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VwGH vom 08.10.2019, Ra 2018/22/0292

VwGH vom 08.10.2019, Ra 2018/22/0292

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision der O G O, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW- 151/023/8851/2018-8, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige von Ghana, verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierende" mit einer Gültigkeit bis zum . Am stellte sie den verfahrensgegenständlichen (mit einem Verlängerungsantrag verbundenen) Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich rechtmäßig aufhältigen Ehemann.

2 Mit Bescheid vom wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) den Antrag der Revisionswerberin gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG ab. Auch die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG in Verbindung mit Art. 8 EMRK führe nicht zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - soweit hier maßgeblich - folgenden Sachverhalt zugrunde: Unter Berufung auf die am geschlossene Ehe mit ihrem über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" verfügenden Ehemann habe die Revisionswerberin den verfahrensgegenständlichen Zweckänderungsantrag gestellt. Den Angaben der Ehegatten zufolge würden sie seit ihrer Eheschließung ein gemeinsames Familienleben führen. Der Ehemann der Revisionswerberin sei seit dem als Arbeiter unselbständig erwerbstätig und verdiene monatlich durchschnittlich EUR 1.900,-- netto (unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen). Jene Verbindlichkeiten, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ausgehaftet hätten, seien im Juni 2018 mit eigenen Ersparnissen getilgt worden. Weitere Verbindlichkeiten seien nicht aktenkundig. Ferner sei der Ehemann Mieter einer 38 m2 großen Wohnung, welche als gemeinsamer Wohnsitz des Ehepaares diene. Für diese Wohnung fielen monatlich Mietkosten in Höhe von EUR 502,-- sowie Kosten für Energie in Höhe von EUR 49,-- an. Für sonstige Ausgaben (Versicherungen, Mobilfunk, Fernsehen und Internet) würden weitere EUR 160,-- aufgewendet werden. Zudem leiste er an Alimenten für seine Kinder EUR 300,-- monatlich. Die Revisionswerberin gehe seit dem rechtmäßig einer unselbständigen

Erwerbstätigkeit als geringfügig beschäftigte Arbeiterin nach und verdiene monatlich EUR 376,-- netto. Zuvor sei sie in Österreich nie erwerbstätig gewesen.

Ausgehend von diesen Feststellungen führte das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass ein monatliches Nettohaushaltseinkommen in Höhe von EUR 2.085,-- (resultierend aus dem Richtsatz für ein Ehepaar nach dem ASVG in Höhe von EUR 1.363,52 und den festgestellten, regelmäßig anfallenden Kosten abzüglich des Wertes der freien Station in Höhe von EUR 288,87) nachzuweisen sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, eine Prognose für den Zeitpunkt der Familienzusammenführung zu treffen, allerdings dürften auch in der Vergangenheit liegende Umstände wie etwa das Bestehen von bisherigen Beschäftigungsverhältnissen und das daraus bezogene Einkommen in die Prognoseentscheidung einfließen. Hinsichtlich des seit Mitte Juli 2018 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses der Revisionswerberin hielt das Verwaltungsgericht fest, die Revisionswerberin sei bislang keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgegangen und habe erst kurze Zeit nach Abweisung ihres Zweckänderungsantrages diese Erwerbstätigkeit aufgenommen. Somit sei diese Beschäftigung - entsprechend der glaubwürdigen Aussage ihres Ehemannes - lediglich zu dem Zweck eingegangen worden, um ausreichende Unterhaltsmittel nachweisen zu können. Aufgrund dieser Umstände sei davon auszugehen, dass die Revisionswerberin im Fall der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels diese Beschäftigung wieder aufgeben werde und somit die Gefahr der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft realisiert werden würde. Da erwiesen scheine, dass diese Erwerbstätigkeit nur kurzfristig eingegangen worden sei, seien die daraus erzielten Einkünfte im Rahmen der Prognoseentscheidung nicht zu berücksichtigen. Das Einkommen des Ehemannes in Höhe von EUR 1.900,-- sei nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt der Revisionswerberin zu sichern.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG gelangte das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels auch zur Aufrechthaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geboten sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Unterhaltsberechnung abgewichen, indem es die zum Entscheidungszeitpunkt bereits eingegangene Erwerbstätigkeit der Revisionswerberin bei der Ermittlung der erforderlichen Unterhaltsmittel nicht berücksichtigt habe, obwohl keine stichhältigen Anhaltspunkte für die Annahme vorgelegen seien, dass sie nach Erteilung des Aufenthaltstitels nicht weiterhin beschäftigt sein werde. Diese Annahme könne weder aus den Feststellungen abgeleitet werden noch sei sie in irgendeiner Weise objektivierbar, weshalb es sich hierbei um eine bloße Mutmaßung handle.

7 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und begründet.

8 Die maßgeblichen Vorschriften des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, lauten auszugsweise:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel§ 11. ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

...

