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VwGH vom 23.04.2020, Ra 2019/01/0174

VwGH vom 23.04.2020, Ra 2019/01/0174

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-153/065/727/2019-1, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: A I in W, Dopschstraße 20/4/12), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Vorgeschichte

1 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Wien (Verwaltungsgericht) wurde dem am in Wien als türkischer Staatsangehöriger geborenen Mitbeteiligten mit Bescheid der Wiener Landesregierung (Behörde) vom die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) für den Fall zugesichert, dass binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband nachgewiesen wird. Am langte bei der Behörde die Bestätigung der Konsularabteilung der türkischen Botschaft in Wien ein, aus der hervorgeht, dass der Mitbeteiligte (vertreten durch seine Eltern) um Entlassung aus dem türkischen Staatsverband angesucht hat. Mit Wirkung vom wurde dem Mitbeteiligten (im Wege der Erstreckung) von der Behörde die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 StbG verliehen. Mit Entlassungsurkunde des Innenministeriums der Republik Türkei vom wurde dem Mitbeteiligten durch Ministerratsbeschluss vom der Austritt aus dem türkischen Staatsverband bewilligt.

2 Mit Bescheid vom stellte die Behörde gemäß § 39 und § 42 Abs. 3 StbG fest, dass der Mitbeteiligte durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit spätestens mit Wirkung vom die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe und somit nicht mehr österreichischer Staatsbürger sei.

3 Begründend führte die Behörde zusammengefasst aus, aus der der Behörde am übermittelten Liste, bei der es sich um die Wählerevidenzliste des Amtsbereichs des türkischen Generalskonsulats Wien zu der am stattgefundenen Wahl zur 26. Großen Nationalversammlung handle und in der der Mitbeteiligte aufscheine, gehe hervor, dass der Mitbeteiligte zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem die türkische Staatsangehörigkeit auf Grund eines entsprechenden Antrages wieder erworben habe, ohne dass ihm die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft zuvor bewilligt worden sei, zumal der Mitbeteiligte trotz Aufforderung seitens der Behörde keine geeigneten Unterlagen zum Nachweis, insbesondere keinen Personenstandsregisterauszug, vorgelegt habe, dass er nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wieder in den türkischen Staatsverband aufgenommen worden sei. 4 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht, beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und legte dabei die Kopie der Vorderseite eines auf den Mitbeteiligten ausgestellten Personalausweises der Republik Türkei ("TÜRKIIYE CUMHURIYETI NÜFUS CÜZDANI") samt Lichtbild vor.

5 In der im Behördenakt erliegenden schriftlichen Weisung vom begründete die Behörde, dass die vorgelegte Kopie des Personalausweises ein Beweis für den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit darstelle. Aus der Kopie (der Vorderseite) sei zwar kein Ausstellungsdatum ersichtlich. Das Lichtbild zeige jedoch eindeutig einen Erwachsenen, während der Mitbeteiligte bereits im Alter von fünf Jahren aus dem türkischen Staatsverband entlassen worden sei. In Bezug auf den vorgelegten Personalausweis sei der Wiedererwerb vom Verwaltungsgericht zu klären und deshalb keine Beschwerdevorentscheidung zu treffen.

Angefochtenes Erkenntnis

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG statt, behob den angefochtenen Bescheid, stellte gemäß § 42 Abs. 3 StbG fest, dass der Mitbeteiligte österreichischer Staatsbürger sei, und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

7 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs in dessen Erkenntnis vom , E 3717/2018-42, würden die mangelnde Authentizität und die ungeklärte Herkunft der Inhalte des vorliegenden Datensatzes betreffend der sogenannten "Wählerevidenzliste" es von vornherein ausschließen, dass dieser Datensatz ein für die Zwecke des § 27 Abs. 1 StbG im Hinblick auf den Mitbeteiligten taugliches Beweismittel darstelle. Dass die persönlichen Daten des Mitbeteiligten in dem von der Behörde herangezogenen Datensatz enthalten seien, stelle somit keinen Beweis dafür dar, dass der Mitbeteiligte die türkische Staatsangehörigkeit wiedererworben habe.

