VwGH vom 03.11.2010, 2010/18/0367
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des EU in S, geboren am , vertreten durch Mag. Roman Wagner, Rechtsanwalt in 4780 Schärding, Unterer Stadtplatz 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/156.513/2010, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Bei einer am in einem von Frankfurt nach Wien fahrenden Zug erfolgten Kontrolle des Beschwerdeführers seien in einem von ihm mitgeführten Trolley 47 Bodypacks Kokain sowie in seiner linken Hosentasche ein Bodypack mit 16 Gramm Kokain vorgefunden und sichergestellt worden. In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer 34 (laut Beschwerde 24) weitere Bodypacks Kokain ausgeschieden. Nach eigenen Angaben sei er als Drogenkurier unterwegs gewesen, wofür ihm EUR 2.000,-- in Aussicht gestellt worden seien. Mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom sei er deshalb nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden.
Das genannte Urteil - so die belangte Behörde - erfülle zweifelsfrei den in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierten Tatbestand, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.
Der Beschwerdeführer sei verheiratet, seine Ehefrau lebe in Nigeria. Er selbst verfüge über einen niederländischen Aufenthaltstitel. Seit seiner Einreise und Betretung bei der genannten Straftat befinde sich der Beschwerdeführer in Haft.
Selbst wenn man - so die belangte Behörde im Rahmen ihrer rechtlichen Ausführungen - angesichts aller Umstände von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers ausgehen wollte, wäre dieser Eingriff jedenfalls zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer Straftaten, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, zum Schutz der Gesundheit Dritter - dringend geboten sei. Wer, wie der Beschwerdeführer, als Drogenkurier über Landesgrenzen hinweg eine übergroße Menge Suchtgift transportiere, lasse seine offenbare Geringschätzung maßgeblicher, nicht nur in Österreich gültiger Rechtsvorschriften erkennen. Die solcherart vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit wiege daher schwer.
Den privaten Interessen des Beschwerdeführers sei hingegen kein besonderes Gewicht beizumessen. Er könne auf keinerlei Integration oder sonstige Bindungen zum Bundesgebiet verweisen. Selbst wenn er - wie geltend gemacht - seit fünf Jahren in den Niederlanden lebe, lasse dieser Umstand seinen privaten Interessen insgesamt kein derartiges Gewicht zukommen, dass demgegenüber das genannte, durch seine Straftat erheblich beeinträchtigte öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten hätte. Nicht geltend gemacht worden sei, dass dem Beschwerdeführer ein Verlassen des Bundesgebietes bzw. eine Rückkehr in seine Heimat nicht möglich sei. Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG gegeben seien.
Mangels sonstiger, besonders zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Auch ein Sachverhalt gemäß § 61 FPG sei nicht gegeben.
Der Ausspruch betreffend die unbefristete Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes erscheine gerechtfertigt. Im Hinblick auf das dargelegte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers könne auch unter Bedachtnahme auf seine aktenkundige Lebenssituation nicht vorhergesehen werden, ob jemals und gegebenenfalls wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In Anbetracht der unbestrittenen Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Ried im Innkreis zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
2. Die Beschwerde behauptet die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides mit der Begründung, dass die belangte Behörde den in § 60 FPG normierten Ermessensspielraum überschritten habe. Der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Begehung des Suchtgiftdeliktes bereits 40 Jahre alt gewesen. Vor der Tatbegehung sei er in sämtlichen Schengenstaaten und in allen Drittstaaten, insbesondere auch in Österreich, unbescholten gewesen. Von der belangten Behörde fälschlicherweise nicht angewandte Erfahrungswerte bei "Ersttätern" zeigten, dass bereits das Verbüßen einer unbedingten Freiheitsstrafe ausreiche, um sie in Hinkunft von der Begehung strafbarer Handlungen bzw. von der Begehung weiterer Suchtgiftdelikte abzuhalten. Die belangte Behörde hätte daher davon ausgehen müssen, dass der Beschwerdeführer in Hinkunft für die öffentliche Ordnung und Sicherheit keine Gefahr darstelle.
Beachte man, dass der Beschwerdeführer auf Grund des Aufenthaltsverbotes zur Einreiseverweigerung auch in allen anderen Staaten, die das Schengener Durchführungsübereinkommen ratifiziert hätten, ausgeschrieben werde, so sei bei richtiger rechtlicher Beurteilung dem privaten Interesse des Beschwerdeführers, in allen "Mitgliedstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens" frei ein- und ausreisen zu können, besonderes Gewicht beizumessen. Insbesondere unter Beachtung dieses das Privatleben des Beschwerdeführers massiv beschneidenden Begleitumstandes hätte daher die Ermessensabwägung zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen müssen.
