VwGH vom 25.04.2019, Ra 2018/22/0287
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das am mündlich verkündete und mit schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/011/17117/2017-23, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: G B, vertreten durch Mag. Zlatko Petronijevic, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Antonigasse 87/Top 3-4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde und nunmehriger Revisionswerber) den Antrag des Mitbeteiligten, eines serbischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wegen Vorliegen einer Aufenthaltsehe ab.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG statt, behob den angefochtenen Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde "mit der Anordnung, die bislang unterlassene Sachverhaltsfeststellung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 NAG nach Wegfall des am im bekämpften Bescheid angezogenen Abweisungsgrundes der Scheinehe nach § 30 NAG vorzunehmen", zurück. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass das vor dem Bezirksgericht Hietzing geführte Verfahren wegen des Tatverdachtes der Aufenthaltsehe aus Mangel an Beweisen nach § 259 Z 3 StPO eingestellt worden sei. Weiters führte das Verwaltungsgericht aus, dass es keine Veranlassung gesehen habe, aufgrund der mündlich aufgenommenen Beweise und insbesondere der aktiven Mitwirkung des Mitbeteiligten an der Entscheidung des Bezirksgerichtes Hietzing vom zu zweifeln. Die belangte Behörde habe bislang keine Überprüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vorgenommen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde. 5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG abgewichen.
8 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.
9 Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht durch Erkenntnis, sondern mit Beschluss zu erfolgen hat (vgl. , Rn. 7).
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (vgl. , Rn. 6, mwN). 11 Im vorliegenden Fall legte der Revisionswerber seiner Entscheidung den Erhebungsbericht der Landespolizeidirektion Wien vom zugrunde, wonach sich der Mitbeteiligte in Serbien aufhalte und bei einer "Hauserhebung" bei der Ehegattin des Mitbeteiligten am keine persönlichen Gegenstände des Mitbeteiligten vorgefunden worden seien. Der Mitbeteiligte habe seinem aktuellen Facebook-Profil seinen Beziehungsstatus mit "single" angegeben. Weiters begründete die Behörde das Vorliegen einer Aufenthaltsehe mit widersprüchlichen Angaben der Eheleute in Bezug auf die Hochzeitsfeier, allfällige Geburtstagsgeschenke usw. 12 Das Verwaltungsgericht verweist lediglich darauf, dass das strafgerichtliche Verfahren vor dem Bezirksgericht aus Mangel an Beweisen gemäß § 259 Z 3 StPO eingestellt worden sei und es nicht an der Entscheidung des Bezirksgerichtes zweifle. In Zusammenhang mit Strafverfahren wegen des Vergehens einer Aufenthaltsehe sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits aus, dass die Bindungswirkung verurteilender strafgerichtlicher Entscheidungen im Fall einer freisprechenden Entscheidung nicht zum Tragen komme und diesfalls die zuständige Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) eine eigenständige Beurteilung vorzunehmen habe, was ein mängelfreies Ermittlungsverfahren und eine vollständige Beweiserhebung voraussetzt (, Rn. 12, mwN). 13 Die Behörde hat eine eigene Beurteilung betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe vorgenommen und es kann nicht gesagt werden, der Revisionswerber habe jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt. Ungeachtet dessen, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogene Einstellung des strafgerichtlichen Verfahrens zeitlich nach der Entscheidung der belangten Behörde erfolgte, belastete das Verwaltungsgericht insofern seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit, als es lediglich auf die strafgerichtliche Einstellung verwies und sich mit den übrigen Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens in keiner Weise auseinander setzte.
14 Darüber hinaus legte das Verwaltungsgericht nicht dar, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens bzw. die Nachholung der fehlenden Feststellungen in Bezug auf die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des beantragten Aufenthaltstitels durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/22/0041, Rn. 9, mwN).
15 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220287.L00 |
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