VwGH vom 18.06.2013, 2010/18/0405

VwGH vom 18.06.2013, 2010/18/0405

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Sulzbacher und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des C A in W, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/431015/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 und § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit einer Aufenthaltsbewilligung für den Zweck "Studierender", ausgestellt am , in das Bundesgebiet eingereist. In der Folge seien mehrere Verlängerungsanträge bewilligt worden; das Verfahren über den zuletzt gestellten Verlängerungsantrag vom sei noch anhängig.

Am sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei weiteren Fremden gegen 21:45 Uhr in einer Bäckerei in Wien 2., N.-Gasse, durch Organe des Finanzamtes beim Verkauf von Brot betreten worden. Das von den Kontrollorganen vorgelegte Personalblatt, dessen Rubriken auch in türkischer Sprache bezeichnet seien, habe der Beschwerdeführer im ersten Teil selbst ausgefüllt und darin angegeben, seit als "Verkäufer auf Probe" beschäftigt zu sein und mit "der Chefin" eine Arbeitszeit von 12 Wochenstunden vereinbart zu haben.

Die handelsrechtliche Geschäftsführerin der Bäckerei, E A., habe bei ihrer Vernehmung als Zeugin noch am selben Tag angegeben, die im Betrieb angetroffenen Fremden, darunter auch der Beschwerdeführer, seien als Aushilfsverkäufer beschäftigt. Sie habe bisher noch nicht überprüft, ob die Fremden über arbeitsmarktbehördliche Dokumente verfügten. Der Beschwerdeführer sei erst seit drei Stunden beschäftigt und habe noch kein Geld erhalten.

Die Bestrafung von E A. wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) sei am rechtkräftig geworden.

Aufgrund der Wahrnehmungen der Organe des Finanzamtes Wien 2/20/21/22, des vom Beschwerdeführer selbst ausgefüllten Personalblattes, der Aussage von E A. sowie deren als Eingeständnis zu wertende Hinnahme der Verwaltungsstrafe sei die Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 8 FPG durch den Beschwerdeführer erwiesen. Der Übergang zwischen Gefälligkeitsdiensten und kurzfristigen Beschäftigungen iSd AuslBG sei zwar fließend. Die ursprüngliche schriftliche Angabe des Beschwerdeführers über eine Vereinbarung mit E A. betreffend die Absolvierung von zwölf Wochenstunden als Verkäufer auf Probe, die Wahrnehmung der Finanzamtsorgane, die Tatsache der Beschäftigung von zwei weiteren Fremden ohne arbeitsmarktbehördliche Bewilligung sowie die Tatsache der rechtskräftigen Bestrafung der Geschäftsführerin der Bäckerei wegen unrechtmäßiger Beschäftigung sprächen aber gegen das Vorliegen eines bloßen Freundschaftsdienstes.

Angesichts der Zweckbindung der zu erteilenden Aufenthaltstitel und des angelasteten Fehlverhaltens könne kein Zweifel bestehen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers den in § 60 Abs. 1 FPG genannten öffentlichen Interessen in erheblichem Ausmaß widerstreite und die öffentliche Ordnung gefährde. Es bestehe ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von gegen die Bestimmungen des AuslBG erbrachter Arbeit.

Der Beschwerdeführer sei ledig und verfüge über keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Ungeachtet seines mehrjährigen Aufenthaltes und seines Studiums in Österreich sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 66 FPG zulässig, weil sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - u.a. der Aufrechterhaltung eines intakten Fremden- und Beschäftigungswesens - dringend geboten sei und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet überwögen.

Die Richtlinie 2004/114/EG, auf die sich der Beschwerdeführer noch berufen habe, sei durch § 64 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden. Demnach richte sich die Ausübung einer prinzipiell nicht ausgeschlossenen Erwerbstätigkeit durch Studierende nach dem AuslBG. Dies bedeute, dass drittstaatsangehörige Studenten für eine unselbstständige Erwerbstätigkeit eine Beschäftigungsbewilligung benötigten, wenn die Beschäftigung nicht vom AuslBG ausgenommen sei, wofür im vorliegenden Fall kein Anhaltspunkt bestehe.

