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VwGH vom 31.03.2016, 2013/07/0116

VwGH vom 31.03.2016, 2013/07/0116

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der B GmbH in A, vertreten durch Dr. Siegfried Rack und Mag. Gottfried Tazol, Rechtsanwälte in 9100 Völkermarkt, Münzgasse 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom , Zl. BMLFUW-UW.2.1.2/0210-VI/1/2013-Ga, betreffend Feststellung der Abfalleigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom beantragte die beschwerdeführende Partei bei der Bezirkshauptmannschaft Villach (BH) gemäß § 6 Abs. 1 Z. 1 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) festzustellen, "dass Rohglycerin ab einem Reinheitsgrad von 70% kein Abfall" im Sinne des AWG 2002 sei.

2 Mit Bescheid vom stellte die BH gemäß § 6 Abs. 1 Z. 1 AWG 2002 fest, dass "die im Betrieb produzierte Menge an Rohglycerin nicht Abfall im Sinne dieses Gesetzes" sei.

3 Begründend führte die BH aus, dass der gegenständliche Stoff zwangsweise bei der Umesterung von Fetten anfalle, aber (ohne Einholung konkreter Abnahmegarantien) aus fachlicher Sicht davon ausgegangen werden könne, dass er bei Einhaltung der vorgegebenen Qualitätskriterien im europäischen Raum als Produkt eingesetzt werden könne. Er sei somit als Nebenprodukt einzustufen.

4 Mit Schreiben vom wurde der belangten Behörde durch den Landeshauptmann von Kärnten der Feststellungsbescheid der BH vom samt Verfahrensakt übermittelt.

5 Im Rahmen des Aufsichtsverfahrens nach § 6 Abs. 4 AWG 2002 holte die belangte Behörde eine gutachterliche Stellungnahme ihres abfalltechnischen Amtssachverständigen vom ein.

6 In dieser technischen Stellungnahme wurde unter anderem ausgeführt, dass im Betrieb der beschwerdeführenden Partei Biodiesel produziert werde. Die Herstellung von Biodiesel (= Fettsäuremethylester der Qualitätsnorm EN 14214) erfolge chemisch durch Umesterung des Esters von Glycerin mit Methanol.

7 Nach Abtrennung des gewünschten Fettsäuremethylesters aus der Reaktionsmischung bleibe zwangsläufig die sogenannte "Glycerinphase" übrig, welche aufgrund ihrer Inhaltsstoffe (Säure bzw. Lauge, Methanol) gefährliche Eigenschaften aufweise (ätzend, giftig, entzündlich).

8 Die Glycerinphase könne in sehr geringer Menge der Biogasproduktion zugeführt werden, wobei jedoch der Gehalt an Katalysator den Einsatz begrenze. Da sie nicht unmittelbar in Produktionsprozessen eingesetzt werden könne, werde sie einer Aufbereitung unterzogen.

9 Die Aufbereitung der Glycerinphase erfolge im gegenständlichen Fall in mehreren Schritten:

1. Neutralisation des Katalysators/Abtrennung von Alkalisulfaten und

2. Rückgewinnung von Methanol.

10 Die Neutralisation sei einerseits für die Abtrennung des Methanols erforderlich und führe andererseits zur Gewinnung von Kaliumsulfat (als Düngemittel). Die neutralisierte Glycerinphase könnte ungereinigt (ohne den zweiten Aufbereitungsschritt) als Ersatzbrennstoff (mit relativ niedrigem Heizwert) in Industriefeuerungen oder als Co-Substrat in der Biogasproduktion eingesetzt werden. Von der neutralisierten Glycerinphase gingen aufgrund des hohen Methanolgehaltes abfallspezifische Gefahren aus.

11 Der zweite Aufbereitungsschritt sei somit nicht unbedingt erforderlich, erfolge aber in der Regel aus Kostengründen, weil der Wert des enthaltenen Methanols deutlich über den für die neutralisierte Glycerinphase zu erzielenden Erlösen liege.