Allein aus dem Umstand, dass der Mitbeteiligte keinen (vollständigen) Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vorgelegt habe, könne nicht auf das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG geschlossen werden. Vorliegend habe der Mitbeteiligte durch erfolglose persönliche Vorsprache beim türkischen Generalkonsulat in Wien am und durch die unbeantwortet gebliebene schriftliche Eingabe an das Generalkonsulat vom in einer für ihn zumutbaren Weise am Verfahren mitgewirkt.

Andere als die von der Behörde herangezogenen Anhaltspunkte für den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft lägen nicht vor. Weitere amtswegige Ermittlungen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG hätten unterbleiben können, zumal eine diesbezügliche Anfrage der Behörde an das türkische Generalkonsulat in Wien vom unbeantwortet geblieben sei.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine und keine Rechtsfragen aufgeworfen würden, für die eine Erörterung in der mündlichen Verhandlung erforderlich wäre, somit die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse und dem Entfall weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen stünden.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zulässigkeit

9 Die Amtsrevision ist hinsichtlich des im Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Abweichens des angefochtenen Erkenntnisses von der näher dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht gemäß § 24 VwGVG zulässig und berechtigt.

Allgemeines

10 Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliert die österreichische Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.

Verhandlungspflicht gemäß § 24 VwGVG

11 Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. 12 Die Unterlassung einer gemäß § 24 VwGVG gebotenen Verhandlung kann nicht nur von jener Partei, die den Verhandlungsantrag gestellt hat, sondern von jeder Verfahrenspartei geltend gemacht werden. Wurde nämlich bereits (hier: vom Mitbeteiligten als Beschwerdeführer) ein Verhandlungsantrag gestellt, so sind die anderen Parteien (hier: die Wiener Landesregierung als belangte Behörde) nicht gehalten, einen eigenen Verhandlungsantrag zu stellen. Dies ergibt sich daraus, dass der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden kann (vgl. , Rn. 12, mwN). Demnach kann auch die Behörde die Unterlassung der mündlichen Verhandlung geltend machen, obwohl ausschließlich der Mitbeteiligte in der Beschwerde deren Durchführung beantragt hat.

13 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

14 Bei sachverhaltsbezogenem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt worden ist (vgl. , Rn. 54, mwN).

Einzelfallbezogene Beurteilung

15 Vorliegend ist das Verwaltungsgericht - trotz des Antrags des Mitbeteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung -

allein auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht vorliegen.

16 Dabei hat es das Verwaltungsgericht unterlassen, sich mit der vom Mitbeteiligten gemeinsam mit der Beschwerde vorgelegten Kopie der Vorderseite eines auf ihn ausgestellten türkischen Personalausweises näher auseinanderzusetzen. Der Behörde ist in diesem Zusammenhang darin zu folgen, dass nicht zuletzt angesichts des auf der Kopie ersichtlichen Lichtbildes eines jungen Mannes und des Umstandes, dass der Mitbeteiligte zwecks Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Alter von fünf Jahren aus dem türkischen Staatsverband austrat, das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, von Amts wegen zu ermitteln, ob und wenn ja, weshalb der Mitbeteiligte nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft über einen türkischen Personalausweis verfügt und - ausgehend von der amtswegig zu ermittelnden türkischen Rechtslage - von der Ausstellung eines türkischen Personalausweises auf den Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit geschlossen werden kann (vgl. etwa zum Beweiswert eines türkischen Personalausweises für den Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit ; vgl. zum Zeitpunkt der Feststellung des Verlustes nach § 27 StbG ).

17 Entgegen dem Verwaltungsgericht war der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde im Hinblick auf die vom Mitbeteiligten vorgelegte Kopie eines auf seinen Namen ausgestellten türkischen Personalausweises nicht hinreichend geklärt. Das Verwaltungsgericht durfte nicht davon ausgehen, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der strittigen Frage, ob der Mitbeteiligte auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung die türkische Staatsangehörigkeit nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wiedererwarb, nicht erwarten lässt. 18 Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG für ein Absehen von einer Verhandlung ungeachtet des Parteiantrags des Mitbeteiligten liegen somit nicht vor.

Ergebnis

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auszuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010174.L00

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