VwGH vom 20.10.2011, 2010/18/0430
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des Z L in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 1742/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 sowie § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1992 auf Grund eines "Sichtvermerkes für jugoslawische und türkische Gastarbeiter" in das Bundesgebiet eingereist; sein Sichtvermerk sei mehrmals verlängert worden. 1997 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und auf diese Ehe gestützt eine Niederlassungsbewilligung erhalten. Seit verfüge der Beschwerdeführer über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung.
Bereits im Jahr 1994 sei er vom Jugendgerichtshof Wien wegen versuchter Nötigung schuldig gesprochen worden; die verhängte Strafe sei für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten worden. Nur zwei Jahre später sei er wieder vom Jugendgerichtshof Wien, diesmal wegen des Verbrechens des Raubes, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt worden. Die nächste Verurteilung sei am wegen leichter und schwerer fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe erfolgt, weil der Beschwerdeführer mit weit überhöhter Geschwindigkeit einen Verkehrsunfall verursacht habe, bei dem seine Mitfahrer verletzt worden seien. Das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten wurde im angefochtenen Bescheid näher dargelegt.
Am sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens gemäß § 28 Abs. 2, Abs. 3 erster und zweiter Fall, Abs. 4 Z. 3 SMG, teilweise als Beteiligter gemäß § 12 zweiter Fall StGB, wegen des Vergehens gemäß § 27 Abs. 1 SMG und wegen des Vergehens gemäß § 50 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt worden. Diesem Urteil sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer ab einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt bis Suchtgiftkuriere dazu bestimmt habe, etwa 150 bis 180 kg Marihuana, eine zumindest die große Menge des § 28 Abs. 6 SMG jedenfalls überschreitende Menge Haschisch, eine jedenfalls große Menge "Ecstasy-Tabletten" und zumindest 150 g Kokain von Holland aus nach Österreich einzuführen. Zwischen Anfang 2000 und Mai 2003 habe der Beschwerdeführer einem Mittäter mehrfach geringe Mengen Kokain zum gemeinsamen Konsum überlassen und zwischen Anfang 2002 und Mai 2003 insgesamt 150 bis 180 kg Marihuana, eine nicht mehr exakt feststellbare Menge Haschisch und 150 g Kokain zum Zweck des Weiterverkaufes an Mittäter übergeben sowie eine jedenfalls große Menge Marihuana und eine jedenfalls große Menge "Ecstasy-Tabletten" an Abnehmer verkauft. Das bei diesen Tathandlungen betroffene Suchtgift mache mindestens das 25-fache der Grenzmenge aus. Der Beschwerdeführer habe als Mittäter einer international operierenden Tätergruppe agiert, wobei er als Motiv seine Einkommens- und Vermögenslosigkeit genannt habe. Darüber hinaus habe er unbefugt eine Faustfeuerwaffe, somit eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, besessen.
Am sei der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen worden. Danach sei er zwischen März 2008 und Februar 2010 insgesamt fünfmal wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung (StVO) bzw. mehrfacher Übertretung des Führerscheingesetzes (FSG) rechtskräftig bestraft worden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG aus, die Verurteilung im Jahr 2004 erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG und die wiederholten Verwaltungsstrafen gemäß § 37 FSG und § 99 Abs. 1 lit. a StVO jene des § 60 Abs. 2 Z. 2 FPG, die als "Orientierungsmaßstab" auch im Rahmen der Beurteilung gemäß § 86 Abs. 1 FPG herangezogen würden. Dem Beschwerdeführer falle im Lichte des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität und am Schutz der Volksgesundheit sowie an der Einhaltung der Normen, die den Straßenverkehr regelten, ein besonders verwerfliches Fehlverhalten zur Last, sodass durch seinen Verbleib im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 86 FPG nachhaltig und maßgeblich gefährdet erscheine. Er habe durch sein wiederholtes einschlägiges strafbares Handeln vor der Erteilung der Niederlassungsbewilligung und durch die ab diesem Zeitpunkt begangenen wiederholten Verwaltungsübertretungen und das Verbrechen des Suchtgifthandels deutlich dokumentiert, dass er offenbar nicht in der Lage oder gewillt sei, die Rechtsvorschriften seines Gastlandes einzuhalten. Im Hinblick auf die Verurteilung wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer vierjährigen unbedingten Haftstrafe stünden auch die die Aufenthaltsverfestigung regelnden Bestimmungen der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 1992, dass er über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung verfüge sowie seine familiären Bindungen zu seiner österreichischen Ehefrau, der gemeinsamen Tochter und seiner Mutter, die ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Zwischen Juli 2007 und September 2010 sei er einer Beschäftigung nachgegangen. Auf Grund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und seiner familiären und beruflichen Bindungen erfolge durch das Aufenthaltsverbot ein Eingriff in sein Familien- und Privatleben, der jedoch im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, insbesondere zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Volksgesundheit, dringend geboten sei. Die mit der Wiedereingliederung in seinem Heimatland verbundenen Schwierigkeiten habe der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Das Familienleben könne - wenn auch in eingeschränkter Form - durch regelmäßige Besuche (gemeint: durch die Familienangehörigen im Ausland) aufrechterhalten werden.
