VwGH vom 20.07.2011, 2008/17/0144

VwGH vom 20.07.2011, 2008/17/0144

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Zehetner und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Gold, über die Beschwerde 1. der GG, 2. der Mag. MG, beide in ME, beide vertreten durch Dr. Hannes Pflaum, Dr. Peter Karlberger, Dr. Manfred Wiener, Mag. Wilfried Opetnik und Mag. Petra Rindler, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Nibelungengasse 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. IVW3-BE-3171601/011-2004, betreffend Kanaleinmündungsabgabe (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde Maria Enzersdorf in 2344 Maria Enzersdorf, Hauptstraße 37), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte kann auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/17/0208 (in der Folge: Vorerkenntnis), verwiesen werden. Aus diesem ergibt sich, dass die damaligen Eigentümer des (im Gemeindegebiet der mitbeteiligten Marktgemeinde gelegenen) Grundstücks Nr. 911/10, EZ. 3001, mit der Marktgemeinde B und der mitbeteiligten Marktgemeinde im Jahr 1991 ein Übereinkommen über den Anschluss dieses Grundstücks an das Kanalsystem der Marktgemeinde B abgeschlossenen haben. In diesem Übereinkommen haben sich die Liegenschaftseigentümer für sich und ihre Rechtsnachfolger zur Leistung eines Entgelts (in Höhe der dort geltenden Kanaleinmündungs- und Benützungsgebühren) an die Marktgemeinde B verpflichtet. Die mitbeteiligte Marktgemeinde erteilte ihre ausdrückliche Zustimmung zum Anschluss dieser Liegenschaft an das öffentliche Mischwasserkanalnetz der Marktgemeinde B und zur Entrichtung des Entgelts durch die Eigentümer dieser Liegenschaft an die Marktgemeinde B.

1994 wurde von dem genannten Grundstück das nunmehrige Grundstück Nr. 911/14, EZ. 3092, welches mit einem Gebäude ("Badehaus") ohne Kanalanschluss bebaut war, abgeteilt. In der Folge wurde dieses nunmehr im Eigentum der Beschwerdeführerinnen stehende Grundstück durch Ableitung über das Grundstück Nr. 911/10, EZ. 3001, ebenfalls an die Kanalanlage der Marktgemeinde B angeschlossen.

Mit Bescheid vom schrieb der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde den Beschwerdeführerinnen für diesen Anschluss Kanaleinmündungsabgabe vor. Dies wurde von den Beschwerdeführerinnen im Instanzenzug u.a. mit dem Vorbringen bekämpft, dass die mitbeteiligte Marktgemeinde dazu schon deswegen nicht berechtigt sei, weil kein Anschluss an deren Kanalnetz vorliege. Überdies wurde Verjährung der Abgabenforderung eingewendet und die Richtigkeit der Berechnung bestritten.

Mit dem Vorerkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof die darüber ergangene Vorstellungsentscheidung der belangten Behörde vom wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Dabei führte er - zusammengefasst - aus, die belangte Behörde habe Feststellungen unterlassen, die es erlauben würden, das Kanalnetz der Nachbargemeinde B (auch) der mitbeteiligten Marktgemeinde zuzurechnen. Die belangte Behörde habe auch keine Feststellungen über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 KanalG (wonach die Kanalerrichtungsabgabe nur im Falle einer Anschlussverpflichtung oder Bewilligung des Anschlusses an die öffentliche Kanalanlage vorgeschrieben werden dürfe) getroffen und sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen betreffend die Unmöglichkeit des Anschlusses ihrer Liegenschaft an das Kanalnetz der mitbeteiligten Marktgemeinde nicht auseinandergesetzt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Vorstellung der Beschwerdeführerinnen neuerlich ab. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, das gegenständliche Grundstück befinde sich auf dem Gemeindegebiet der mitbeteiligten Marktgemeinde, welche über eine öffentliche Kanalanlage verfüge. Die Abwässer des Grundstückes der Beschwerdeführerinnen würden in die Kanalanlage der Marktgemeinde B münden. Die öffentliche Abwasserentsorgung erfolge im Namen der mitbeteiligten Marktgemeinde, weil diese sich bei Besorgung ihrer Aufgaben der Einrichtungen der Nachbargemeinde B bediene. Es sei am zwischen der mitbeteiligten Marktgemeinde und der Marktgemeinde B eine "Vereinbarung betreffend die Vorschreibung und Verrechnung vorgeschriebener Kanalgebühren" getroffen worden. Weiters seien entsprechende Beschlüsse beider Gemeinderäte herbeigeführt worden.