12 Erfolgten - wie im vorliegenden Fall - beide Aufbereitungsschritte, bliebe das sogenannte "Rohglycerin" zurück, welches unterschiedliche Verunreinigungen, wie Spuren von Alkalisulfaten, Wasser sowie mehrere Prozent organische Verunreinigungen (MONG) enthalte und (im Unterschied zu Glycerin, das eine wasserklare, geruchsfreie, süßliche, viskose und hygroskopische Flüssigkeit darstelle) braun und geruchsintensiv sei.

13 Die Qualität des Rohglycerins hänge von den eingesetzten Stoffen (Anteil an Altspeise- und tierischen Fetten sowie Reinigungsgrad der nativen Pflanzenöle) und der Vollständigkeit der Methanolrückgewinnung ab, wobei aus den vorliegenden Analysen ersichtlich sei, dass das Rohglycerin keine konstante Qualität aufweise.

14 Mit Schreiben der belangten Behörde vom wurde der beschwerdeführenden Partei diese gutachterliche Stellungnahme des abfalltechnischen Amtssachverständigen vom unter Einräumung einer dreiwöchigen Stellungnahmefrist zur Kenntnis gebracht.

15 Mit Eingabe vom übermittelte die beschwerdeführende Partei eine Stellungnahme.

16 Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom änderte die belangte Behörde als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde den Feststellungsbescheid der BH vom gemäß § 6 Abs. 4 Z. 2 AWG 2002 insoweit ab, als "...Rohglycerin Abfall im Sinne dieses Gesetzes ist".

17 Begründend führte die belangte Behörde nach Zitierung der bezughabenden Rechtsvorschriften aus, dass gemäß der gutachterlichen Stellungnahme des abfalltechnischen Amtssachverständigen Biodiesel (= Fettsäuremethylester) chemisch durch Umesterung des Esters von Glycerin (aus pflanzlichen und tierischen Fetten und Ölen) mit Methanol hergestellt werde, wobei nach der Abtrennung des Fettsäuremethylesters aus der Reaktionsmischung die sogenannte Glycerinphase zurückbleibe, welche auf Grund ihrer Zusammensetzung entzündlich, giftig und ätzend sei.

18 Das gesuchte Erzeugnis aus der Herstellung von Biodiesel sei somit (ausschließlich) Fettsäuremethylester. Die dabei zwangsläufig anfallende Glycerinphase stelle nicht das Ergebnis einer technischen Entscheidung zu dessen absichtlicher Herstellung (= Produkt), sondern einen zwingend anfallenden Produktionsrückstand aus der Biodieselerzeugung dar.

19 Die Glycerinphase könnte in sehr geringer Menge der Biogasproduktion zugeführt werden, allerdings werde der Einsatz durch den Gehalt an Katalysator begrenzt. In Produktionsprozessen könne sie ohne weitere Aufbereitung nicht eingesetzt werden, daher werde sie neutralisiert, der Neutralsalzgehalt abgetrennt und destilliert, wodurch (neben Methanol und Kaliumsulfat) letztendlich das gegenständliche Rohglycerin entstehe.

20 In Anbetracht der Bestimmung des § 2 Abs. 3a Z. 2 AWG 2002 mache der Umstand, dass die Glycerinphase nicht unmittelbar in Produktionsprozessen eingesetzt werden könne, deutlich, dass es sich bei ihr um Abfall und nicht um ein Nebenprodukt handle.

21 Das verfahrensgegenständliche Rohglycerin stelle weder das Ergebnis einer technischen Entscheidung zu dessen absichtlicher Herstellung dar, noch falle es im Rahmen des Prozesses der Herstellung von Biodiesel an.

22 Es entstehe vielmehr erst im Zuge mehrerer Aufbereitungsschritte im Rahmen eines nachgeschalteten Prozesses, zum Zwecke der Rückgewinnung von Methanol, der nicht mehr Bestandteil der Biodieselerzeugung sei. Somit sei Rohglycerin kein Produktionsrückstand, sondern ein Rückstand aus der Aufbereitung des (als Abfall einzustufenden) Produktionsrückstands Glycerinphase.