II.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die Beschwerde rügt im Hinblick auf die zu erstellende Gefährdungsprognose, die belangte Behörde habe dadurch, dass sie den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als Orientierungsmaßstab für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes herangezogen habe, einen unrichtigen Gefährdungsmaßstab angewendet. Die belangte Behörde gehe zutreffend davon aus, dass der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Aufenthalt ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt habe. Daher hätte sie beurteilen müssen, ob auf Grund des persönlichen Verhaltens des Beschwerdeführers davon ausgegangen werden könne, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet werde. Eine nachvollziehbare Anwendung des § 86 Abs. 1 vierter Satz FPG (gemeint wohl: fünfter Satz) sei nicht erkennbar.
Dieses Beschwerdevorbringen ist nicht zielführend, weil die belangte Behörde die Gefährdungsprognose erkennbar auf § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG gestützt hat, hat sie doch - unter Hinweis auf das besonders verwerfliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine strafbaren Handlungen im Rahmen der Suchtgiftkriminalität sowie die von ihm begangenen Verwaltungsübertretungen - die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch den Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet als "nachhaltig und maßgeblich gefährdet" beurteilt. Der Beschwerdeführer wurde bereits zwei Jahre nach seiner Einreise erstmals straffällig und ließ sich auch durch die beiden ersten Verurteilungen durch den Jugendgerichtshof nicht davon abhalten, neuerlich und mit deutlich gesteigertem Unrechtsgehalt straffällig zu werden, indem er über lange Zeit hinweg als Mittäter eines international operierenden Suchtgiftringes tätig wurde. Auch die Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren, die er laut einem mit der Beschwerde vorgelegten Schreiben seiner Ehefrau "bis zum letzten Tag abgebüßt hat, ohne vorzeitige Entlassung", konnte ihn nicht dazu veranlassen, sich in der Folge rechtskonform zu verhalten. So wurde er nach seiner Haftentlassung insgesamt fünfmal rechtskräftig wegen Übertretung der StVO bzw. wiederholten Übertretungen des FSG bestraft. Im Hinblick auf das langjährige Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers im Bereich der Gewalt-, Eigentums- und Suchtgiftkriminalität sowie in verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht bedarf es noch eines wesentlich längeren Zeitraumes des Wohlverhaltens, um verlässlich davon ausgehen zu können, die vom Beschwerdeführer herrührende Gefahr könne als weggefallen oder erheblich gemindert angesehen werden. Darüber hinaus ist ein allfälliger Gesinnungswandel grundsätzlich daran zu prüfen, ob und wie lange sich ein Straftäter in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0486, mwN). Da der Beschwerdeführer erst am aus der Strafhaft entlassen wurde und danach - wie bereits erwähnt - wiederholtes Fehlverhalten vorzuwerfen war, hegt der Verwaltungsgerichtshof an der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde, dass ihm eine günstige Zukunftsprognose zu versagen war und er im Fall seines Verbleibes im Bundesgebiet eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG hervorrufen würde, keine Zweifel (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0690, mwN).
Soweit die Beschwerde im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG auf die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 1992, seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, den gemeinsamen Wohnsitz mit dieser und seiner (im Oktober 2003 geborenen) Tochter sowie die familiären Beziehungen zu seiner Mutter, die ebenfalls österreichische Staatsbürgerin ist, und seine Berufstätigkeit hinweist, macht er keine entscheidungsrelevanten Umstände geltend, die die belangte Behörde im Rahmen ihrer Interessenabwägung nicht ohnedies bereits berücksichtigt hat. Die diesbezüglich geltend gemachte Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte während des beinahe sechs Jahre dauernden (laut Verwaltungsakten auf Grund eines beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Gesetzesprüfungsverfahrens betreffend § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG von der belangten Behörde "formlos ausgesetzten") Berufungsverfahrens genauere Ermittlungen zur Lebenssituation des Beschwerdeführers durchführen müssen, ist schon deshalb nicht zielführend, weil die Beschwerde die Relevanz allfälliger ergänzender Ermittlungen nicht aufzeigt. Die in der Beschwerde vermisste Vernehmung der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde während des Verwaltungsverfahrens nicht beantragt und auch die Beschwerde zeigt keine Umstände auf, auf Grund derer die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Im Übrigen konnten den Beschwerdeführer seine familiären Bindungen auch schon bisher nicht von seinem strafbaren Verhalten abhalten.
Zutreffend hat die belangte Behörde den öffentlichen Interessen an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen insbesondere im Bereich der Suchtgiftkriminalität den Vorrang gegenüber den Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet eingeräumt. Da der Beschwerdeführer erst im Alter von 16 Jahren nach Österreich kam, ist davon auszugehen, dass er mit der Sprache und der Kultur seines Heimatlandes vertraut ist. In Anbetracht seines massiven und langjährigen Fehlverhaltens und der von ihm ausgehenden Gefährdung hat er allfällige Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in seiner Heimat sowie die Trennung von seiner Familie im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , mwN).
Schließlich ist auch das Beschwerdevorbringen, der angefochtene Bescheid sei unzureichend begründet, unzutreffend.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-80682