VwGH vom 10.12.2019, Ra 2018/22/0288
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW- 151/011/7510/2018/E-12, betreffend Aufenthaltsbewilligung (mitbeteiligte Partei: A A, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) vom wurde der bei der österreichischen Botschaft in Teheran gestellte Antrag des Mitbeteiligten, eines iranischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Studierender" im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Mitbeteiligte keinen Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft, eines alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutzes und der Herkunft der Geldmittel für seinen Lebensunterhalt gemäß § 11 Abs. 2 Z 2, Z 3 und Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erbracht habe.
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom Folge und erteilte dem Mitbeteiligten den beantragten Aufenthaltstitel "Studierender" gemäß § 64 NAG befristet auf ein Jahr. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.
Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte erfülle die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 NAG. An den besonderen Erteilungsvoraussetzungen habe die Behörde keine Kritik geübt, daher könnten alle
Voraussetzungen, respektive auch jene, die von der Behörde angezweifelt worden seien, als erfüllt zugrunde gelegt werden. Das Verwaltungsgericht hege keinen Zweifel am plausiblen und umfassenden Vermögensnachweis und schenke dem Mitbeteiligten Glauben, dass er "unmittelbar bei Erreichen des Bundesgebietes eine Krankenversicherung" abschließen werde, widrigenfalls eine Verlängerung jedenfalls zu versagen wäre.
3 Diese Entscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der dagegen erhobenen außerordentlichen Amtsrevision der belangten Behörde mit Erkenntnis vom , Ra 2018/22/0023, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf.
Unter Verweis auf § 11 Abs. 2 Z 3 NAG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Z 6 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) erachtete der Verwaltungsgerichtshof den Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz als nicht erbracht und somit das Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG als gegeben. Gemäß dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung könne der bloße Verweis auf einen Versicherungsabschluss nach Einreise des Mitbeteiligten nach Österreich diese Nachweispflicht nicht substituieren. Dass dem Mitbeteiligten gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltstitel dennoch zu erteilen wäre, lasse sich dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnehmen und ergebe sich auch nicht aus den Verfahrensakten.
4 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen, nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde des Mitbeteiligten erneut statt und erteilte dem Mitbeteiligten einen Aufenthaltstitel "Student" befristet auf ein Jahr. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.
Nach Darstellung des Verfahrensganges listete das Verwaltungsgericht die seitens des Mitbeteiligten im Verfahren vorgelegten Urkunden auf und gelangte zur Auffassung, dass sowohl die allgemeinen als auch die besonderen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt seien. Den Nachweis der erforderlichen finanziellen Mittel gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG habe der Mitbeteiligte durch einen aktuellen Kontoauszug mit einem Kontostand von EUR 8.838,- sowie durch "Vorlage eines in englischer Sprache gehaltenen zusätzlichen Eigentumsnachweises" erbracht. Die Behörde habe im Verfahren ins Treffen geführt, dass der Aufenthaltstitel des Mitbeteiligten eingezogen worden und von einem unrechtmäßigen Aufenthalt auszugehen sei, sie sei jedoch den Nachweis dafür schuldig geblieben. Ein illegaler Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet lasse sich aus den vorliegenden Dokumenten und Erklärungen weder beweisen noch erschließen. Abschließend erfolgten Ausführungen im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Zurückverweisung.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Der Mitbeteiligte hat mit Schreiben vom darauf hingewiesen, dass ihm seitens der Behörde auf Grund seines Verlängerungsantrags eine Aufenthaltsbewilligung "Student" mit Gültigkeit vom bis zum erteilt worden sei. Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien im Hinblick auf den verlängerten Aufenthaltstitel nicht mehr entscheidungserheblich und die Revision hänge nicht mehr von der Lösung einer grundsätzlichen Rechtsfrage ab.
Die Behörde machte von der ihr dazu eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch.
