VwGH vom 06.09.2012, 2010/18/0440
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2010/18/0441
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerden 1. des XX, geboren am , und 2. des YY, geboren am , beide wohnhaft in B, beide vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres (beide) vom , 1. Zl. 9.588.805/0001-III/3/a/2010 (protokolliert unter Zl. 2010/18/0440) und 2. Zl. 9.589.060/0001- III/3/a/2010 (protokolliert unter Zl. 2010/18/0441), jeweils betreffend Versagung eines Reisepasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf Ausstellung von österreichischen Reisepässen gemäß § 14 Abs. 1 Z 1 Passgesetz 1992 (PassG) "mit Verweis auf § 293 Abs. 2 ZPO" ab.
Dies begründete die belangte Behörde - im Wesentlichen in beiden Bescheiden gleichlautend - damit, dass die in Nigeria aufhältigen Beschwerdeführer durch ihre Mutter am bei der Österreichischen Botschaft Abuja Anträge auf Ausstellung österreichischer Reisepässe gestellt hätten. Zum Nachweis der Identität der Beschwerdeführer seien jeweils für beide Beschwerdeführer am ausgestellte nigerianische Reisepässe, nigerianische Geburtsurkunden, die ebenfalls jeweils am ausgestellt worden seien, sowie Staatsbürgerschaftsverleihungsbescheide gemäß § 12 Z 4 Staatsbürgerschaftsgesetz, die beide mit datierten, vorgelegt worden.
Auf Grund von Wiederaufnahmeanträgen der Bundesministerin für Inneres vom gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG betreffend das Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft seien die Verfahren zur Ausstellung österreichischer Reisepässe zunächst ausgesetzt worden; hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers sei der Wiederaufnahmeantrag am zurückgezogen worden. Bezüglich des Zweitbeschwerdeführers sei keine solche Zurückziehung erfolgt. Nach Durchführung eines - in den angefochtenen Bescheiden näher dargestellten - Ermittlungsverfahrens habe die Behörde erster Instanz mit Bescheiden vom jeweils "Passversagungsbescheide" erlassen, weil die von den Beschwerdeführern vorgelegten Dokumente von der Österreichischen Botschaft Abuja auf Grund der Unklarheiten nicht hätten beglaubigt werden können.
In den gegen diese Bescheide eingebrachten Berufungen hätten die Beschwerdeführer unter anderem vorgebracht, das "Amt der Wiener Landesregierung" als Staatsbürgerschaftsbehörde habe in Kenntnis des Berichtes des Vertrauensanwaltes der Österreichischen Botschaft Abuja die von der Bundesministerin für Inneres angestrengten Wiederaufnahmeverfahren zur Staatsbürgerschaftsverleihung eingestellt. Im Passverfahren habe daher eine ausreichende Identifizierung der Beschwerdeführer stattgefunden. Die bezweifelte Abstammung von den Eltern sei für das Passverfahren selbst unwesentlich, weil den Beschwerdeführern mit Bescheiden vom die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei; in die Rechtskraft der Verleihungsbescheide sei nicht eingegriffen worden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 Z 1 PassG 1992 und § 47 AVG sowie die für die Beurteilung der Beweiskraft von öffentlichen Urkunden und Privaturkunden relevanten §§ 292 bis 294, § 296, § 310 und § 311 ZPO im Wesentlichen aus, ein von der Erstbehörde durchgeführtes Ermittlungsverfahren unter Beiziehung eines nigerianischen Vertrauensanwaltes habe zu einem "negativen Ergebnis" geführt, sodass die vorgelegten Dokumente durch die Österreichische Botschaft Abuja nicht hätten beglaubigt werden können. Auch die von der belangten Behörde durchgeführten, im angefochtenen Bescheid näher dargestellten Ermittlungen hätten Zweifel daran ergeben, ob die Beschwerdeführer tatsächlich die Söhne des österreichischen Staatsbürgers A. seien. Die Geburtsurkunden (betreffend den Namen des Vaters, wobei die Änderungen entgegen der gesetzlichen Vorschriften nicht durch die Unterschrift des zu Beeidenden bestätigt worden seien) der Beschwerdeführer hätten Ausbesserungen aufgewiesen. Die Ermittlungen des Vertrauensanwaltes hätten im Wesentlichen ergeben: der Erstbeschwerdeführer