Schließlich setzte die belangte Behörde noch die erstinstanzlich festgelegte Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes von fünf Jahren auf drei Jahre herab.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 439/10-4, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - nach Aufforderung ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG, des NAG und des AuslBG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im März 2010 geltenden Fassungen.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach § 60 Abs. 2 Z 8 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder (u.a.) von Organen der Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des Abgabenverwaltungsorganisationsgesetzes (AVOG) bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen.

Die belangte Behörde hat - ausgehend von ihren Feststellungen, dass der Beschwerdeführer am von Organen der Abgabenbehörde beim Verkaufen von Brot betreten worden sei und es sich bei dieser Tätigkeit nicht um einen bloßen Gefälligkeitsdienst gehandelt habe - die Verwirklichung des genannten Aufenthaltsverbotstatbestandes unterstellt. In Bezug auf die dafür auch maßgebliche Frage, ob der Beschwerdeführer diese Tätigkeit nach dem AuslBG hätte ausüben dürfen, ist sie von dem gemäß § 64 Abs. 2 NAG iVm § 3 Abs. 2 AuslBG bestehenden Erfordernis der vorherigen Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung ausgegangen. Gemäß § 64 Abs. 2 NAG richtet sich nämlich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit für Drittstaatsangehörige mit einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende nach dem AuslBG und § 3 Abs. 2 AuslBG sieht - soweit fallbezogen relevant - vor, dass ein Ausländer eine Beschäftigung nur antreten und ausüben darf, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung ausgestellt wurde. Gemäß § 4 Abs. 1 AuslBG ist die Beschäftigungsbewilligung, soweit nicht anderes bestimmt ist, zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zulässt und wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen, wobei § 4b AuslBG die Kriterien für die Prüfung der Arbeitsmarktlage näher umschreibt.

Die Beschwerde bringt gegen diese Argumentation der belangten Behörde vor, der Beschwerdeführer sei auf Grund von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2004/114/EG (Studenten-RL) berechtigt gewesen, eine Anstellung anzunehmen. Diese Bestimmung (gemeint wohl: dessen erster Satz) sei unmittelbar anzuwenden und gewähre Studenten das subjektive Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Ausübung dieses Rechtes werde nach der Richtlinie grundsätzlich auch nicht von der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung abhängig gemacht. Da Art. 17 Studenten-RL nicht in nationales Recht umgesetzt worden sei, könnten der zweite Satz des Abs. 1 sowie die Abs. 2 bis 4 keine unmittelbare Wirkung entfalten, weil sie keine subjektiven Rechte verleihen würden. Studenten aus Drittstaaten unterlägen somit nicht der Beschäftigungsbewilligungspflicht des AuslBG.

Die angesprochene Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst lautet in der Präambel unter anderem wie folgt:

"(18) Um den Studenten mit Drittstaatsangehörigkeit zu ermöglichen, einen Teil der Kosten ihres Studiums zu tragen, sollten sie nach Maßgabe der in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Der Grundsatz des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu den Bedingungen dieser Richtlinie sollte zur allgemeinen Regel erhoben werden; allerdings sollten die Mitgliedstaaten bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände die Möglichkeit erhalten, die Lage auf ihrem eigenen Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.

(19) Der Begriff der vorherigen Erlaubnis umfasst auch die Erteilung von Arbeitserlaubnissen an Studenten, die eine Erwerbstätigkeit ausüben möchten."

Art. 17 Studenten-RL lautet samt Überschrift:

"Erwerbstätigkeit von Studenten

(1) Außerhalb ihrer Studienzeiten sind Studenten vorbehaltlich der Regeln und Bedingungen für die jeweilige Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat berechtigt, eine Anstellung anzunehmen, und ihnen kann die Berechtigung erteilt werden, einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dabei kann die Lage auf dem Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats berücksichtigt werden.

