennzeichnete Teilflächen und sonstige Anlagen dauernd und lastenfrei zugunsten des Landes Steiermark, Landesstraßenverwaltung, enteignet und die Höhe der Entschädigung für die angeführten Liegenschaftseigentümer bestimmt. Unter Nr. 9 wurde der Beschwerdeführer genannt, und zwar hinsichtlich seiner Liegenschaft Grundstück Nr. 238/1, EZ 1601, KG L, wobei von diesem Grundstück von 1018 m2 eine Restflächeneinlöse von 255 m2 zu je EUR 92,02 verfügt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/06/0079, mit welchem eine Beschwerde des Beschwerdeführers (u.a.) gegen diesen Bescheid abgewiesen worden war).
Zu dem Detailprojekt 2001 befinden sich im vorgelegten Verwaltungsakt ein Übersichtslageplan, ein Detaillageplan und ein Grundstücksverzeichnis. Mit derselben Geschäftszahl und derselben Datierung befindet sich im Akt ferner ein Grundeinlöseplan, bezeichnet allerdings als "Detailprojekt 2000".
Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiederaufnahme des Enteignungsverfahrens gemäß § 69 AVG. Darin führte er im Wesentlichen aus, er habe am anlässlich einer Akteneinsicht beim Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz zwei Schreiben der Steiermärkischen Landesregierung, gerichtet an dieses Bezirksgericht, erhalten. Durch diese Schreiben habe er erstmals davon Kenntnis erlangt, dass dem Enteigungsverfahren offenbar kein Grundeinlöseplan zugrunde gelegen sei. Zwar habe die Steiermärkische Landesregierung mit Schreiben vom dem genannten Bezirksgericht einen Grundeinlöseplan übermittelt, allerdings in der Fassung der Änderung 2003. Es liege auf der Hand, dass das Vorhandensein von Grundeinlöseplänen bereits im Enteignungsverfahren zu einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid geführt hätte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse aus dem Spruch eines Enteignungsbescheides eindeutig hervorgehen, welche Grundflächen konkret in Anspruch genommen würden. Diesem Bestimmtheitsgebot könne, wenn nicht ganze Grundparzellen enteignet würden, nur durch den Hinweis auf entsprechende, dem Verfahren zugrunde gelegene planliche Unterlagen, die dann einen integrierenden Bestandteil des Bescheides darstellten, oder zumindest durch Zustellung mit einer mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Ausfertigung eines Projektplanes entsprochen werden. Der Bescheid vom stütze sich zwar formell auf den Grundeinlöseplan erster Bauabschnitt sowie zweiter Bauabschnitt, der allerdings nach dem genannten Schreiben bei der Behörde nicht mehr aufliege. Dem Beschwerdeführer sei niemals ein Plan zugestellt worden. Ausgehend von der erstmals am bekannt gewordenen Tatsache fehlender Grundeinlösepläne hätte die Behörde die bescheidmäßige Enteignung nicht vornehmen können.
Dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens legte der Beschwerdeführer Ausfertigungen der beiden zitierten Schreiben der Steiermärkischen Landesregierung an das Bezirksgericht Graz bei. Im Schreiben vom wurde dargelegt, zu dem Ansuchen des Gerichtes um Übermittlung vom werde mitgeteilt, dass ein Grundeinlöseplan für die Grundstücke 77/1 und 77/2 derzeit nicht vorhanden sei. Seitens der Straßenverwaltung sei der planende Zivilingenieur aufgefordert worden, weitere Pläne vorzulegen. Nach Einlangen dieser Pläne werde ein Exemplar sofort übermittelt. Die Endvermessungspläne seien ebenfalls noch nicht fertiggestellt. Nach Fertigstellung würden auch diese sofort übermittelt. Im Schreiben vom (richtig: 2005) führte die Steiermärkische Landesregierung aus, dass die Landesstraßenverwaltung nunmehr einen Grundeinlöseplan betreffend die Grundstücke Nr. 77/1 und 72/4 der EZ 57, KG L, Eigentümer H., vorgelegt habe. Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtes vom werde ein Grundeinlöseplan gegen seinerzeitigen Rückschluss übermittelt. Ein Plan der Endvermessung bestehe derzeit noch nicht.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des mit rechtskräftigem Bescheid vom abgeschlossenen Enteignungsverfahrens als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Behauptung, dass die Einlösepläne bei der Verhandlung nicht aufgelegt gewesen seien, sei grundsätzlich unrichtig. Ein Grundeinlöseplan sowie ein Detaillageplan mit der Planzahl 71/379 1/00-1 vom seien während der Verhandlungen mit den Grundeigentümern ständig im Verhandlungssaal aufgelegen. Es sei weiters jedem Grundeigentümer zugestanden, sich Kopien anzufertigen, was von der Mehrheit auch gemacht worden sei. Es wäre unvorstellbar, bei einem so großen Baulos ohne entsprechende Pläne mit den Liegenschaftseigentümern über die Grundabtretung zu verhandeln. Der Beschwerdeführer habe mehrmals in die Pläne Einsicht genommen. Diese befänden sich auch noch im Akt. Die Anforderung auf Übermittlung weiterer Pläne beim Enteignungswerber begründe sich damit, dass die Grundeinlösepläne im Akt verbleiben müssten und daher ein neuer Plan für die Anmerkung der Enteignung beim Bezirksgericht angefordert worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
In weiterer Folge legten sowohl die belangte Behörde als auch der Beschwerdeführer weitere Äußerungen dem Verwaltungsgerichtshof vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 69 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem."
Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, mit dem Schreiben vom (richtig: 2005) sei seitens der belangten Behörde ein anderer Grundeinlöseplan übermittelt worden als jener, der dem Enteignungsbescheid zugrunde gelegen sei. Die Behauptung, während der Verhandlung seien die richtigen Pläne aufgelegen, überzeuge insofern nicht, als das Verhalten der Behörde irreführend gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, dass die übermittelten Grundeinlösepläne den Verhandlungsgegenstand umschrieben hätten. Es seien somit neue Tatsachen, konkret andere Pläne, hervorgekommen, die der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden nicht habe geltend machen können und die im Verfahren zu einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid geführt hätten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse aus dem Spruch des Enteignungsbescheides eindeutig hervorgehen, welche Grundflächen konkret in Anspruch genommen würden. Die belangte Behörde habe offensichtlich auch nicht ermittelt, ob und zu welchem Zeitpunkt die im Wiederaufnahmeantrag genannten Einlösepläne Teile des Aktes gewesen seien. Die belangte Behörde habe das Vorbringen des Beschwerdeführers im Wiederaufnahmeantrag nicht überprüft (z.B. durch Einvernahme von Parteien des damaligen Enteignungsverfahrens), sondern sich lediglich auf die eigenen Wahrnehmungen im Rahmen des Enteignungsverfahrens berufen. Die Aussage, dass sich die Pläne auch noch derzeit im Akt befänden, sei unrichtig. Im Gegenteil hätten sich die Einlösepläne zu keinem Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer Akteneinsicht genommen habe, zuletzt am , im Akt befunden. Enthalten seien lediglich zum Teil unvollständige Entwürfe gewesen. Die Behörde hätte ermitteln müssen, ob und welche Pläne in den Akten enthalten gewesen seien, welche Pläne den Enteignungswerbern übermittelt worden seien und welche Pläne dem Enteignungsbescheid zugrunde gelegt worden seien. Bei Vermeidung der Verfahrensmängel hätte die belangte Behörde zu dem Schluss gelangen müssen, dass die Pläne, die im Enteignungsentschädigungsverfahren vorgelegt worden seien, von jenen abwichen, die dem Enteignungsverfahren zugrunde gelegt worden seien, und außerdem, dass bis zum