habe im Vergleich zu seiner Mutter abweichende Angaben zu der von ihm besuchten Schule gemacht; in den Anwesenheitslisten der Schulen seien die Namen der Beschwerdeführer nicht in alphabethischer Reihenfolge, sondern am Ende angefügt worden; die Datenblätter einer Schule enthielten keinen Stempel und keine Unterschrift, seien unvollständig ausgefüllt und wiesen als Geburtsorte der Beschwerdeführer "Ibadan" auf, während sowohl die Mutter als auch die Beschwerdeführer selbst als Geburtsort "Benin City" angegeben hätten; die vom Zweitbeschwerdeführer angegebenen Zeiträume seines Schulbesuches stimmten nicht mit den Anwesenheitslisten in den Schulen überein; sowohl die Großeltern väterlicherseits als auch ein angeblicher Onkel der Beschwerdeführer hätten diese nicht als Sohn von A. identifiziert; auch in der Nachbarschaft der angegebenen Wohnadresse seien die Beschwerdeführer unbekannt; die Mutter des Erstbeschwerdeführers habe anfangs nicht erwähnt, dass dieser einen mittlerweile verstorbenen Zwillingsbruder gehabt habe, sondern zu einem späteren Zeitpunkt Fotos von Zwillingen im Kleinkindalter vorgelegt, wobei der Erstbeschwerdeführer nach Angaben seiner Mutter einer der Zwillinge sei; der Erstbeschwerdeführer trage jedoch nicht einen für Zwillinge sonst üblichen Beinamen; zwei Onkel der Beschwerdeführer mütterlicherseits hätten wiederholt versucht, mit dem Vertrauensanwalt zu verhandeln, um einen positiven Bericht zu erwirken; der Zweitbeschwerdeführer habe sich geweigert, Fragen zu seinem Vater zu beantworten. In den nigerianischen Reisepässen der Beschwerdeführer sei auf der Personendatenseite als Geburtsort jeweils "Ibadan" eingetragen und auf der dritten Seite der Reisepässe befinde sich in beiden Fällen ein handschriftlicher Eintrag, dass der Geburtsort auf der Datenseite korrekterweise "Benin City" lauten solle.
Die unbeglaubigten Dokumente - so die belangte Behörde weiter - seien gemäß § 293 Abs. 2 ZPO in Österreich nicht als öffentliche Urkunden anzusehen und entfalteten daher nicht die volle Beweiskraft. Die Klärung der Identität der Beschwerdeführer sei gemäß § 14 Abs. 1 Z 1 PassG als Hauptfrage im Passverfahren zu klären und sei nicht vom "Amt der Wiener Landesregierung" in dem von der Bundesministerin für Inneres eingeleiteten Wiederaufnahmeverfahren betreffend die Verleihung der Staatsbürgerschaft als Hauptfrage zu entscheiden. In jenen Verfahren sei lediglich zu klären, ob die Verleihungsbescheide etwa durch Fälschung von Urkunden herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden seien. Auf Grund der im Ermittlungsverfahren aufgekommenen Unklarheiten sei im Sinn des § 14 Abs. 1 Z 1 PassG die Ausstellung der Reisepässe zu versagen, weil die Beschwerdeführer ihre Identität nicht zweifelsfrei nachzuweisen vermocht hätten.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde und weitere Äußerungen sowohl der Bundesministerin für Inneres als auch der Beschwerdeführer erwogen:
Gemäß § 14 Abs. 1 Z 1 Passgesetz 1992, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 6/2009 (das ist die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides relevante Fassung), sind die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses zu versagen, wenn der Passwerber seine Identität nicht zweifelsfrei nachzuweisen vermag oder die erforderliche Mitwirkung verweigert.
§ 1 Abs. 1 bis 3, § 2 und § 3 Abs. 1 Passgesetz-Durchführungsverordnung (PassG-DV; jeweils samt Überschrift), in der hier maßgeblichen Stammfassung BGBl. II Nr. 223/2006, haben folgenden Wortlaut:
"Identitätsnachweis
§ 1. (1) Zum Zwecke der Identitätsfeststellung hat der Passwerber, auch wenn er vertreten wird, vor der Passbehörde oder einer gemäß § 16 Abs. 3 Passgesetz 1992 ermächtigten Gemeinde persönlich zu erscheinen und einen Lichtbildausweis, der von einer Behörde in ihrem sachlichen Wirkungsbereich in Ausübung hoheitlicher Funktion ausgestellt wurde (amtlicher Lichtbildausweis), vorzuweisen. Das Lichtbild muss den Passwerber zweifelsfrei erkennen lassen.
