VwGH vom 09.08.2018, Ra 2018/22/0081

VwGH vom 09.08.2018, Ra 2018/22/0081

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/V/084/2531/2018-1, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: B M, vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) vom wurde der bei der österreichischen Botschaft in I gestellte Antrag der Mitbeteiligten, einer pakistanischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Studierender" mit der Begründung abgewiesen, dass die Mitbeteiligte keinen Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft gemäß § 11 Abs. 2 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erbracht habe.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten gab das Verwaltungsgericht Wien (VwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis Folge und erteilte ihr den beantragten Aufenthaltstitel "Studierender" gemäß § 64 Abs. 1 NAG mit 12-monatiger Gültigkeit. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte habe eine Wohnrechtsvereinbarung und einen Mietvertrag für eine 86 m2 Wohnung vorgelegt, die sie mit ihrem Ehegatten bewohnen werde. Für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung müssten auch die allgemeinen Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 bis 5 NAG erfüllt sein. Diesbezüglich führte das VwG aus, öffentliche Interessen sprächen nicht gegen die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels und es seien ausreichende finanzielle Mittel nachgewiesen worden. Eine Aufnahmebestätigung der Medizinischen Universität Wien liege ebenfalls vor. "Zusammenfassend ergibt sich, dass ausnahmslos alle Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 NAG erfüllt sind. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid aufzuheben und dem Beschwerdeführer der begehrte Aufenthaltstitel zu erteilen."

3 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Landeshauptmannes von Wien, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, das VwG habe die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG nicht geprüft; die vorgelegte Reisekrankenversicherung "Via Care" sei am - und somit vor Erlassen des angefochtenen Erkenntnisses vom - abgelaufen.

4 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 5 Zunächst wird darauf hingewiesen, dass das VwG vor

Erteilung eines Aufenthaltstitels das Vorliegen sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen hat, nicht nur jener, aufgrund deren Fehlens die Behörde den Antrag abwies (vgl. , mwN).

6 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-Durchführungsverordnung ist dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels ein Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht, anzuschließen. Dieser Versicherungsschutz muss die gesamte Dauer des Aufenthaltstitels gemäß § 20 Abs. 1 NAG abdecken (vgl. , mwN).

7 Die Mitbeteiligte führte in ihrem Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels vom als die in Österreich leistungspflichtige und alle Risken abdeckende private Krankenversicherung für die Aufenthaltsdauer jene der Jubilee General Insurance mit der Polizzennummer JGI7009268 an und legte eine Versicherungspolizze "Via Care" der genannten Versicherungsanstalt mit einer Gültigkeit von bis bei. Die Spalte mit der Frage nach einer gesetzlichen Krankenversicherung blieb im Antrag leer. Dem Verwaltungsakt ist auch kein Hinweis auf das Vorliegen einer gesetzlichen Krankenversicherung zu entnehmen. Angesichts dessen rügt der Revisionswerber zu Recht das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG betreffend einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz.

Wenn die Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung vorbringt, sie sei gemäß § 123 Abs. 2 Z 1 ASVG als Angehörige bei ihrem Ehegatten mitversichert, so kann dieses Vorbringen aufgrund des vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbotes (§ 41 VwGG) nicht berücksichtigt werden. Im fortgesetzten Verfahren wird das VwG zu prüfen haben, ob der Ehegatte der Mitbeteiligten in Österreich pflichtversichert und diese als Angehörige anspruchsberechtigt ist.

Der Hinweis auf § 16 Abs. 2 Z 1 ASVG, wonach sich nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Personen wie etwa Studierende selbstversichern können, ist nicht zielführend, solange nicht tatsächlich ein ausreichender Krankenversicherungsschutz für die gesamte Dauer des Aufenthaltes abgeschlossen wurde. Daran vermag auch der Hinweis auf die Richtlinie (EU) 2016/801 vom , über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit nichts zu ändern. Abgesehen davon, dass die Umsetzungsfrist für die Neufassung der Richtlinie erst am - also nach Erlassen des angefochtenen Erkenntnisses -

abgelaufen ist, sieht Art. 7 Abs. 1 lit. c der Richtlinie vor, dass Drittstaatsangehörige einen Nachweis vorlegen müssen, dass sie über eine Krankenversicherung verfügen oder - falls dies im nationalen Recht vorgesehen ist - eine Krankenversicherung beantragt haben, die sich auf alle Risiken erstreckt, die normalerweise für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats abgedeckt sind; die Versicherung muss für die Dauer des geplanten Aufenthalts gültig sein. Wenn in der Gegenschrift auf die "Loyalitätspflicht aus dem Unionsrecht" hingewiesen wird, wonach schon vor Ablaufen der Umsetzungsfrist jede Rechtsetzung, Anwendung oder Auslegung von nationalem Recht untersagt sei, wodurch die spätere Umsetzung des Unionsrechts gefährdet würde (Hinweis auf , Rn. 45), wird nicht dargelegt und ist auch nicht erkennbar, inwiefern fallbezogen das vorgeschriebene Ziel der Richtlinie 2016/801 ernstlich in Frage gestellt werde.

8 Ob der Mitbeteiligten allenfalls gemäß § 11 Abs. 3 NAG trotz des Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 leg. cit. zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, wurde vom VwG nicht geprüft.

9 Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220081.L00

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