Es ist zwar dem Grunde nach zutreffend, dass auch im Fall einer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG eine Gegenstandslosigkeit im Sinn des § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG eintreten kann (vgl. etwa , mwN). Dem Vorbringen des Mitbeteiligten ist allerdings entgegenzuhalten, dass der Frage der Rechtmäßigkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels (für den Zeitraum Oktober 2018 bis Oktober 2019) auf Grund des Erstantrags des Mitbeteiligten ungeachtet der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels für den danach liegenden Zeitraum rechtliche Bedeutung zukommen kann. 8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit u.a. ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern vor, als das Verwaltungsgericht gestützt allein auf ein - der Höhe nach nicht hinreichendes - Kontoguthaben und einen weder der Art noch der Höhe nach näher bestimmten "Eigentumsnachweis" das Vorhandensein ausreichender Unterhaltsmittel angenommen habe. Selbst bei Fehlen maßgeblicher regelmäßiger Aufwendungen (Feststellungen dazu würden im angefochtenen Erkenntnis fehlen) wären aber Mittel in der Höhe von zumindest EUR 10.913,04 erforderlich gewesen.
Die Revision erweist sich schon aus diesem Grund als zulässig und auch als begründet.
9 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Nach § 11 Abs. 5 NAG führt der Aufenthalt eines Fremden dann zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes.
Der hier maßgebliche Richtsatz beträgt für das Jahr 2018 gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG EUR 909,42. Bezogen auf ein Jahr müsste somit ein Betrag in der Höhe von EUR 10.913,04 zur Verfügung stehen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass sein Unterhalt für die beabsichtigte Aufenthaltsdauer gesichert erscheint. Der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel kommt auch durch Spareinlagen in Betracht (vgl. zu allem , mwN).
11 Vorliegend ist das vom Verwaltungsgericht festgestellte Kontoguthaben in der Höhe von EUR 8.838,- nicht hinreichend, um die Verfügbarkeit ausreichender Unterhaltsmittel nachzuweisen. Nähere Feststellungen zu dem seitens des Verwaltungsgerichtes ins Treffen geführten zusätzlichen Eigentumsnachweis - insbesondere zur Art und Höhe der damit nachgewiesenen finanziellen Mittel - fehlen im angefochtenen Erkenntnis ebenso wie Ausführungen zu allfälligen regelmäßigen Aufwendungen. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb es von der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG ausgegangen ist.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2018/22/0283, unter Hinweis auf das (zur Auslegung der Richtlinie 2003/86 ergangene) Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , Chakroun, C- 578/08, Rn. 48, zwar Folgendes festgehalten: Angesichts der in Art. 7 Abs. 1 lit. e in Verbindung mit Abs. 3 der Richtlinie 2016/801 (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit) festgelegten Verpflichtung zur Prüfung der nötigen Mittel jeweils im Einzelfall ist das Erteilungserfordernis des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG für den (auch dort) beantragten Aufenthaltstitel für Studenten richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die in § 293 ASVG festgelegten Richtsätze, auf die in § 11 Abs. 5 NAG verwiesen wird, als Referenzbetrag im Sinn des Art. 7 Abs. 3 der genannten Richtlinie zu verstehen sind. Kann der Antragsteller nachweisen, dass er trotz einer (geringfügigen) Unterschreitung dieses Referenzbetrages ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt und für die Rückreise verfügt, ist das Erfordernis des Nachweises der "nötigen Mittel" als erfüllt anzusehen.
Eine (geringfügige) Unterschreitung des Richtsatzes hat daher nicht in jedem Fall zur Folge, dass es an der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG fehlt. Allerdings hat das Verwaltungsgericht die diesfalls gebotene individuelle Prüfung (vgl. allgemein dazu , Rn. 11 ff, mwN) nicht vorgenommen.