heutigen Tag die richtigen Pläne nicht Bestandteil des Verwaltungsaktes seien, sondern lediglich unvollständige Entwürfe existierten. Die belangte Behörde hätte daher im Ergebnis zu einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid kommen müssen. Die Feststellungen der belangten Behörde seien aktenwidrig, weil der Beschwerdeführer nicht nur vor und nach der Erlassung des bekämpften Bescheides in den Akt Einsicht genommen habe, sondern auch im Rahmen eines Verwaltungsgerichtshofverfahrens (zur Zahl 2002/03/0316). In keinem Verfahrensstadium seien die im Wiederaufnahmeantrag zitierten Grundeinlösepläne Bestandteil des Enteignungsaktes gewesen. Außerdem hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einräumen müssen, zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Dann wäre es ihm z.B. möglich gewesen, gemeinsam mit dem zuständigen Organwalter den Akt im Rahmen der Akteneinsicht durchzusehen und so nachzuweisen, dass die Feststellungen der belangten Behörde unrichtig seien, weil sich die Grundeinlösepläne nicht im Akt befänden und die im Akt vorhandenen Grundeinlösepläne von den im Bescheid zitierten sowie im Enteignungsentschädigungsverfahren vorgelegten bzw. den Parteien übermittelten divergierten.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, ob die belangte Behörde rechtens den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des mit rechtskräftigem Bescheid vom abgeschlossenen Verfahrens abgewiesen hat. Die Wiederaufnahme gemäß dem vom Beschwerdeführer geltend gemachten Tatbestandes des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG setzt voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen sind, die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits bestanden haben, aber nicht bekannt waren und im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten. Es muss sich also um Tatsachen oder Beweismittel handeln, die bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, aber erst danach hervorgekommen sind. Tatsachen, die erst nach Abschluss des Verfahrens entstanden sind, stellen, weil sie von der Rechtskraft des Bescheides nicht umfasst sind, keinen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dar (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG IV, S. 1247 f Rz 28).
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, dass seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom (richtig: 2005) andere Grundeinlösepläne übermittelt worden seien (und zwar solche in der Fassung der Änderung 2003) als jene, die dem Enteignungsbescheid zugrunde gelegen seien, ergibt sich daraus schon deshalb kein Grund für eine Wiederaufnahme, weil diese Pläne erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Enteignungsverfahrens angefertigt worden sind.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass bei der Enteignungsverhandlung Pläne aufgelegen sind. Er stellt auch nicht in Abrede, dass sich der Enteignungsbescheid auf die in ihm zitierten Unterlagen vom gestützt hat. Ob hinsichtlich der Bezeichnung dieser Unterlagen (Detailprojekt 2001 statt "2000" in Bezug auf den Grundeinlöseplan) ein - im Übrigen gemäß § 62 Abs. 4 AVG berichtigbarer - Schreibfehler vorgelegen ist und ob die diesbezüglichen Pläne auch physisch ständig im Akt vorhanden waren - dass nunmehr von der belangten Behörde mit dem Akt diese Pläne vorgelegt worden sind, wurde bereits dargestellt - , betrifft kein Umstände, die eine Wiederaufnahme rechtfertigen könnten. Im Hinblick darauf, dass bestimmte Unterlagen dem Enteignungsbescheid zugrunde gelegen sind, ist es im vorliegenden Verfahren auch nicht von Bedeutung, wenn eine Divergenz zu anderen Plänen, etwa auch zu jenen, die dem Gericht vorgelegt worden sind, bestehen sollte. Im Hinblick auf den rechtskräftigen Enteignungsbescheid wäre es im gerichtlichen Entschädigungsverfahren geltend zu machen, wenn die Bindungswirkung an diesen Bescheid missachtet würde.
Es kann schließlich dahingestellt bleiben, ob der Enteignungsbescheid dem vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bestimmtheitsgebot entsprochen hat. Der Beschwerdeführer macht nämlich nicht geltend, dass andere Pläne, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Enteignung vorgelegen sind, ergeben hätten, dass die ihm im Wege der Enteignung entzogene Grundfläche eine andere hätte sein müssen als jene, die tatsächlich enteignet wurde. Gegen eine solche Möglichkeit spricht von vornherein auch, dass sich die im Antrag auf Wiederaufnahme zitierten Schreiben der Steiermärkischen Landesregierung auf andere Grundstücke als jenes des Beschwerdeführers bezogen haben.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Mangels Antragstellung findet ein Aufwandersatz nicht statt.
Wien, am
Fundstelle(n):
WAAAE-80938