23 Da es sich bei einem Nebenprodukt aber gemäß § 2 Abs. 3a AWG 2002 definitionsgemäß um "das Ergebnis eines Herstellungsprozesses" handeln müsse, könne Rohglycerin daher generell nicht unter diesen Begriff subsumiert werden.

24 Weder der Umstand, dass die beschwerdeführende Partei in den "Einreichunterlagen für Behördenengineering" angebe, dass "als Nebenprodukte Glycerin und Kalidünger vertrieben" würden, noch dass in der Begründung der Anlagengenehmigung infolge Wiedergabe der Projektbeschreibung in diesem Zusammenhang von "Nebenproduktaufarbeitung" die Rede sei, könne daran etwas ändern.

25 Dass diese Rechtsansicht - wie die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme meine - zu unnötigen Kosten für das Unternehmen führe, welche die Attraktivität des gegenständlichen Materials reduzierten, stelle keinesfalls ein Kriterium für die Abgrenzung Abfall und Nebenprodukt dar.

26 Sämtliche in § 2 Abs. 3a AWG 2002 angeführten Komponenten deckten sich im Übrigen auch mit den von der beschwerdeführenden Partei im Rahmen des Parteiengehörs mehrfach zitierten - auf der (einen sehr weiten Abfallbegriff zeichnenden) Rechtsprechung des EuGH beruhenden - Kriterien der "Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen betreffend Abfall und Nebenprodukte", weshalb der Vorwurf, dass die Rechtsansicht der belangten Behörde im Sinne der Mitteilung der Europäischen Kommission eine nicht vertretbare Einzelmeinung darstelle, ins Leere gehe.

27 Aus diesem Grund erübrige es sich auch, näher auf die einzelnen Kriterien einzugehen, die ein Produktionsrückstand gemäß § 2 Abs. 3a Z. 1 bis 4 AWG 2002 kumulativ erfüllen müsse, um nicht als Abfall sondern als Nebenprodukt eingestuft zu werden.

28 Festzuhalten sei lediglich, dass es sich bei der Erzeugung von Biodiesel und der (nicht zwingend notwendigen) Aufbereitung der Glycerinphase um zwei unterschiedliche, hintereinander stattfindende Prozesse handle, und daher das Rohglycerin nicht als "integraler Bestandteil eines kontinuierlichen Herstellungsprozesses" im Sinne der Z. 3 des § 2 Abs. 3a AWG 2002 erzeugt werde.

29 Daher seien auch diese Kriterien nicht zur Gänze erfüllt und im Sinne der Rechtsprechung des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-418/97 und C-419197 (ARCO) von Abfall im subjektiven Sinn auszugehen.

30 Rohglycerin falle (zwangsweise) als Rückstand aus der Aufbereitung von Abfall (Glycerinphase) an und müsse, da es nicht deponiert werden könne, einer weiteren Behandlung zugeführt werden.

31 Wie der abfalltechnische Amtssachverständige schlüssig darlegen habe können, hänge die "Qualität" des Rohglycerins von den eingesetzten Stoffen (Anteil an Altspeise- und tierischen Fetten sowie Reinigungsgrad nativer Pflanzenöle) und vom Grad der Methanolrückgewinnung ab.

32 Aus dem Auszug der Anlagengenehmigung sei ersichtlich, dass in der Abfallbehandlungsanlage der beschwerdeführenden Partei zur Biodieselerzeugung tierische Fette und pflanzliche Öle eingesetzt würden.

33 Was die Güte des Rohglycerins betreffe, so gebe es keine normierten Qualitätsstandards, sondern lediglich spezielle Anforderungen für bestimmte Verwendungsbereiche, wobei der Methanolgehalt und der Gehalt an MONG als entscheidende Qualitätsparameter anzusehen seien.