13 Die Behörde bringt in ihrer Revision darüber hinaus Folgendes vor: Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sei ein Erstantrag im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten. Bei dieser Verpflichtung handle es sich um eine Erfolgsvoraussetzung. Im Hinblick auf die ex tunc-Wirkung der aufhebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (Ra 2018/22/0023) habe sich der (im Inland verbliebene) Mitbeteiligte im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes unrechtmäßig in Österreich aufgehalten. Dies habe das Verwaltungsgericht ungeachtet des diesbezüglichen Hinweises der Behörde im Verfahren verkannt und dementsprechend auch keine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG durchgeführt. 14 Der Mitbeteiligte geht in seiner Revisionsbeantwortung demgegenüber davon aus, dass die in § 21 Abs. 1 NAG normierte Verpflichtung, die Entscheidung im Ausland abzuwarten, sich nur auf die erste durchsetzbare Entscheidung beziehe. Bei dieser Sichtweise habe der Mitbeteiligte der Verpflichtung entsprochen, weil er den Antrag im Ausland gestellt und die durchsetzbare Entscheidung - konkret das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom - im Ausland abgewartet habe. Es sei nicht im Sinn des Gesetzes, dass ein Antragsteller Gefahr laufe, durch eine rechtmäßige Einreise auf Grund eines ihm erteilten
Aufenthaltstitels einen Grund zur Versagung dieses Titels (nach einer Aufhebung der betreffenden Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof) zu setzen. Hinzu komme, dass ein Zusatzantrag nach § 21 Abs. 3 NAG (auf Zulassung der Inlandsantragstellung) im Beschwerdeverfahren oder im zweiten Rechtsgang vor dem Verwaltungsgericht nicht wirksam gestellt werden könne.
15 Die zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation lässt sich - soweit für die diesbezüglich aufgeworfene Frage relevant - wie folgt zusammenfassen: Der Mitbeteiligte hat die Entscheidung über seinen im Ausland gestellten Erstantrag zunächst im Ausland abgewartet. Seitens des Verwaltungsgerichtes wurde ihm der beantragte Aufenthaltstitel erteilt und er ist rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. In der Folge wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes betreffend die Titelerteilung vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben. Der Mitbeteiligte ist im Inland verblieben.
Ob in einer derartigen Konstellation ein Verstoß gegen die Verpflichtung nach § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG vorliegt, wurde in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bislang noch nicht behandelt.
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei dem Erfordernis des § 21 Abs. 1 NAG, den Erstantrag im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten, nicht um ein bloßes Formalerfordernis, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung (vgl. , mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch festgehalten, dass Fremde, die nach einer Antragstellung im Ausland mit einem Visum in das Bundesgebiet eingereist sind, nicht berechtigt sind, die Entscheidung über ihren - wenn auch im Ausland gestellten - Antrag über den Ablauf der Gültigkeit des Visums hinaus im Inland abzuwarten (siehe , Rn. 9). Ein Verbleib im Inland in einer derartigen Konstellation stellt einen Verstoß gegen die Verpflichtung des § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG dar (vgl. ). Weiters ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass auch in den Fällen, in denen ein Antrag vor Inkrafttreten des NAG zulässigerweise im Inland gestellt worden ist, der Antragsteller nach Inkrafttreten des NAG das Bundesgebiet verlassen musste, weil die Entscheidung nach § 21 Abs. 1 NAG im Ausland abzuwarten war (vgl. ; , 2008/22/0228, jeweils mwN). Ähnliches gilt, wenn ein Fremder nach einer Scheidung der Ehe oder nach dem Tod des österreichischen Ehegatten nicht mehr berechtigt ist, die Entscheidung über seinen Antrag im Inland abzuwarten (vgl. ; , 2008/22/0766).
17 Der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich entnehmen, dass im Laufe eines anhängigen Verfahrens eintretende Rechtsänderungen oder (vom Fremden nicht beeinflussbare) Änderungen im Faktischen dazu führen können, dass die Zulässigkeit des Abwartens der Entscheidung im Inland wegfällt und der Fremde ausreisen muss, um der Verpflichtung zum Abwarten der Entscheidung im Ausland nachzukommen. Umgekehrt lassen weder der Wortlaut des § 21 Abs. 1 NAG noch die Erläuterungen dazu zwingende Rückschlüsse darauf zu, dass die darin normierte Verpflichtung nur bis zur erstmaligen Entscheidung über einen Antrag gilt und in einem - nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof notwendig gewordenen - fortgesetzten Verfahren nicht mehr maßgeblich sein soll. Zwar kann einem Fremden - ungeachtet der ex tunc-Wirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes - nicht vorgehalten werden, dass er sich bis zur Aufhebung der den Aufenthaltstitel erteilenden Entscheidung im Inland aufgehalten hat, weil er bis zu diesem Zeitpunkt auf den Bestand des rechtskräftig erteilten Aufenthaltstitels vertrauen durfte. Nach Erlassung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes wird infolge des dann wiederum unerledigten Antrages die Verpflichtung zum Abwarten der Entscheidung im Ausland - so die Inlandsantragstellung nicht ausnahmsweise zulässig bzw. der Inlandsaufenthalt aus anderen Gründen rechtmäßig ist - wieder schlagend.
