VwGH vom 08.10.2019, Ra 2018/22/0299

VwGH vom 08.10.2019, Ra 2018/22/0299

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-AV-1421/001-2017, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: F A, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn (Revisionswerberin) den im Wege der österreichischen Botschaft in Abuja gestellten Antrag des Mitbeteiligten, eines Staatsangehörigen von Ghana, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 iVm § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt und erteilte dem Mitbeteiligten den beantragten Aufenthaltstitel für die Dauer von 12 Monaten. Weiters erklärte das LVwG eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

Begründend führte das LVwG aus, die Landespolizeidirektion Niederösterreich (LPD) habe mit Schreiben vom bezüglich des von der Revisionswerberin geäußerten Verdachtes des Vorliegens einer Aufenthaltsehe mitgeteilt, dass nach Abschluss der Erhebungen gemäß § 110 Fremdenpolizeigesetz (FPG) eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 117 FPG nicht erweislich sei. Gemäß § 37 Abs. 4 NAG habe die Behörde - so das LVwG - vom Vorliegen einer Ehe auszugehen, wenn die LPD mitteile, dass keine Aufenthaltsehe bestehe. Diese Bestimmung begründe eine Bindungswirkung, sodass die Behörde von einer Ehe auszugehen habe und bei Vorliegen der übrigen Erteilungsvoraussetzungen den Titel erteilen müsse.

Darüber hinaus verneinte das LVwG in einer eigenständigen Beurteilung das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und führte in seinen rechtlichen Erwägungen dazu aus, das Fehlen eines gemeinsamen Haushaltes bzw. gemeinsamen Wohnsitzes zwischen Ehegatten könne nicht per se zu der Annahme führen, es fehle das in § 30 Abs. 1 NAG erforderliche Familienleben gemäß Art. 8 EMRK. Die Ehegattin habe "in der mündlichen Verhandlung auch glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt, dass sie seit ihrem letzten Aufenthalt in Ghana nicht mehr zu ihrem Mann gefahren sei, um für

die Behörde im weiteren Verfahren erreichbar zu bleiben, ... .

Außerdem habe sie ihre Tochter, die eine Risikoschwangerschaft hatte, nach der Geburt betreut. Die Zeugin konnte in der Verhandlung durch Einsichtnahme in den Chatverlauf der WhatsApp-Nachrichten auch nachweisen, dass sie zu ihrem Mann intensiven und regelmäßigen Kontakt über elektronische Medien hat. Dass die Eheleute eine Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft während des Aufenthalts von (der Ehegattin des Mitbeteiligten) in Ghana geführt haben, ist auch der Aussage der Zeugin und des (Mitbeteiligten) in der Verhandlung zu entnehmen." Eine Wirtschaftsgemeinschaft bestehe insoweit, als die Ehegattin den Mitbeteiligten mit monatlich EUR 200,-- finanziell unterstütze. Abschließend hielt das LVwG fest, es gebe keinen Hinweis darauf, dass ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 NAG vorliege; die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 NAG lägen vor.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision.

4 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 In der Zulässigkeitsbegründung bringt die Revisionswerberin ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 30 Abs. 1 NAG (Hinweis auf ) und zur Begründungspflicht von Erkenntnissen gemäß § 29 VwGVG (Hinweis auf ) vor.

6 Die Revision erweist sich als zulässig und auch begründet. 7 § 117 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, lautet:

"Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften

§ 117. (1) Ein Österreicher oder ein zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigter Fremder, der eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft mit einem Fremden eingeht, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen zu wollen und weiß oder wissen musste, dass sich der Fremde für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, vom Gericht mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

§ 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsrechtes (NAG) BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lautet:

"Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption

§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen."

8 Der Verwaltungsgerichtshof sprach bereits aus (vgl. ), dass die vorläufige Ergebnislosigkeit von Erhebungen betreffend den Nachweis einer Aufenthaltsehe aus Anlass einer Verständigung nach § 37 Abs. 4 NAG nicht entgegenstehe, den Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe im weiteren Verfahren (dort in einem Verlängerungsverfahren) erneut aufzugreifen (vgl. auch , Rn. 13). Den Erläuterungen (RV 330 BlgNR 24. GP 47) zu § 37 Abs. 4 NAG zufolge ist die durch bloßen Zeitablauf normierte Annahme, es handle sich um keine Aufenthaltsehe, widerlegbar und hindere keine Behörde, diesen Sachverhalt (im selben oder in einem anderen Verfahren) neuerlich aufzugreifen.

Gleiches ist in Verfahren betreffend Erstanträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln anzunehmen, wenn die LPD - wie im vorliegenden Fall - das Vorliegen einer Aufenthaltsehe im Sinn des § 117 FPG nicht als erweislich beurteilte. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Mitteilung der LPD vom stammt, während das LVwG seiner Entscheidung den Sachverhalt im Oktober 2018 zugrunde zu legen hatte. Dies spricht ebenfalls gegen die Annahme einer Bindung des LVwG an eine nicht der Rechtskraft fähige Mitteilung der LPD.

Dass eine Aufenthaltsehe aus Sicht des LPD nicht "erweislich" sei und das strafgerichtliche Verfahren - wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt - eingestellt wurde, bedeutet somit nicht zwingend, dass es sich nicht um eine Aufenthaltsehe gemäß § 30 Abs. 1 NAG handelt.

9 Das LVwG prüfte jedoch auch eigenständig das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und bejahte ein Familienleben zwischen dem Mitbeteiligten und seiner Ehegattin. Die Revisionswerberin rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Begründungspflicht des angefochtenen Erkenntnisses.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach zur Begründungspflicht von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt aus, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den § 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. , Rn. 8, mwN). Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen ist nicht hinreichend, um den Anforderungen an die Begründungspflicht nach § 29 VwGVG gerecht zu werden ().

Das angefochtene Erkenntnis wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

Dem LVwG ist zwar insofern zuzustimmen, als aus dem Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes allein nicht geschlossen werden kann, dass ein Familienleben jedenfalls nicht vorliegt. Im vorliegenden Fall fehlen aber Feststellungen zu den maßgeblichen Aspekten des Familienlebens. So finden sich im angefochtenen Erkenntnis keine Feststellungen zu der Anzahl, zur Dauer und zum Zeitpunkt der Aufenthalte der Ehegattin in Ghana, aus welchem Grund und für wie lange die Risikoschwangerschaft ihrer Tochter beziehungsweise deren Betreuung nach der Geburt die Ehegattin daran gehindert habe, nach Ghana zu reisen, sowie zur Intensität der Kommunikation zwischen den Eheleuten über elektronische Medien. Soweit in den rechtlichen Erwägungen die in der mündlichen Verhandlung getätigten Zeugenaussagen wiedergegeben werden, kann dies die fehlenden entscheidungsrelevanten Feststellungen zum Vorliegen eines Familienlebens nicht ersetzen.

10 Angesichts dessen ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, zu überprüfen, ob zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ein Familienleben zwischen dem Mitbeteiligten und seiner Ehegattin vorlag.

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220299.L00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete

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