VwGH vom 20.03.2012, 2010/21/0012
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde 1. der S und 2. des B, beide in A und vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/15365/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1970 geborene Erstbeschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Türkei. Sie reiste im Mai 2001 in das Bundesgebiet ein. Hier stellte sie einen Asylantrag, der im Instanzenzug mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen wurde. Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde, der aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom ab.
Die Erstbeschwerdeführerin lebt (ihrem Vorbringen zufolge: seit 2001) mit dem türkischen Staatsangehörigen A.C. in Lebensgemeinschaft; am wurde der gemeinsame Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, in Österreich geboren.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom wurden die Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:
Die Beschwerde erweist sich deshalb als berechtigt, weil die belangte Behörde die gebotene Interessenabwägung nach § 66 FPG (idF vor dem FrÄG 2011) nur unzureichend vorgenommen hat. Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nämlich nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. (siehe unter vielen etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0465, mwN).
Dem wird die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht gerecht. Einerseits ging die belangte Behörde auf Teile des Vorbringens der Beschwerdeführer (in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin: Beschäftigungen im Zeitraum bis 2006, Absolvierung von Deutschkursen, Unbescholtenheit, Deckung des Lebensbedarfs durch den Lebensgefährten; in Bezug auf den Zweitbeschwerdeführer: sehr gute Deutschkenntnisse, Situationsbeschreibung durch die Kindergartenleiterin) überhaupt nicht ein. Andererseits beschränkte sie sich bei der Interessenabwägung darauf, den Beschwerdeführern eine der Dauer des Aufenthaltes in Österreich entsprechende Integration zuzubilligen und in diesem Zusammenhang nur zu erwähnen, die Erstbeschwerdeführerin, die derzeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, habe "zuletzt mit einem Lebensgefährten ein gemeinsames Kind geboren, welches schon in den Kindergarten gehe". Daran anschließend enthält der angefochtene Bescheid im Wesentlichen nur noch textbausteinartige Begründungselemente, in denen dem gegenläufigen Interesse der Beschwerdeführer das große öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in Verbindung mit dem wiederholten Hinweis, dass die Integration der Beschwerdeführer während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangt worden sei, entgegengehalten wird.
Insbesondere hat es die belangte Behörde demnach unterlassen, sich mit den geltend gemachten, für einen Verbleib der Erstbeschwerdeführerin nach einem mittlerweile (bis zur Bescheiderlassung) mehr als achteinhalbjährigen Aufenthalt in Österreich sprechenden Umständen konkret auseinanderzusetzen und auf die Situation des fast siebenjährigen, in Österreich geborenen Kindes näher einzugehen (siehe zu einem ähnlichen Begründungsmangel der belangten Behörde zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2010/21/0404, 0405, mwH). Vor allem hätte die belangte Behörde aber in der vorliegenden Konstellation die Frage prüfen müssen, ob dem Lebensgefährten bzw. Vater der Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung des Familienlebens eine Rückkehr in die Türkei zuzumuten wäre, was eine Befassung insbesondere mit dessen aufenthaltsrechtlicher Stellung (nach der Aktenlage verfügt er seit 2004 über einen Niederlassungsnachweis) und dessen Beschäftigungssituation erfordert hätte (siehe dazu auch unter dem Gesichtspunkt des § 66 Abs. 3 FPG das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2010/21/0119).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-80798