18 Soweit der Mitbeteiligte für seine Auffassung die Unmöglichkeit ins Treffen führt, einen Zusatzantrag nach § 21 Abs. 3 NAG im Beschwerdeverfahren zu stellen, ist dem Folgendes entgegenzuhalten: Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass die aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene Interessenabwägung (im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG) auch in einer Konstellation möglich sein muss, in der die Frage der Zulässigkeit der Inlandsantragstellung und das Erfordernis einer Belehrung über einen Zusatzantrag nach § 21 Abs. 3 NAG zum Zeitpunkt der (damals: erstinstanzlichen) Entscheidung noch kein Thema war, weil die Fremde damals noch zum Aufenthalt im Inland berechtigt war (siehe erneut ). Gleichermaßen muss eine Interessenabwägung aber auch in einer Konstellation wie der hier vorliegenden vorgenommen werden, in der ein Antrag auf Zulassung der Inlandsantragstellung vor Bescheiderlassung nicht erfolgen konnte, weil der Antragsteller die Entscheidung zunächst ohnehin im Ausland abgewartet hat und sich die Frage eines allfälligen Verstoßes gegen § 21 Abs. 1 NAG erst dadurch stellt, dass der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes über die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels aufgehoben hat.
19 Im Zusammenhang mit der Interessenabwägung im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG ist zudem Folgendes zu beachten: Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich im bereits zitierten Erkenntnis 2010/21/0460 mit der Konstellation zu befassen, in der die Einreise der Fremden nach der Antragstellung im Ausland und nach Ausstellung eines Visums durch die (von der zunächst zuständigen Aufenthaltsbehörde dazu angewiesene) Botschaft rechtmäßig erfolgt ist, der Antrag auf Titelerteilung von der danach zuständig gewordenen Behörde abgewiesen wurde und die Fremde im Bundesgebiet verblieben ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich zwar einen Verstoß gegen die Verpflichtung nach § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG bejaht, bei der sodann gebotenen Interessenabwägung aber dem konkreten Verfahrensablauf unter Beachtung der Parameter nach § 11 Abs. 3 Z 1, 7 und 8 NAG eine ausschlaggebende Bedeutung zugunsten der Fremden beigemessen. 20 Ausgehend davon wäre auch vorliegend dem zugrunde liegenden Verfahrensablauf im Rahmen einer Interessenabwägung jedenfalls eine wesentliche Bedeutung beizumessen gewesen (ungeachtet des Umstandes, dass auch alle weiteren in § 11 Abs. 3 NAG genannten Parameter in die Beurteilung einfließen). Der Mitbeteiligte hat die Vorgaben des § 21 Abs. 1 NAG zunächst eingehalten und sich in der Folge im berechtigten Vertrauen auf einen rechtskräftig erteilten Aufenthaltstitel in Österreich aufgehalten und die mit einer solchen Aufenthaltsbegründung einhergehenden Schritte unternommen. Dem Verbleib im Bundesgebiet im Anschluss an ein aufhebendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes kann - eine zeitnahe Entscheidung im fortgesetzten Verfahren vorausgesetzt - keine das öffentliche Interesse in vergleichbarer Weise beeinträchtigende Wirkung beigemessen werden wie einem Vorgehen, bei dem letztlich (etwa im Wege eines von Anfang an rechtswidrigen Inlandsaufenthaltes) versucht wird, in Bezug auf den Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.
21 Dessen ungeachtet war das angefochtene Erkenntnis bereits aus den in Rn. 9 bis 12 genannten Gründen mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet und somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220288.L00 |
Schlagworte: | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt |
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