Bestimmungen über die Familienzusammenführung§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist

ein Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

...

2. ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

...

b) einen Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus', ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1, 4 oder 7a innehat,

..."

9 § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetztes (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955, in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2017, lautet auszugsweise:

"Richtsätze

§ 293. (1) Der Richtsatz beträgt unbeschadet des Abs. 2

a) für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung,

aa) wenn sie mit dem Ehegatten (der Ehegattin) oder dem/der

eingetragenen PartnerIn im gemeinsamen Haushalt leben (gemäß der Kundmachung BGBl. II Nr. 339/2017 für das Kalenderjahr 2018:) 1.363,52 EUR,

..."

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einer - wie hier - gemeinsamen Haushaltsführung von Ehegatten zu prüfen, ob das Haushaltsnettoeinkommen den "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht. Die Existenz des zusammenführenden Ehegatten ist dabei gesichert, wenn dem im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepaar der Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG zur Verfügung steht (vgl. etwa , Pkt. 6.1, mwN).

11 Dem Verwaltungsgericht ist insoweit zuzustimmen, als bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen ist (vgl. , Pkt. 4.4, sowie , Ra 2017/22/0144, Rn. 12, jeweils mwN). Dabei kommt zwar grundsätzlich den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung und auch der Frage früherer Beschäftigungsverhältnisse Bedeutung zu (vgl. ). Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung verbietet sich dann, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen ist (vgl. , Rn. 17, mwN). Wenn bereits ein Arbeitsverhältnis eingegangen wurde, ist dieses bei der Ermittlung der erforderlichen Unterhaltsmittel zu berücksichtigen, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Fremde nach Erteilung des Aufenthaltstitels nicht weiterhin beschäftigt sein werde (vgl. , mwN).

12 Nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes geht die Revisionswerberin seit dem rechtmäßig einer geringfügigen, unselbständigen Erwerbstätigkeit nach und bezieht ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von EUR 376,--. Die Außerachtlassung der Einkünfte aus diesem - zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes aufrechten - Arbeitsverhältnis begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass die Revisionswerberin zuvor nicht erwerbstätig gewesen sei, nach wie vor ein Studium betreibe und diese Beschäftigung zum Zweck der Erlangung des begehrten Aufenthaltstitels eingegangen worden sei. Daraus kann - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes - für sich genommen aber nicht der Schluss gezogen werden, die Revisionswerberin werde im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels diese Beschäftigung wieder aufgeben. Anhaltspunkte, die diese Annahme des Verwaltungsgerichtes stützen könnten, finden sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Weder wurden nähere Feststellungen zu den Bedingungen dieses Arbeitsverhältnisses, wie zu einer allfälligen Befristung, getroffen, noch berücksichtigte das Verwaltungsgericht die Aussage der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung betreffend ihre bereits zuvor erfolgte (erfolglose) Bewerbung bzw. den Umstand, dass die von der Revisionswerberin dem Verwaltungsgericht vorgelegte Beschäftigungsbewilligung für die Dauer eines Jahres (bis ) ausgestellt worden ist. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen wäre. Der Annahme des Verwaltungsgerichtes, die Revisionswerberin werde die Beschäftigung im Fall der Erteilung des begehrten

Aufenthaltstitels wieder aufgeben, steht - worauf auch die Revisionswerberin hinweist - zudem der Umstand entgegen, dass der Aufenthaltstitel nur für ein Jahr erteilt werden würde und für eine Verlängerung erneut das Vorhandensein ausreichender Unterhaltsmittel nachgewiesen werden müsste.

13 Vor diesem Hintergrund erweist sich die negative Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichtes als nicht nachvollziehbar. Die Revisionswerberin rügt somit zu Recht, dass das Verwaltungsgericht die von ihr erzielten Einkünfte bei der Berechnung der erforderlichen Unterhaltsmittel hätte berücksichtigen müssen, zumal sie zum Entscheidungszeitpunkt über ein aufrechtes Arbeitsverhältnis verfügte und keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass sie nach Erteilung des Aufenthaltstitels nicht weiterhin beschäftigt sein werde (vgl. etwa , mwN). Der Revisionswerberin kann zudem nicht zur Last gelegt werden, wenn sie sich um die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen

bemüht und für den Nachweis der Unterhaltsmittel eine Erwerbstätigkeit aufnimmt (vgl. zur Verpflichtung zum initiativen Nachweis der Unterhaltsmittel etwa , mwN).

14 Die Revisionswerberin macht weiters geltend, das Verwaltungsgericht habe den Antrag der Revisionswerberin aufgrund des Fehlens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG abgewiesen, ohne nach § 25 NAG vorzugehen. Diesbezüglich ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach bei Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung auch im Fall eines (wie hier) Zweckänderungsantrages nach § 25 NAG vorzugehen ist (vgl. erneut VwGH Ra 2015/22/0024, Pkt. 4.7, mwN).

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220292.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

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