VwGH vom 19.08.2021, Ra 2018/22/0098

VwGH vom 19.08.2021, Ra 2018/22/0098

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der T K, vertreten durch Dr. Andreas Pistotnig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neuer Markt 1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/016/15992/2017/E-12, betreffend Aufenthaltsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Revisionswerberin, einer georgischen Staatsangehörigen, wurde zuletzt eine Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gemäß § 63 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Gültigkeit vom bis zum erteilt. Am beantragte sie die Verlängerung der erteilten Aufenthaltsbewilligung.

2. Der Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) wies den Antrag mit Bescheid vom mangels Erbringung eines Nachweises über den erforderlichen Schulerfolg ab. Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wurde - im ersten Rechtsgang - mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom als unbegründet abgewiesen. Der dagegen erhobenen Revision der Revisionswerberin wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , Ra 2017/22/0048, Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.

3.1. Im zweiten Rechtsgang gab die von der Revisionswerberin zuletzt besuchte Schule auf Anfrage des Verwaltungsgerichts am bekannt, dass die Revisionswerberin im aktuellen Schuljahr nicht (mehr) „Studierende“ (gemeint: Schülerin) der betreffenden Bildungseinrichtung sei. Die Revisionswerberin legte im Rahmen des Parteiengehörs Bestätigungen der Universität W vor, wonach sie im Wintersemester 2017/18 (Studienbeginn ) als außerordentliche Studierende des Universitätslehrgangs Vorstudienlehrgang gemeldet sei.

Das Verwaltungsgericht teilte daraufhin der Revisionswerberin mit Schreiben vom mit, dass sie nach den vorliegenden Unterlagen nicht mehr Schülerin einer Einrichtung im Sinn des § 63 Abs. 1 NAG sei, sondern als außerordentliche Studierende an der Universität W inskribiert sei. Sie werde daher gemäß § 23 Abs. 1 NAG darüber belehrt, dass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels für den Zweck „Schüler“ nicht mehr in Frage komme, sondern dass sie einen anderen Aufenthaltstitel benötige.

3.2. Die Revisionswerberin gab sodann mit Schreiben vom folgende Erklärung (Fehler im Original) ab:

„(...) ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich derzeit (Wintersemester 2017/18) den Universitätslehrgang Vorstudienlehrgang (...) besuche und Ende des Sommersemesters 2018 die Ergänzungsprüfung Deutsch (...) ablegen werde.

Im Oktober 2017, als ich alle Unterlagen für die Uni (...) beisammen hatte, konnte ich bei der MA35 den Zweckänderungsantrag nicht stellen, weil die MA35 auf die letzte Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof abwartetete

Es ist mir bekannt, dass ich eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende benötige und ich habe vor, diese möglichst rasch zu erledigen. Ich hoffe, die MA35 bekommt bald die letzte Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof und dann wäre mir möglich einen neuen Antrag zu stellen.

4.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid vom - (auch) im zweiten Rechtsgang - als unbegründet ab.

Das Verwaltungsgericht führte dazu aus, die Revisionswerberin besuche aktuell nicht (mehr) die von ihr zunächst absolvierte Schule oder eine andere Bildungseinrichtung im Sinn des § 63 Abs. 1 NAG und sei zu einer solchen auch nicht zugelassen. Sie erfülle daher nicht (mehr) die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung für den beantragten Aufenthaltstitel „Schüler“. Vielmehr sei sie derzeit als außerordentliche Studierende im Vorstudienlehrgang an der Universität W inskribiert, sodass für sie ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Studierende“ gemäß § 64 NAG einschlägig wäre. Sie sei daher vom Verwaltungsgericht im Sinn des § 23 Abs. 1 NAG belehrt worden, habe jedoch ihren Antrag nicht entsprechend modifiziert; eine Modifikation ergebe sich - nach dem maßgeblichen objektiven Erklärungswert - insbesondere nicht aus dem Schreiben vom . Vielmehr habe sie ihren Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für den Zweck „Schüler“ bis zuletzt aufrechterhalten. Da im Sinn des Vorgesagten die Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht (mehr) vorlägen, sei die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

4.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit (unter anderem) vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht sei bei der Beurteilung der Erklärung vom von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen.

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht - wie die Revisionswerberin im Grunde zutreffend rügt - bei der Würdigung der Erklärung vom von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist. Die Revision ist - im Sinn der nachfolgenden Ausführungen - auch begründet.

7. Unstrittig ist, dass die Revisionswerberin derzeit nicht mehr eine Schule oder eine andere Bildungseinrichtung im Sinn des § 63 Abs. 1 NAG besucht bzw. zu einer solchen auch nicht zugelassen ist, sondern seit dem Wintersemester 2017/18 als außerordentliche Studierende im Vorstudienlehrgang an der Universität W inskribiert ist, sodass für sie die beantragte Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ nicht mehr in Betracht kommt, sondern sie eine Aufenthaltsbewilligung „Studierende“ (nunmehr „Student“) gemäß § 64 NAG benötigen würde.