34 Dass die Aufbereitung in der Anlage der Antragstellerin nicht zur Herstellung einer bestimmten, definierten Qualität diene, belegten die vorgelegten Analysen, aus denen hervorgehe, dass das Rohglycerin keine gesteuerte Qualität, sondern stark schwankende Verunreinigungen aufweise.

35 Aus diesem Grund würden vom verfahrensgegenständlichen Rohglycerin auch die vorgelegten Anforderungen "als Einzelfuttermittel" nicht eingehalten.

36 Für eine Verwendung in der chemischen oder pharmazeutischen Industrie wäre noch eine weitere Reinigung (Destillation) zwingend notwendig, da technisches Glycerin jedenfalls einen MONG-Gehalt von deutlich unter 1% aufweisen sowie geruch- und farblos bis allenfalls leicht gefärbt sein müsse. Pharmaglycerin müsste zudem Arzneibuchqualitat aufweisen und dürfte nur aus frischen Pflanzenölen erzeugt werden.

37 Wie dem Antragsschreiben der Beschwerdeführerin zu entnehmen sei, solle das gegenständliche Rohglycerin jedoch als Additiv in Biogasanlagen zum Einsatz kommen.

38 Entsprechend den Darlegungen des Amtssachverständigen in seiner gutachterlichen Stellungnahme erfolge die Erzeugung von Biogas entweder ausschließlich aus Energiepflanzen ("NAWAROs") oder unter Verwendung anderer Inputströme als Co-Substrat, was vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Gärrückstände eine (intensivere) Überwachung als Abfall erfordere.

39 Da Rohglycerin aus einem chemischen Prozess stamme, könne es nicht unter NAWAROs subsumiert werden und müsse daher als Abfall-Co-Substrat in eine Abfallbehandlungsanlage eingebracht werden. Dies mache auch der Hinweis "nicht zugelassen für Biogasanlagen, die keine Abfälle behandeln", in den vorgelegten "Anforderungen" der P. GmbH "zur Vergärung in Biogasanlagen" deutlich.

40 Ob es sich bei einer Sache um Abfall handle oder nicht, sei gemäß der Rechtsprechung des EuGH im Fall ARCO an Hand sämtlicher Umstände zu prüfen. Dabei sei insbesondere die Zielsetzung der Abfall-Rahmenrichtlinie zu berücksichtigen und darauf zu achten. dass ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt werde.