Die Beschwerdeführerinnen hätten 1995 die Errichtung einer Senkgrube beantragt und 2001 mit Bauanzeige mitgeteilt, dass sie in diese Senkgrube nunmehr ein Pumpwerk eingebaut hätten, um die anfallenden Schmutzwässer über das Nachbargrundstück (i. e. der Eltern) in den öffentlichen Kanal zu leiten. 2002 sei dies im Rahmen der Fertigstellungsmeldung vom Bauführer auch bestätigt worden. Es liege nun eine Kanalverlegung über ein fremdes Grundstück iSd § 18 NÖ KanalG vor. Damit sei aber die Anschlussmöglichkeit des Grundstückes gegeben. Mit Billigung der mitbeteiligten Marktgemeinde sei der Anschluss auch tatsächlich erfolgt. Dadurch und durch die in der Folge ergangenen Abgabenbescheide sei die mitbeteiligte Marktgemeinde mit den Beschwerdeführerinnen in eine direkte Rechtsbeziehung eingetreten. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine Anschlussmöglichkeit nicht vorliege, bestehe eine Beitragspflicht jedenfalls durch den tatsächlichen Kanalanschluss.

In der Folge enthält der angefochtene Bescheid noch Ausführungen zur geltend gemachten Verjährung und zur Ermittlung der Berechnungsfläche.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerinnen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehren.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 1 Abs. 1 Niederösterreichisches Kanalgesetz 1977, LGBl. Nr. 8230 (idF vor der Novelle LGBl. Nr. 8230-6; in der Folge:

KanalG), ermächtigt gemäß § 8 Abs. 5 F-VG 1948 die Gemeinden, u. a. Kanalerrichtungsabgaben (Kanaleinmündungs-, Kanalergänzungs-, Kanalsonderabgabe) zu erheben.

Nach § 1 Abs. 5 KanalG ist die Kanalerrichtungsabgabe eine zweckgebundene Einnahme, die ausschließlich für die Errichtung, für die Erhaltung und den Betrieb der Kanalanlage verwendet werden darf.

Gemäß § 2 Abs. 1 KanalG ist für den möglichen Anschluss an die öffentliche Kanalanlage eine Kanaleinmündungsabgabe zu entrichten. Bei einer Bauführung auf Grundstücken, die durch Abteilung einer Liegenschaft entstehen, tritt die Verpflichtung zur Bezahlung der Kanaleinmündungsabgabe nach § 2 Abs. 5 KanalG auch dann ein, wenn für die ungeteilte Liegenschaft eine Kanaleinmündungsabgabe bereits bezahlt worden ist.

Der Einheitssatz, der nach § 3 Abs. 1 KanalG der Abgabenberechnung zu Grunde zu legen ist, darf nach Abs. 3 leg. cit. 5 v. H. jenes Betrages nicht übersteigen, der unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt des Gemeinderatsbeschlusses für die gesamte Kanalanlage einschließlich der Nebenanlagen erforderlichen Baukosten auf den laufenden Meter der Kanalanlage durchschnittlich entfällt. Die vom Gemeinderat der Ermittlung des Einheitssatzes zu Grunde gelegten Baukosten sowie die Gesamtlänge des Kanalnetzes sind in die Kanalabgabenordnung aufzunehmen.

Die Gemeinde hat nach § 6 Abs. 2 lit. a KanalG in ihrer Kanalabgabenordnung u.a. die der Berechnung zu Grunde liegenden Baukosten sowie die Gesamtlänge des Kanalnetzes anzugeben.

