VwGH vom 22.03.2011, 2010/18/0394
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/5/7303/2010-8, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: T H), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) hat mit Bescheid vom der Berufung der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , mit welchem gegen die mitbeteiligte Partei gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid behoben.
Die mitbeteiligte Partei, ein deutscher Staatsangehöriger, sei eigenen Angaben zufolge zuletzt im Februar 2010 mit gültigem Personalausweis von Deutschland kommend nach Österreich eingereist. Am sei er von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien wegen des Verdachtes der Begehung eines Einbruchsdiebstahls festgenommen, zur Anzeige gebracht und in die Justizanstalt Wien-Josefstadt in Untersuchungshaft eingeliefert worden. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom sei die mitbeteiligte Partei gemäß § 127, § 129 und § 130 vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. Diesem Urteil sei zu Grunde gelegen, dass die mitbeteiligte Partei in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel in ein näher genanntes Lokal in W eingebrochen habe und Angestellten des Lokals am Bargeld in der Höhe von EUR 35,--, am Bargeld in der Höhe von EUR 50,-- und am zwei Stangen Zigaretten im Gesamtwert von EUR 80,--
weggenommen habe, um sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Dadurch habe die mitbeteiligte Partei das Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch begangen.
Die mitbeteiligte Partei sei geschieden und habe Sorgepflichten für ein Kind, das in Deutschland lebe. In Österreich bestünden weder familiäre noch sonstige soziale oder berufliche Bindungen. Vor der Festnahme sei die mitbeteiligte Partei im österreichischen Bundesgebiet auch nicht behördlich gemeldet sowie nicht krankenversichert gewesen und besitze keinerlei Barmittel. Die Erstbehörde habe dazu ausgeführt, die Tatsache der Verurteilung rechtfertige die Annahme, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch den Verbleib der mitbeteiligten Partei im Bundesgebiet gefährdet sei; die öffentlichen Interessen an der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes und die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme wögen unverhältnismäßig schwerer als die Auswirkungen auf die Lebenssituation der mitbeteiligten Partei, zumal diese sich erst seit kurzer Zeit im Bundesgebiet aufhalte, keiner legalen Beschäftigung nachgehe, weder krankennoch sozialversichert sei und auch in Österreich über keine familiären Bindungen verfüge. Die mitbeteiligte Partei habe augenfällig dokumentiert, dass sie keinerlei Bedenken habe, in fremdes Vermögen einzugreifen und habe ihren Lebensunterhalt durch die wiederholte Begehung von Einbruchsdiebstählen bestritten bzw. aufgebessert.
In der dagegen gerichteten Berufung habe die mitbeteiligte Partei ausgeführt, sich seit dem Jahr 2004 hauptsächlich in Österreich aufzuhalten und bis 2009 für österreichische Unternehmen beruflich tätig gewesen zu sein. Dass sie von Mai 2009 bis Februar 2010 als Arbeitnehmer nicht erwerbstätig gewesen sei und auch freiwillig vom AMS keine Unterstützung bezogen habe, sei aus privaten Gründen geschehen. Die mitbeteiligte Partei habe bereits für die Zeit nach ihrer Entlassung eine Beschäftigungszusage eines österreichischen Unternehmens, für das sie bereits in der Vergangenheit tätig gewesen sei. Seit 1993 sei sie bei der deutschen Technikerkrankenkasse privat krankenversichert. Seit Februar 2007 sei die mitbeteiligte Partei mit der jetzigen Lebensgefährtin liiert, die an der Universität in Wien studiere und auch ordentlich gemeldet sei. Weder in Deutschland noch in Österreich sei sie vor dem Jänner/Februar 2010 straffällig geworden und habe auch nicht die Absicht, "dies wieder zu tun". Durch ihr Vorleben und ihr Verhalten in der Straf- und Untersuchungshaft habe die mitbeteiligte Partei sehr wohl gezeigt, dass sie gewillt sei, geltende Rechtsvorschriften einzuhalten. Sie habe auch immer bestritten, die Tat begangen zu haben, um ihren Lebensunterhalt aufzubessern. Fluchtgefahr oder die Gefahr des Untertauchens sei auch nicht gegeben, wie das Verhalten der mitbeteiligten Partei während der Haft beweise.
Entscheidungsrelevant - so die belangte Behörde weiter - sei auch, dass das Strafgericht das vollinhaltliche Geständnis der mitbeteiligten Partei und den bisherigen ordentlichen Lebenswandel als mildernd, hingegen keinen Umstand als erschwerend gewertet habe. Die mitbeteiligte Partei weise vom bis Beschäftigungs- bzw. Versicherungszeiten auf, wobei es sich dabei nicht um durchgängige Beschäftigungs- bzw. Versicherungszeiten handle. Vor ihrer Festnahme sei die mitbeteiligte Partei in Deutschland an einer näher genannten Adresse wohnhaft gewesen. Sie sei geschieden und habe Sorgepflichten für ein Kind, das in Deutschland lebe. Die mitbeteiligte Partei befinde sich nach wie vor in Haft.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf § 9 Abs. 1 Z. 1, § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und § 86 Abs. 1 FPG aus, die Verurteilung der mitbeteiligten Partei wegen des dreifachen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls stelle zweifellos eine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EU-Bürger sei allerdings stets auf den konkreten Einzelfall und das persönliche Verhalten des Betroffenen abzustellen. Nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Betroffenen komme es an.