41 Da der EuGH einen sehr weiten Abfallbegriff annehme und das gegenständliche Rohglycerin


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-
in einer Abfallbehandlungsanlage
-
bei der Behandlung eines Abfalls (Produktionsrückstand Glycerinphase)
-
zwangsweise und kontinuierlich anfalle,
-
keine gesteuerte oder konstante Qualität aufweise,
-
sich vom technischen Produkt Glycerin durch prozessbedingte, abfalltypische (insbesondere geruchsintensive und bei meisten Verwendungen störende) Verunreinigungen unterscheide,
-
mangels Deponierungsmöglichkeit einer Behandlung zugeführt werden müsse und
-
dabei nur begrenzt (in Industriefeuerungen und Biogasanlagen) einsetzbar sei,
müsse sich die beschwerdeführende Partei seiner entledigen und stelle das Rohglycerin daher gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 AWG 2002 Abfall im subjektiven Sinn dar.
42 Der von der beschwerdeführenden Partei zitierte, aus der Projektbeschreibung stammende Passus in der Begründung des Anlagenbescheids "Das gewonnene Rohglycerin liegt in verkaufsfähiger Form vor" stehe dazu nicht in Widerspruch, lasse er doch nicht zwingend darauf schließen, dass das Rohglycerin als Produkt und nicht als Abfall weiterverkauft werde. Denn wie etwa der rege Handel mit Schrott und Altpapier zeige, sage selbst der Umstand, dass für den Verkauf ein Erlös erzielt werde, nichts über die Abfall- oder Produkteigenschaft aus.
43 In dem in diesem Zusammenhang seitens der beschwerdeführenden Partei zitierten Urteil des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-416/02 und C-121/03 ("Spanischer Dung") vertrete der EuGH die Auffassung, dass bei Dung die Einstufung als Abfall deshalb ausscheiden könne, weil er im Rahmen einer rechtmäßigen Aufbringungspraxis auf genau bestimmten Geländen als Dünger für Böden verwendet und nur für die Erfordernisse dieser Aufbringung gelagert werde.
44 Inwieweit das mit dem gegenständlichen beabsichtigten Einsatz von Rohglycerin in diversen Anlagen zur Biogaserzeugung verglichen werden könne, könne nicht nachvollzogen werden.
45 Die im Rahmen des Parteiengehörs vorgelegten Rechnungen von fünf verschiedenen Abnehmern zeigten, dass Glycerin von der beschwerdeführenden Partei um durchschnittlich EUR 100,-- übergeben worden sei, ließen aber weder einen Schluss zu, ob das Rohglycerin - wie vom Amtssachverständigen vermutet - "frei Haus" geliefert, noch ob es als Abfall oder als Produkt übernommen worden sei.
46 Darüber hinaus wiesen die Rechnungen als Datum Jänner bzw. Februar 2011 auf und seien somit mehr als zwei Jahre alt, was im Hinblick auf die vom Amtssachverständigen schlüssig dargestellte zunehmende Sättigung des Marktes in den letzten Jahren Zweifel aufkommen lasse, ob diese Preise auch heutzutage noch erzielt würden.
47 Das umso mehr, als aktuelle Verträge mit Biogasanlagen oder Rechnungen aus 2013 (bzw. wenigstens 2012) nicht vorgelegt, sondern lediglich formlose E-Mail-Anfragen (von Glycerinaufbereitern, nicht von Biogasanlagen) übermittelt worden seien.
48 Ungeachtet dessen liege der MONG-Gehalt des gegenständlichen Rohglycerins gemäß den vorgelegten Analysen durchschnittlich über 5%, was gemäß den Ausführungen des Amtssachverständigen auf eine extreme und damit unzumutbare Geruchsbelästigung schließen lasse. Dies stelle eine Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen im Sinne des § 1 Abs. 3 Z. 1 AWG 2002 dar.
49 Zudem werde das Rohglycerin in den Antragsunterlagen als wassergefährdend der Wassergefährdungsklasse 1 eingestuft, woraus sich auch ein höheres Umweltrisiko betreffend Lagerung und Transport ergebe.
50 Somit sei infolge unzumutbarer Geruchsbelästigung und Wassergefährdung auch der Tatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 2 AWG 2002 erfüllt und stelle das gegenständliche Rohglycerin auch Abfall im objektiven Sinn dar. Diesen Ausführungen sei seitens der beschwerdeführenden Partei auch nichts entgegengehalten worden.
51 Die Behauptung der beschwerdeführenden Partei, dass Rohglycerin in Deutschland nicht als Abfall angesehen werde, sei jedenfalls unrichtig, da die Regierung von Niederbayern die belangte Behörde bereits in der Vergangenheit über illegale, weil nicht (gemäß den bezughabenden Vorschriften über die Verbringung von Abfällen) notifizierte, Exporte von Rohglycerin aus Österreich in Kenntnis gesetzt habe.
52 Da das Rohglycerin für die Erzeugung von Biogas verwendet werden solle, erfülle es den Altstoffbegriff des § 2 Abs. 4 Z. 1 AWG 2002. In Ermangelung einer entsprechenden Verordnung gemäß § 5 Abs. 2 AWG 2002 gälten Altstoffe gemäß § 5 Abs. 1 leg. cit. so lange als Abfälle, bis sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar als Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet würden.
53 Da erst durch ihren Einsatz in der Biogasanlage biogene Materialien unmittelbar substituiert würden, ende erst zu diesem Zeitpunkt ihre Abfalleigenschaft.
54 Der abfalltechnische Amtssachverständige weise sowohl ein abgeschlossenes Chemiestudium als auch eine mehr als 20-jährige Berufserfahrung als Gutachter in der Abfallsektion der belangten Behörde auf. Dadurch sei er ohne Zweifel in der Lage, die Abfalleigenschaft des gegenständlichen Rohglycerins, seinen Einsatzbereich und den dafür vorhandenen Markt fachkundig zu beurteilen.
55 Dass ihm die aktuell zu erzielenden Preise nicht bekannt gewesen wären und er diese auch nicht eigens erhoben habe, schade schon allein aufgrund seiner Ausführungen zum objektiven Abfallbegriff (Geruchsbelästigung, Wassergefährdung) nicht.
56 Eine Notwendigkeit, zusätzlich einen Sachverständigen aus den "Fachgebieten" "Absetzbarkeit von Glycerin" oder "Marktforschung" beizuziehen, könne daher nicht erkannt werden.
57 Zudem sei unklar, aus welchem Grund der Antrag, entsprechende Beweise aufzunehmen, überhaupt gestellt sei, hätten diese doch von der beschwerdeführenden Partei durch Vorlage aktueller Rechnungen selbst im Rahmen des Parteiengehörs vorgelegt werden können.
58 Die Ausführungen der beschwerdeführenden Partei seien sohin nicht geeignet gewesen, die schlüssige Stellungnahme des abfalltechnischen Amtssachverständigen zu entkräften bzw. ihr auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten. Das verfahrensgegenständliche Rohglycerin sei somit Abfall im Sinne des AWG 2002.
59 Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
60 Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