Strittig ist indes, welche prozessuale Bedeutung in dem Zusammenhang der - in Reaktion auf die Mitteilung des Verwaltungsgerichts vom ergangenen - Erklärung der Revisionswerberin vom zukommt.

8.1. Parteierklärungen im Verfahren sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der der Behörde (dem Verwaltungsgericht) vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. etwa , Rn. 21).

Erfährt im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht der verfahrenseinleitende Antrag eine wesentliche Änderung und gibt der Antragsteller damit eindeutig zu erkennen, dass er den Antrag nicht mehr aufrechterhält, so bewirkt die (konkludente) Zurückziehung des Antrags den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheids und damit (nachträglich) dessen Rechtswidrigkeit. Das Verwaltungsgericht wäre daher in einem solchen Fall gehalten, den bekämpften Bescheid (ersatzlos) zu beheben (vgl. ).

8.2. Vorliegend teilte die Revisionswerberin in ihrer Erklärung vom mit, dass sie bereits seit dem Wintersemester 2017/18 den Universitätslehrgang Vorstudienlehrgang besuche. Weiters hielt sie ausdrücklich fest, dass sie eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende benötige und diese auch möglichst rasch erlangen wolle. Eine diesbezügliche Antragstellung bereits im Oktober 2017 sei - so die Revisionswerberin weiter - nur deshalb nicht möglich gewesen, weil die Behörde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs abgewartet habe; nach deren Ergehen könne sie aber umgehend einen neuen Antrag stellen.

Diese Äußerungen sind - nach ihrem objektiven Erklärungswert unter Berücksichtigung der Gesetzeslage und vor allem des Verfahrenszwecks - dahingehend zu verstehen, dass die Revisionswerberin ihren verfahrenseinleitenden Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ - deren Erteilung aufgrund der seit dem Wintersemester 2017/18 geänderten Sachlage (Beendigung des Schulbesuchs und Aufnahme eines Universitätsstudiums) nicht mehr in Betracht kommt - nicht länger aufrechterhalte, sondern dass sie umgehend bei der Behörde einen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Studierende“ stellen werde. Es ist daher davon auszugehen, dass die Revisionswerberin mit ihrem Schreiben vom die (konkludente) Zurückziehung ihres verfahrenseinleitenden Verlängerungsantrags erklärte (siehe zu einer ähnlich gelagerten Fallkonstellation ).

Durch die (konkludente) Zurücknahme des verfahrensgegenständlichen Verlängerungsantrags ist die Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheids (nachträglich) weggefallen, was zur Rechtswidrigkeit des behördlichen Bescheids vom führt. Im Hinblick darauf wäre das Verwaltungsgericht verhalten gewesen, den bekämpften Bescheid (ersatzlos) zu beheben (anstatt darüber mit dem angefochtenen Erkenntnis inhaltlich abzusprechen).

9.1. Soweit die Revisionswerberin die Ansicht vertritt, sie habe mit der Erklärung vom einen „Zweckänderungsantrag“ auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ gestellt, über den vorliegend zu entscheiden sei, ist (ergänzend) auf Folgendes hinzuweisen:

Die Revisionswerberin gab - wie schon eingehend erörtert wurde (vgl. Punkt 8.2.) - mit ihrem Schreiben vom zwar eindeutig zu verstehen, dass sie ihren ursprünglichen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ nicht mehr aufrechterhalte, sodass von einer (konkludenten) Zurückziehung des Antrags auszugehen ist. Sie stellte aber (noch) keinen weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Studierender“, sondern tat nur ihre Absicht zu einer künftigen Antragstellung kund (vgl. , Rn. 15, unter Bezugnahme auf ). Der von der Revisionswerberin behauptete Antrag liegt daher (noch) nicht vor.

9.2. Aber selbst wenn ein solcher Antrag (im Schreiben vom ) erhoben worden wäre, hätte es sich dabei um keinen „Zweckänderungsantrag“ im gesetzlichen Sinn handeln können. Ein derartiger Antrag kann nämlich gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 in Verbindung mit § 26 NAG nur während der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels oder gemäß § 24 Abs. 4 erster Satz NAG in Verbindung mit einem Verlängerungsantrag nur bis zur Erlassung des behördlichen Bescheids gestellt werden (vgl. , Rn. 16; , Ra 2019/22/0138, Rn. 15).

10. Dennoch ist das Verwaltungsgericht aus den oben dargelegten Gründen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Das angefochtene Erkenntnis war deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018220098.L00

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