Die Erstbehörde habe zutreffend ausgeführt, welcher Sachverhalt dieser Verurteilung zu Grunde gelegen sei und dass die mitbeteiligte Partei dadurch das Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch begangen habe. Allerdings müsse in diesem Zusammenhang auch festgestellt werden, dass die mitbeteiligte Partei mit dem angeführten Urteil von der Mehrzahl der ihr angelasteten Einbruchsdiebstähle - wenn auch nur im Zweifel - freigesprochen worden sei; diese Einbruchsdiebstähle dürften daher bei Beurteilung des persönlichen Verhaltens der mitbeteiligten Partei anlässlich der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes auch nicht herangezogen werden. Dafür, dass die mitbeteiligte Partei am Bargeld in der Höhe von EUR 35,--, am Bargeld in der Höhe von EUR 50,-- und am zwei Stangen Zigaretten im Gesamtwert von EUR 80,-- gestohlen habe, indem sie mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel in ein Lokal eingebrochen habe, erscheine die vom Gericht verhängte Freiheitsstrafe von 20 Monaten, wovon lediglich ein Teil der Strafe, nämlich 14 Monate, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren vorläufig bedingt nachgesehen worden seien, als völlig ausreichend, um die mitbeteiligte Partei in Hinkunft von weiteren gleichartigen Straftaten abzuhalten, zumal es sich bei der angeführten Verurteilung um die erste und einzige strafgerichtliche Verurteilung der mitbeteiligten Partei handle und sich diese vor Begehung der der Verurteilung zu Grunde liegenden Straftaten mehrere Jahre in Österreich aufgehalten habe, ohne straffällig zu werden.
Abschließend sei noch darauf hinzuweisen, dass die mitbeteiligte Partei zuletzt im Februar 2010 mit einem gültigen Personalausweis aus Deutschland kommend nach Österreich eingereist sei und sich zwar nach den melderechtlichen Bestimmungen unangemeldet im Bundesgebiet aufgehalten habe, aber bis zu ihrer Verhaftung im Bundesgebiet über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt habe.
Es sei daher davon auszugehen, dass von der mitbeteiligten Partei nach ihrer Haftentlassung keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Da somit die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht vorlägen, sei der angefochtene Bescheid aufzuheben gewesen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Der Mitbeteiligte gab keine Stellungnahme ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gegen die mitbeteiligte Partei als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne Weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Für die Beantwortung der Frage, ob die oben umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0263, mwN).
2. Die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion bringt vor, die angefochtene Entscheidung der belangten Behörde stehe mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Fremdenbehörde das Erfordernis eines Aufenthaltsverbotes eigenständig und ausschließlich unter dem Blickwinkel des FPG zu prüfen habe, ohne dabei an Erwägungen gebunden zu sein, die das Gericht veranlasst hätten, eine Strafe bedingt oder teilbedingt nachzusehen, im Widerspruch. Würde man der Argumentation der belangten Behörde folgen, so wäre die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in jenen Fällen obsolet, in denen ein Fremder von einem Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden sei. Ein Aufenthaltsverbot stelle jedoch keine Strafe, sondern eine administrativ-rechtliche Maßnahme dar. Die mitbeteiligte Partei befinde sich überdies bis in Strafhaft, sodass ihrem "Wohlverhalten" kein entscheidendes Gewicht zukommen könne. Die mitbeteiligte Partei habe jedoch unzweifelhaft in gewerbsmäßiger Absicht gehandelt. Bei derartigen Delikten sei die Wiederholungsgefahr geradezu wesensimmanent. Dazu komme, dass die mitbeteiligte Partei nicht nur strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, sondern auch mehrmals melderechtliche Bestimmungen übertreten habe. So sei anlässlich der Festnahme festgestellt worden, dass die mitbeteiligte Partei in der Wohnung ihrer Lebensgefährtin Unterkunft genommen habe, ohne eine amtliche Meldung vorzunehmen. Auch in der Vergangenheit scheine für die mitbeteiligte Partei lediglich im Zeitraum vom 26. Februar bis eine inländische Meldung als Hauptwohnsitz auf, obwohl sie von 2004 bis 2009 immer wieder monatelang in Österreich gearbeitet habe.
Zunächst ist der Beschwerde Recht zu geben, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unabhängig von strafgerichtlichen Erwägungen zur Strafbemessung und eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0131, mwN).
Nach ständiger hg. Rechtsprechung kann ein allfälliger Gesinnungswandel nicht am Verhalten in der Strafhaft, sondern nur daran geprüft werden, wie lange sich der Fremde in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. dazu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0504, mwN).
Laut Feststellungen der belangten Behörde befand sich die mitbeteiligte Partei zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach wie vor in Haft. Angesichts des festgestellten Fehlverhaltens, insbesondere der gewerbsmäßigen und wiederholten Tatbegehung und der wiederholten melderechtlichen Vergehen - was auch im angefochtenen Bescheid nicht in Abrede gestellt wurde - kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die mitbeteiligte Partei, die noch gar keine Gelegenheit hatte, ihren angeblichen Gesinnungswandel in Freiheit unter Beweis zu stellen, künftig von der Begehung weiterer Straftaten in Österreich allein schon durch die Verbüßung der Strafhaft abgehalten werde. Des Weiteren vermag der Umstand, dass im vorliegenden Fall nur eine Verurteilung vorlag, für sich keine maßgebliche Minderung einer vom Mitbeteiligten ausgehenden Gefahr zu begründen. Im Hinblick darauf stehen die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde mit der ständigen hg. Rechtsprechung nicht im Einklang.
3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am
Fundstelle(n):
FAAAE-80601