61 Auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

62 Die verfahrensrelevanten Bestimmungen der §§ 1, 2 und 6 AWG 2002 samt Überschriften lauten auszugsweise wie folgt:

" Ziele und Grundsätze

§ 1. (1) Die Abfallwirtschaft ist im Sinne des Vorsorgeprinzips und der Nachhaltigkeit danach auszurichten, dass

1. schädliche oder nachteilige Einwirkungen auf Mensch, Tier und Pflanze, deren Lebensgrundlagen und deren natürliche Umwelt vermieden oder sonst das allgemeine menschliche Wohlbefinden beeinträchtigende Einwirkungen so gering wie möglich gehalten werden,

...

(3) Im öffentlichen Interesse ist die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich, wenn andernfalls

1. die Gesundheit der Menschen gefährdet oder unzumutbare Belästigungen bewirkt werden können,

2. Gefahren für Wasser, Luft, Boden, Tiere oder Pflanzen und deren natürlichen Lebensbedingungen verursacht werden können,

3. die nachhaltige Nutzung von Wasser oder Boden beeinträchtigt werden kann,

4. die Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus verunreinigt werden kann,


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5.
Brand- oder Explosionsgefahren herbeigeführt werden können,
6.
Geräusche oder Lärm im übermäßigen Ausmaß verursacht werden können,
7.
das Auftreten oder die Vermehrung von Krankheitserregern begünstigt werden können,
8.
die öffentliche Ordnung und Sicherheit gestört werden kann oder
9.
Orts- und Landschaftsbild sowie Kulturgüter erheblich beeinträchtigt werden können.
...
Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes sind bewegliche Sachen,

1. deren sich der Besitzer entledigen will oder entledigt hat oder

2. deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) nicht zu beeinträchtigen.

(2) Als Abfälle gelten Sachen, deren ordnungsgemäße Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse erforderlich ist, auch dann, wenn sie eine die Umwelt beeinträchtigende Verbindung mit dem Boden eingegangen sind. Die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse kann auch dann erforderlich sein, wenn für eine bewegliche Sache ein Entgelt erzielt werden kann.

(3) Eine geordnete Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist jedenfalls solange nicht im öffentlichen Interesse (§ 1 Abs. 3) erforderlich, solange


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1.
eine Sache nach allgemeiner Verkehrsauffassung neu ist oder
2.
sie in einer nach allgemeiner Verkehrsauffassung für sie bestimmungsgemäßen Verwendung steht.
Die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung von Mist, Jauche, Gülle und organisch kompostierbarem Material als Abfall ist dann nicht im öffentlichen Interesse (§ 1 Abs. 3) erforderlich, wenn diese im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs anfallen und im unmittelbaren Bereich eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs einer zulässigen Verwendung zugeführt werden.

