VwGH vom 25.04.2019, Ra 2018/22/0177
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-750536/10/Sr, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: M R, vertreten durch die Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Böhmerwaldstraße 14), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die am geborene Mitbeteiligte, eine serbische Staatsangehörige, stellte am einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zur Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich lebenden, daueraufenthaltsberechtigten Vater. 2 Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (belangte Behörde) den Antrag der Mitbeteiligten mit der Begründung ab, dass die Mitbeteiligte im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt aufgrund der zwischenzeitigen Vollendung des 18. Lebensjahres nicht mehr minderjährig und daher keine Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG gewesen sei, weshalb die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a NAG nicht erfüllt sei. Auch eine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG in Verbindung mit Art. 8 EMRK führe mangels eines schützenswerten Familienlebens mit ihrem Vater als Zusammenführendem nicht zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde der Mitbeteiligten statt, hob den Bescheid der belangten Behörde auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zurück. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.
Begründend führte das Verwaltungsgericht aufgrund der Würdigung der Aussagen der vernommenen Familienmitglieder im Wesentlichen aus, dass die Mitbeteiligte umfassende Unterstützung durch ihren Vater, der sie weiterhin jedes Wochenende besuche, erfahre und besonders stark in den Familienverband eingebunden sei, sodass eine sehr enge familiäre Beziehung zwischen der Mitbeteiligten und den weiteren Familienmitgliedern gegeben sei. Aufgrund des intensiven Familienlebens sei davon auszugehen, dass ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familienzusammenführung bestehe und der Begriff "Familienangehöriger" im vorliegenden Fall von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG abzukoppeln sei, sodass auch bereits volljährige Kinder umfasst seien. Ausgehend davon habe die belangte Behörde im weiteren Verfahren daher zu prüfen, ob die Mitbeteiligte die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfülle, zumal eine derartige Prüfung aufgrund der engen Auslegung des Begriffes "Familienangehöriger" gänzlich unterblieben sei. Das Verwaltungsgericht verweise die Sache somit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die belangte Behörde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts und Erlassung eines neuen Bescheides zurück.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde. 5 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung bzw. in eventu die Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGVG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe trotz Durchführung einer mündlichen Verhandlung und umfassender Sachverhaltsfeststellungen zur Lebenssituation der Mitbeteiligten nicht in der Sache selbst entschieden und sei daher von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behebung und Zurückverweisung nach § 28 VwGVG abgewichen.
Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und berechtigt.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG (vgl. etwa ) normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten hat - nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (vgl. , Rn. 6, sowie Ra 2018/22/0049, Rn. 7, mwN).
8 Festzuhalten ist zunächst, dass die belangte Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgrund der Verneinung der Eigenschaft der Mitbeteiligten als Familienangehörige und somit mangels Erfüllung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 46 Abs. 1 Z 2 lit. a NAG weder das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen prüfen, noch eine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG vornehmen musste (vgl. , mwN).
9 Die Behebung und Zurückverweisung des Verfahrens nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG stützte das Verwaltungsgericht (allein) darauf, dass die belangte Behörde aufgrund der Verneinung der Eigenschaft als Familienangehörige und der zu Lasten der Mitbeteiligten vorgenommenen Interessenabwägung weitergehende Ermittlungstätigkeiten zum Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen unterlassen habe, welche jedoch nunmehr aufgrund der Erweiterung der Legaldefinition und der Angehörigkeit zum Kreis der Familienangehörigen zur Beurteilung des Antragsgegenstandes erforderlich seien. Es sei für das Verwaltungsgericht jedoch nicht ersichtlich, dass eine eigene Sachverhaltsermittlung eine Kostenersparnis bzw. eine raschere Erledigung bewirken könnte.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar dem Grunde nach anerkannt, dass Ermittlungslücken bezüglich der Erteilungsvoraussetzungen bzw. -hindernisse nach § 11 NAG im Zusammenhang mit der Beurteilung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG maßgeblich sein können (vgl. , Rn. 10). Vorliegend wird vom Verwaltungsgericht aber nicht dargelegt, weshalb die erforderlichen Ergänzungen zur Prüfung des Vorliegens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären bzw. vorgenommen hätten werden können, zumal eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde und die notwendigen Feststellungen für die Bejahung eines aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruches auf Familienzusammenführung ohnehin getroffen wurden. Dem angefochtenen Beschluss lässt sich somit keine nachvollziehbare Begründung entnehmen, aus welchem Grund das Verwaltungsgericht davon ausging, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. , Rn. 9, mwN). Dass die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG vorliegend nicht erfüllt sind, ist der angefochtenen Entscheidung somit nicht zu entnehmen.
11 Soweit die Revision die vom Verwaltungsgericht bejahte Abkoppelung des Begriffes "Familienangehöriger" von der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG dahingehend rügt, dass dies nur zulässig sei, wenn sich der Antragsteller nicht im Inland aufhalte, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Mitbeteiligte ihren Antrag zwar im Inland eingebracht hat, aber den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes und den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung zufolge in Serbien lebt.
12 Der angefochtene Beschluss war aus dem oben dargestellten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Bei diesem Ergebnis kommt ein Kostenzuspruch an die Mitbeteiligte nicht in Betracht.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220177.L00 |
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