Nach § 9 KanalG ist die Kanalerrichtungsabgabe für jene Liegenschaft zu errichten, für welche die Verpflichtung zum Anschluss an die öffentliche Kanalanlage besteht oder für welche der Anschluss bewilligt wurde.

Wenn der Anschluss einer Liegenschaft an die öffentliche Kanalanlage auf Grund der örtlichen oder technischen Gegebenheiten zur Gänze oder teilweise ohne unverhältnismäßige Kosten nur durch eine Anschlussleitung über fremden Grund und Boden möglich ist, so haben nach § 18 Abs. 1 KanalG die Eigentümer solcher Liegenschaften die Benützung ihres Grundes zu diesem Zwecke unentgeltlich zu dulden. Diese ist nach § 18 Abs. 2 KanalG dem betroffenen Liegenschaftseigentümer mit Bescheid aufzutragen.

Die Gemeinde hat nach § 19 KanalG ihre in diesem Gesetz geregelten Aufgaben mit Ausnahme der Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens und des Vollstreckungsverfahrens im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen.

§ 62 Abs. 2 Niederösterreichische Bauordnung 1996, LGBl. Nr. 8200-3 (in der Folge: BauO), sieht vor, dass die auf einer Liegenschaft anfallenden Schmutzwässer in den öffentlichen Kanal abzuleiten sind, wenn eine Anschlussmöglichkeit besteht. Ist keine Anschlussmöglichkeit vorhanden, sind die Schmutzwässer in eine Senkgrube zu leiten oder über eine wasserrechtlich bewilligte Kläranlage in unschädlicher Weise abzuleiten.

Die im angefochtenen Bescheid angeführte Vereinbarung zwischen der mitbeteiligten Marktgemeinde und der Marktgemeinde B vom (bzw. ) lautet:

"Vereinbarung zwischen der Marktgemeinde Maria Enzersdorf (ME) und der Marktgemeinde Brunn am Gebirge (BG)

I. Präambel

Im gemeinsamen Grenzgebiet sind zahlreiche Liegenschaften in ME an das Kanalsystem in BG angeschlossen und umgekehrt. Die Verrechnung der Kanalgebühren zwischen den beteiligten Gemeinden soll einer nachvollziehbaren und dauerhaften Regelung zugeführt werden. Da diesbezüglich keine Regelungen im NÖ Kanalgesetz bestehen, handelt es sich um eine rein privatrechtliche Vereinbarung zwischen den Gemeinden auf Basis des Verwendungsanspruches nach §§ 1041 ff. ABGB.

Ausgenommen von dieser Regelung und einer separaten Regelung vorbehalten ist die Verrechnung eines Aufwandes (Betrieb, Instandhaltung, Errichtung) für den in ME gelegenen Hauptsammelkanal ab der Einleitungsstelle der Hauptsammelkanäle von BG.

Ebenso ausgenommen sind Fälle, in denen bereits vertragliche Vereinbarungen zwischen den beteiligten Gemeinden unter Einbeziehung von Liegenschaftseigentümern in Geltung stehen.

II. Verrechnung der Kanalgebühren gegenüber den Liegenschaftseigentümern

Beide Gemeinden verrechnen die Kanalgebühren (Kanaleinmündungs- und Kanalbenützungsgebühren) gegenüber in ihrem Gemeindegebiet gelegenen Liegenschaften zu in der betreffenden Gemeinde geltenden Gebührensätzen. Dies gilt auch dann, wenn die Abwasserentsorgung der Liegenschaften über Anlagen der anderen Gemeinden erfolgt.

III. Verrechnung des Aufwandes zwischen den Gemeinden

Eine Weiterverrechnung von Kanaleinmündungsgebühren erfolgt nicht; bei der Vornahme des Kanalanschlusses ist lediglich das Einvernehmen mit der anderen Gemeinde herzustellen.

Die laufenden Kanalbenützungsgebühren werden auf Gegenseitigkeit zu den Gebührensätzen der jeweiligen Liegenschafts-Gemeinde an die andere Gemeinde weitergegeben.