(3a) Ein Stoff oder Gegenstand, der das Ergebnis eines Herstellungsverfahrens ist, dessen Hauptziel nicht die Herstellung dieses Stoffes oder Gegenstands ist, kann nur dann als Nebenprodukt und nicht als Abfall gelten, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

1. es ist sicher, dass der Stoff oder Gegenstand weiterverwendet wird;

2. der Stoff oder Gegenstand kann direkt ohne weitere Verarbeitung, die über die normalen industriellen Verfahren hinausgeht, verwendet werden;

3. der Stoff oder Gegenstand wird als integraler Bestandteil eines Herstellungsprozesses erzeugt und

4. die weitere Verwendung ist zulässig, insbesondere ist der Stoff oder Gegenstand unbedenklich für den beabsichtigten sinnvollen Zweck einsetzbar, es werden keine Schutzgüter (vergleiche § 1 Abs. 3) durch die Verwendung beeinträchtigt und es werden alle einschlägigen Rechtsvorschriften eingehalten.

...

Feststellungsbescheide

§ 6. (1) Bestehen begründete Zweifel,


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1.
ob eine Sache Abfall im Sinne dieses Bundesgesetzes ist,
2.
welcher Abfallart diese Sache gegebenenfalls zuzuordnen ist oder
3.
ob eine Sache gemäß den unionsrechtlichen Abfallvorschriften, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen (im Folgenden: EG-VerbringungsV), ABl. Nr. L 190 vom S. 1, bei der Verbringung notifizierungspflichtiger Abfall ist,
hat die Bezirksverwaltungsbehörde dies entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Verfügungsberechtigten oder auf Veranlassung der Bundespolizei nach Maßgabe des § 82 oder der Zollorgane nach Maßgabe des § 83 mit Bescheid festzustellen. Ein Feststellungsbescheid gemäß Z 2 darf nur beantragt werden, sofern nicht § 7 zur Anwendung kommt.
...

(3) Örtlich zuständige Behörde für Feststellungsbescheide gemäß Abs. 1 ist die Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Wirkungsbereich sich die Sache zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens befindet.

(4) Die Behörde hat den Bescheid samt einer Kopie der diesbezüglichen Akten gleichzeitig mit der Zustellung an die Partei an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zu übermitteln. Unbeschadet des § 68 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, kann ein Feststellungsbescheid von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde innerhalb von sechs Wochen nach Erlassung abgeändert oder aufgehoben werden, wenn

1. der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde oder

2. der Inhalt des Bescheides rechtswidrig ist.

Die Zeit des Parteiengehörs ist nicht in die Frist einzurechnen."

63 Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass das verfahrensgegenständliche Rohglycerin sowohl Abfall im subjektiven als auch Abfall im objektiven Sinn darstelle.

64 Abfall liegt vor, wenn entweder der objektive oder der subjektive Abfallbegriff erfüllt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/07/0199).

65 Für die Verwirklichung des objektiven Abfallbegriffes des § 2 Abs. 1 Z. 2 AWG 2002 reicht die bloße Möglichkeit einer Gefährdung von Schutzgütern im Sinne des § 1 Abs. 3 leg. cit. aus. Es kommt nicht darauf an, dass eine konkrete Gefahrensituation nachweisbar ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/07/0154, und vom , Zl. 2011/07/0227, jeweils mwN).

66 In diesem Zusammenhang bedarf es eines Gutachtens eines abfalltechnischen Amtssachverständigen, welches in schlüssiger und nachvollziehbarerer Weise die Möglichkeit einer Gefährdung von Schutzgütern im Sinne des § 1 Abs. 3 AWG 2002 feststellt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/07/0043, mwN).

