VwGH vom 17.09.2019, Ra 2018/22/0310

VwGH vom 17.09.2019, Ra 2018/22/0310

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision der M S, vertreten durch die Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Rathausstraße 15, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VWG-151/019/13709/2018/-6, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem NAG (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde der Antrag der Revisionswerberin, einer iranischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Studierende" nach § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 3 iVm § 11 Abs. 2 Z 4 NAG abgewiesen.

2 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 iVm § 31 VwGVG als verspätet zurück. Weiters sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

3 In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Bescheid des Landeshauptmannes der Revisionswerberin am (einem Samstag) mittels Hinterlegung zugestellt worden sei. Gegen diesen Bescheid sei am ein E-Mail in Vertretung der Revisionswerberin eingebracht worden. Am (einem Dienstag) habe die Vertreterin der Revisionswerberin ein weiteres E-Mail an die belangte Behörde übermittelt, dem "erstmals ein Beschwerdeschreiben angeschlossen" gewesen sei. Am habe die Revisionswerberin über diesbezüglicher Aufforderung des Verwaltungsgerichtes eine mit datierte Vertretungsvollmacht lautend auf die einschreitende Vertreterin dem Verwaltungsgericht übergeben. Bezüglich des Verspätungsvorhaltes habe die Vertreterin der Revisionswerberin angegeben, dass "der Zustellversuch des angefochtenen Bescheides (...) erst am erfolgt" sei. Die Revisionswerberin habe den Bescheid am von der Post abgeholt.

4 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, der Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides ergebe sich aus dem im Akt befindlichen Zustellnachweis.

5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG sei die Beschwerde innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheides zu erheben. Der angefochtene Bescheid sei am (einem Samstag) mittels Hinterlegung zugestellt worden. Der Zustellnachweis stelle gemäß § 47 AVG iVm § 17 VwGVG eine öffentliche Urkunde dar, die gemäß § 292 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis ihres Inhalts liefere (Hinweis auf ). Die vierwöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde habe daher mit Ablauf des (einem Montag) geendet. Die erst am eingebrachte Beschwerde sei somit verspätet. 6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Die Revision bringt in der Zulässigkeitsbegründung auf das Wesentliche zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht sei irrtümlich von einer rechtswirksamen Zustellung durch Hinterlegung am ausgegangen. Das Verwaltungsgericht habe sich mit dem Vorbringen der Revisionswerberin, wonach sie erst am (einem Montag) über die Hinterlegung des gegenständlichen Bescheides benachrichtigt und der Zustellvorgang nicht richtig dokumentiert worden sei, nicht auseinandergesetzt.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen der Revisionswerberin zulässig und auch berechtigt.

10 § 17 Zustellgesetz (ZustG) lautet:

Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."

11 Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG gilt eine hinterlegte Sendung mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt.

12 Die Revision lässt unbestritten, dass gemäß dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt die gegenständliche Beschwerde am , einem Dienstag, eingebracht wurde. Bestritten wurde die Annahme des Verwaltungsgerichtes, wonach die Zustellung des Bescheides mit , einem Samstag, erfolgt sei.

13 Bei dem vorliegend vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rückschein handelt es sich um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG iVm § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit für sich hat. Diese Vermutung ist widerlegbar, wobei die Behauptung der Unrichtigkeit des Beurkundeten entsprechend zu begründen ist und Beweise dafür anzuführen sind, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (, Rn. 16, mwN).

14 Zum Verspätungsvorhalt des Verwaltungsgerichtes wurde seitens der Revisionswerberin mit Schreiben vom vorgebracht, dass die Hinterlegungsanzeige am an der Abgabestelle hinterlassen worden sei. Die zuständige Geschäftsstelle der Post habe gemäß den langjährigen Erfahrungen der Revisionswerberin und dem Internetauftritt der Post nur von Montag bis Freitag geöffnet. Auch die namentlich genannte stellvertretende Filialleiterin habe bestätigt, dass die Postgeschäftsstelle am Samstag nicht geöffnet sei. Eine Zustellung bzw. Abholung am Samstag, dem sei demnach nicht möglich gewesen.

15 Mit diesem geeigneten Vorbringen gegen die Richtigkeit der sich aus dem Rückschein ergebenden Vermutung einer vorschriftsmäßig erfolgten Zustellung hat sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt. Insbesondere hat es weder die Angaben der Revisionswerberin geprüft noch Ermittlungen bei der Post zur Hinterlegungsanzeige durchgeführt. Darüber hinaus hat es den gemäß § 17 Abs. 3 ZustG für die Zustellung von hinterlegten Dokumenten relevanten Beginn der Abholfrist nicht festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, dass der Bescheid "am mittels Hinterlegung zugestellt" worden sei. 16 Das Verwaltungsgericht hat daher in Bezug auf den Beginn der Abholfrist und somit die Zustellung des angefochtenen Bescheides keine nachvollziehbare Begründung vorgenommen. 17 Der Verfahrensfehler ist relevant, weil im Fall des Zutreffens, dass die Hinterlegungsanzeige erst am an der Abgabestelle hinterlassen worden sei und die Abholfrist am begonnen habe, die Beschwerdefrist von vier Wochen gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG eingehalten worden wäre.

18 Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220310.L01

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