IV. Verrechnungsmodus

Beide Gemeinden erarbeiten jährlich leicht nachvollziehbare Abrechnungslisten in elektronischer Form aus der die betroffenen Liegenschaften, die Grundlagen für die Gebührenberechnung (z.B. Berechnungsflächen, Gebührensätze), die von den Liegenschaftseigentümern eingenommenen Gebühren sowie die Gesamtforderung an die andere Gemeinde ersichtlich sind.

Die gegenseitigen Forderungen werden saldiert und hat jene Gemeinde, für die dabei eine Zahlungslast übrig bleibt, den Saldo an die andere Gemeinde zu überweisen.

Die gegenseitige Vorlage der Abrechnungsgrundlagen hat jährlich spätestens mit 1. Februar zu erfolgen; die Bezahlung des Saldobetrages bis 1. März.

V. Inkrafttreten

Diese Regelung tritt mit in Kraft. Die erstmalige gegenseitige Verrechnung erfolgt für die Jahre 2000 bis 2002.

Maria Enzersdorf, am

Brunn am Gebirge, am

…"

Voraussetzung für die Vorschreibung der Kanalerrichtungsabgabe, wozu auch die Kanaleinmündungsabgabe zählt (vgl. § 1 Abs. 1 KanalG), ist nach § 9 KanalG, dass eine Verpflichtung zum Anschluss an die öffentliche Kanalanlage besteht oder dass der Anschluss an die Kanalanlage bewilligt wurde.

Mit dem Vorerkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom aufgehoben, weil die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage Feststellungen über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 KanalG (Kanalanschlusspflicht oder Bewilligung zum Kanalanschluss) und dabei insbesondere über die Zurechenbarkeit der Kanalanlage der Marktgemeinde B an die mitbeteiligte Marktgemeinde unterlassen hat.

Die belangte Behörde begründete ihre Ansicht, die Kanalisationsanlage der Marktgemeinde B sei (auch) der mitbeteiligten Marktgemeinde zuzurechnen, entscheidungswesentlich mit der Vereinbarung zwischen den beiden Marktgemeinden vom 6. bzw. .

Nach Punkt I. dritter Absatz dieser oben wiedergegebenen Vereinbarung sind allerdings von dieser Regelung jene Fälle ausgenommen, "in denen bereits vertragliche Vereinbarungen zwischen den beteiligten Gemeinden unter Einbeziehung von Liegenschaftseigentümern in Geltung stehen".

Im Beschwerdefall haben die mitbeteiligte Marktgemeinde und die Marktgemeinde B mit den Rechtsvorgängern der Beschwerdeführerinnen, d. h. mit den Eigentümern des noch ungeteilten Grundstücks Nr. 911/10, EZ 3001, ein am vom Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde genehmigtes (privatrechtliches) Übereinkommen geschlossen, wonach diese Liegenschaft an das öffentliche Mischwasserkanalnetz der Marktgemeinde B angeschlossen werde und das Entgelt dafür von den Eigentümern an die Marktgemeinde B zu entrichten sei. Diese Vereinbarung sollte auch für die Rechtsnachfolger im grundbücherlichen Eigentum gelten. Nach dem Akteninhalt hat die mitbeteiligte Marktgemeinde in diesem Übereinkommen auch ausdrücklich zugestimmt, dass das Entgelt für den gestatteten Kanalanschluss vom (jeweiligen) Eigentümer der Liegenschaft an die Marktgemeinde B direkt entrichtet werde.

Daraus folgt, dass - unbeschadet der späteren Abteilung der gegenständlichen Liegenschaft von dem Grundstücks Nr. 911/10, EZ 3001 - die Vereinbarung vom 6. bzw. im Beschwerdefall keine Anwendung findet.

Die belangte Behörde konnte sich daher schon deswegen nicht auf diese Vereinbarung vom 6. bzw. stützen, um den Kanal der Marktgemeinde B der mitbeteiligten Marktgemeinde zuzurechnen.

Indem die belangte Behörde dies verkannte, und neuerlich keine tauglichen Feststellungen getroffen hat, welche es erlauben würden, den Kanal der Marktgemeinde B der mitbeteiligten Marktgemeinde zuzurechnen, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit dem übrigen Beschwerdevorbringen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am