(2) Verfügt der Passwerber über keinen amtlichen Lichtbildausweis, so ist der Identitätsnachweis durch einen Identitätszeugen zu erbringen. Zu diesem Zweck muss sich der Identitätszeuge durch einen amtlichen Lichtbildausweis legitimieren und die Angaben zur Person des Passwerbers bestätigen.
(3) Von der Vorlage eines amtlichen Lichtbildausweises oder der Beibringung eines Identitätszeugen kann abgesehen werden, wenn auf Grund der bei der Behörde aufliegenden Informationen die Identität des Passwerbers zweifelsfrei festgestellt werden kann.
(4) …
Nachweis der Staatsbürgerschaft
§ 2. (1) Ein erforderlicher Nachweis der Staatsbürgerschaft erfolgt durch Vorlage eines der folgenden Dokumente des Passwerbers:
1. Staatsbürgerschaftsnachweis (§ 44 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 - StbG, BGBl. Nr. 311/1985, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 37/2006),
2. Bescheid über die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 23 StbG,
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3. | staatsbürgerschaftliche Bestätigung gemäß § 43 StbG, |
4. | Reisepass, ausgenommen Reisepässe gemäß § 4a Passgesetz 1992, |
5. | Personalausweis gemäß § 19 Passgesetz 1992 oder |
6. | durch Einsicht in das Standarddokumentenregister gemäß § 17 Abs. 2 E-Government-Gesetz - E-GovG, BGBl. I Nr. 10/2004. |
(2) Hatte der Passwerber in den letzten fünf Jahren seinen Hauptwohnsitz, in Ermangelung eines solchen, seinen dauernden Aufenthalt im Ausland, so hat die mit dem Passantrag befasste inländische Behörde eine Nachfrage an die zuständige Vertretungsbehörde zu richten, um festzustellen, ob ein Verlusttatbestand nach § 26 StbG, insbesondere nach Z 1, besteht.
Beizubringende Dokumente
§ 3. (1) Die für die Passausstellung erforderlichen Urkunden sind im Original oder als beglaubigte Abschrift beizubringen. Für die Ausstellung eines Reisepasses ist ein Lichtbild, das den Anforderungen des § 4 entspricht, beizubringen. Für Reisepässe gemäß § 4a Passgesetz 1992 sind zwei Lichtbilder erforderlich.
(2) …"
Den Feststellungen im angefochtenen Bescheid zufolge haben die Beschwerdeführer zum Nachweis ihrer Identität jeweils nigerianische Reisepässe, nigerianische Geburtsurkunden sowie Bescheide vom , womit ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden war, vorgelegt. Die belangte Behörde hatte jedoch Zweifel hinsichtlich der Beweiskraft der vorgelegten Urkunden und hat daher weitere Ermittlungen angestellt, aufgrund deren Ergebnisse sie zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Beschwerdeführer ihre Identität nicht zweifelsfrei nachzuweisen vermocht hätten.
Hinsichtlich der nigerianischen Reisepässe führt die belangte Behörde - in beiden Verfahren gleichlautend - lediglich aus, auf der Personendatenseite sei als Geburtsort "IBADAN" eingetragen, auf der dritten Seite des Reisepasses befinde sich jedoch ein handschriftlicher Eintrag, dass der Geburtsort auf der Datenseite korrekterweise "Benin City" lauten solle.
Daraus geht jedoch nicht hervor, dass die nigerianischen Reisepässe der Beschwerdeführer nicht geeignet seien, deren Identität gemäß § 14 Abs. 1 Z 1 PassG iVm § 1 Abs. 1 PassG-DV nachzuweisen. Dass diese Reisepässe nicht echt, nicht richtig oder nicht für die Beschwerdeführer ausgestellt worden wären, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Sie hätte daher bereits aufgrund der vorgelegten nigerianischen Reisepässe von einem ausreichenden Nachweis der Identität der Beschwerdeführer ausgehen müssen.
Sofern die belangte Behörde jedoch bezweifelt, dass die Beschwerdeführer tatsächlich Söhne des österreichischen Staatsbürgers A. sind, ist sie gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das eine vergleichbare Konstellation betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0436, zu verweisen.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich daher als mit Rechtswidrigkeit des Inhalts behaftet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am