Falls erforderlich erteilen die Mitgliedstaaten den Studenten und/oder Arbeitgebern zuvor eine Erlaubnis gemäß dem nationalen Recht.

(2) Der einzelne Mitgliedstaat legt fest, wie viele Stunden pro Woche oder wie viele Tage bzw. Monate pro Jahr eine solche Tätigkeit maximal ausgeübt werden darf; diese Obergrenze darf 10 Stunden pro Woche oder eine entsprechende Zahl von Tagen bzw. Monaten pro Jahr nicht unterschreiten.

(3) Der Aufnahmemitgliedstaat kann den Zugang zur Erwerbstätigkeit im ersten Jahr des Aufenthalts beschränken.

(4) Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die Studenten die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einer von den Mitgliedstaaten bestimmten Behörde, sei es im Voraus oder anderweitig, melden. Eine Meldepflicht, im Voraus oder anderweitig, kann auch ihren Arbeitgebern auferlegt werden."

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen nationalen Bestimmungen, auf die sich der von der belangten Behörde herangezogene Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 8 FPG iVm § 64 Abs. 2 NAG bezieht, sind - wie erwähnt - § 3 Abs. 2 AuslBG und § 4 Abs. 1 iVm § 4b AuslBG. Danach hätte der Beschwerdeführer für die Ausübung einer Beschäftigung der (vorhergehenden) Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung bedurft; bei der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung wäre - auch für Studenten - § 4 Abs. 1 iVm § 4b AuslBG betreffend das Kriterium der Prüfung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes jedenfalls zu berücksichtigen gewesen.

Mit der Frage der Unionsrechtswidrigkeit dieser Bestimmungen vor dem Hintergrund der Studenten-RL befasste sich der EuGH in seinem Urteil vom , C-15/11, näher und kam zum Ergebnis, dass nationale Regelungen wie die hier in Rede stehenden, wonach die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für Studenten immer von der Lage des Arbeitsmarkts abhängig ist, dem Unionsrecht widersprechen. Der EuGH führte in der Rz 43 dieses Urteils in diesem Zusammenhang Folgendes aus:

"Daher ist eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass eine systematische Prüfung des Arbeitsmarkts vorzunehmen ist und dass die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nur zulässig ist, wenn für die vom beantragten Ausländer zu besetzende offene Stelle weder ein Inländer noch ein am Arbeitsmarkt verfügbarer Ausländer zur Verfügung steht, der bereit und fähig ist, die Beschäftigung auszuüben, mit der Richtlinie 2004/114, insbesondere ihrem Art. 17, nicht vereinbar, da im Rahmen dieser Prüfung die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen ist, ohne dass es erforderlich wäre, das Vorliegen einer ihre Berücksichtigung rechtfertigenden außergewöhnlichen Situation nachzuweisen."

Daraus folgt, dass die offenbar auf die Ausführungen in der Regierungsvorlage zu § 64 NAG (952 BlgNR 22. GP 145) gegründete Annahme der belangten Behörde, die Studenten-RL sei mit § 64 NAG in innerstaatliches Recht umgesetzt worden, nicht zutrifft. Vielmehr standen die im Wege der Verweisung des § 64 Abs. 2 NAG relevanten Bestimmungen des AuslBG nach dem genannten Urteil des EuGH auch im hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht mit der Studenten-RL im Einklang (siehe zur mittlerweile, im Hinblick auf dieses Urteil vorgenommenen Änderung der Rechtslage BGBl. I Nr. 25/2011).

Demnach gründete sich die entscheidungswesentliche Annahme der belangten Behörde, der herangezogene Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 8 FPG sei verwirklicht, auf unionsrechtswidrige Bestimmungen des AuslBG. Angesichts dessen hätte somit auf Basis der hier noch maßgeblichen Rechtslage ein auf den genannten Tatbestand des § 60 Abs. 2 FPG gestütztes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer nicht erlassen werden dürfen.

Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am