67 Auf solche schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des abfalltechnischen Amtssachverständigen in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom konnte die belangte Behörde im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Rohglycerin zurückgreifen. So liegt der MONG-Gehalt des gegenständlichen Rohglycerins gemäß den vorgelegten Analysen durchschnittlich über 5%, was gemäß den Ausführungen des abfalltechnischen Amtssachverständigen auf eine extreme und damit unzumutbare Geruchsbelästigung schließen lässt. Damit konnte die belangte Behörde in ihrem angefochtenen Bescheid von einer Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen im Sinne des § 1 Abs. 3 Z. 1 AWG 2002 ausgehen.

68 Zudem wird - wie die belangte Behörde zutreffend festhält -

das Rohglycerin in den Antragsunterlagen und in den gutachterlichen Ausführungen des abfalltechnischen Amtssachverständigen vom als "schwach wassergefährdend" der Wassergefährdungsklasse I eingestuft, woraus sich auch ein höheres Umweltrisiko betreffend Lagerung und Transport ergibt (§ 1 Abs. 3 Z. 2 AWG 2002).

69 Somit ist infolge unzumutbarer Geruchsbelästigung und Wassergefährdung der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Z. 2 AWG 2002 erfüllt. Das gegenständliche Rohglycerin stellt Abfall im objektiven Sinn dar.

70 Damit braucht nicht mehr darauf eingegangen zu werden, ob das verfahrensgegenständliche Rohglycerin gegebenenfalls auch Abfall im subjektiven Sinne darstellt.

71 Die von der beschwerdeführenden Partei ins Treffen geführte Judikatur des EuGH befasst sich mit dem für Abfall im subjektiven Sinne bedeutsamen Entledigungsbegriff, der sich - aus dem Vorgesagten - als unmaßgeblich erweist. Der "Anregung" der beschwerdeführenden Partei, einen Antrag auf Vorabentscheidung an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV zu stellen, braucht daher nicht nachgekommen zu werden.

72 Ob sich das verfahrensgegenständliche Rohglycerin "mit Gewinn" verkaufen lässt, erweist sich - entgegen den Beschwerdeausführungen - für die Beantwortung der allein entscheidenden Frage, ob das verfahrensgegenständliche Rohglycerin Abfall ist, als nicht maßgebend. So kann die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall im öffentlichen Interesse auch dann erforderlich sein, wenn für eine bewegliche Sache ein Entgelt erzielt werden kann (vgl. § 2 Abs. 2 zweiter Satz AWG 2002).

73 Der belangten Behörde ist auch darin zu folgen, dass das verfahrensgegenständliche Rohglycerin kein Nebenprodukt im Sinne des § 2 Abs. 3a AWG 2002 ist. Dazu müsste es die in Z. 1 bis 4 dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllen.

74 Wie die belangte Behörde unter Bezugnahme auf die Ausführungen ihres abfalltechnischen Amtssachverständigen festhält, stellt die bei der Herstellung von Biodiesel zwangsläufig anfallende Glycerinphase einen Produktionsrückstand aus der Biodieselerzeugung dar. In Produktionsprozessen kann diese Glycerinphase ohne weitere Aufbereitung nicht eingesetzt werden. Sie wird daher neutralisiert, der Neutralsalzgehalt abgetrennt und destilliert, wodurch (neben Ethanol und Kaliumsulfat) letztendlich das gegenständliche Rohglycerin entsteht. Das verfahrensgegenständliche Rohglycerin fällt somit nicht im Rahmen des Prozesses der Herstellung von Biodiesel an. Es entsteht vielmehr erst im Zuge mehrerer Aufbereitungsschritte im Rahmen eines nachgeschalteten Prozesses, der nicht mehr Bestandteil der Biodieselerzeugung ist. So kann Rohglycerin weder direkt ohne weitere Verarbeitung im Sinne des § 2 Abs. 3a Z. 2 AWG 2002 verwendet werden, noch wird es als integraler Bestandteil eines Herstellungsprozesses (§ 2 Abs. 3a Z. 3 AWG 2002) erzeugt.

75 Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

76 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-80897