3. Wie unter I.1. dargestellt, wurde der Beschwerdeführer am - im Hinblick auf seine Verurteilung gemäß § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z. 3 SMG - beim Suchtgifthandel, nämlich bei der Einfuhr bzw. Ausfuhr von Kokain in einer das Fünfzehnfache der in § 28b SMG festgelegten Grenzmenge übersteigenden Menge (große Menge) betreten.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen begegnet in Anbetracht dieses massiven Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick darauf, dass es sich bei der Suchtgiftkriminalität um eine besonders gefährliche Kriminalität handelt, bei der die Wiederholungsgefahr erfahrungsgemäß besonders groß ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0188, mwN), die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand. Im Übrigen können Zeiten der Haft bei der Beurteilung eines (allfälligen) Wohlverhaltens eines Fremden nicht berücksichtigt werden (vgl. erneut das zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 2010/18/0188, mwN).
4. Der - nach den von der Beschwerde nicht in Abrede gestellten Ausführungen des angefochtenen Bescheides - mit einer in Nigeria lebenden Frau verheiratete Beschwerdeführer behauptet weder das Vorliegen familiärer noch das Bestehen beruflicher oder sonstiger Bindungen in Österreich; er bringt vielmehr vor, nach Österreich als Tourist gereist zu sein. Durch die Erlassung des Aufenthaltsverbotes wird daher nicht in ein von ihm in Österreich geführtes Privat- und Familienleben eingegriffen.
Dem Vorbringen, das die Ausschreibung des Beschwerdeführers zur Einreiseverweigerung nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen, BGBl III Nr. 90/1997 (SDÜ), für den gesamten "Schengener Raum" (gemeint: das Gebiet der Vertragsparteien des Übereinkommens von Schengen) nach sich ziehende Aufenthaltsverbot greife massiv in sein Privatleben ein und seinem privaten Interesse an der freien Ein- und Ausreise in allen Mitgliedstaaten des Schengener Übereinkommens sei besonderes Gewicht beizumessen, ist zunächst zu entgegnen, dass der Beschwerde keine - über den im Verwaltungsverfahren geltend gemachten fünfjährigen Aufenthalt in den Niederlanden hinausgehenden - Anhaltspunkte für ein in einem anderen Vertragsstaat des Übereinkommens von Schengen allenfalls bestehendes Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers zu entnehmen sind. Aber auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer über einen niederländischen Aufenthaltstitel verfügt, erweist sich der angefochtene Bescheid nicht als rechtswidrig.
Zum einen erfordert das Recht eines Drittausländers (iSd SDÜ), der Inhaber eines gültigen, von einem der Mitgliedstaaten ausgestellten Aufenthaltstitels ist, sich bis zu drei Monaten in einem Zeitraum von sechs Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zu bewegen, gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ - in der durch Art. 1 Z. 2 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 265/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex)) geänderten Fassung - zwar u. a. das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a, c und e, nicht jedoch jener gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Nichtvorliegen einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung).
Ein von einem Vertragsstaat ausgestellter Aufenthaltstitel behält somit seine Wirksamkeit, auch wenn der betroffene Drittausländer - auf Grund der Entscheidung eines anderen Vertragsstaates - im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben wird (vgl. dazu auch das auf Art. 21 Abs. 1 SDÜ in der früheren Fassung Bezug nehmende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/18/0231, mwN).
Zum anderen führt die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung durch Österreich auch nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ noch nicht dazu, dass ein niederländischer Aufenthaltstitel ungültig wird. Persönliche Interessen des Beschwerdeführers in den Niederlanden, die vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK umfasst sind, wären vom Beschwerdeführer in einem allfälligen Verfahren zur Entziehung eines solchen Aufenthaltstitels vor den niederländischen Behörden geltend zu machen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0080, mwN).
Abgesehen davon kann gemäß Art. 5 Abs. 4 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 ein Mitgliedstaat Drittstaatsangehörigen, die eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, die Einreise in sein Hoheitsgebiet u. a. aus humanitären Gründen gestatten.
Die angesprochenen Begleitumstände des Aufenthaltsverbotes weisen somit kein derartiges Gewicht auf, dass sie die öffentlichen Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in den Hintergrund treten lassen. Die Beurteilung der belangten Behörde, dass § 66 FPG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehe, ist nicht als rechtswidrig zu erkennen.
5. Auf dem Boden des Gesagten kann der Verwaltungsgerichtshof - entgegen der Beschwerdeansicht - nicht finden, dass der belangten Behörde ein (materieller) Ermessensfehler unterlaufen ist, ergeben sich doch weder aus der Beschwerde noch dem angefochtenen Bescheid besondere Umstände, die eine Ermessensübung im Grund des § 60 Abs. 1 FPG zugunsten des Beschwerdeführers geboten hätten.
6. Die Beschwerde bekämpft schließlich die unbefristete Dauer des erlassenen Aufenthaltsverbotes.
Gemäß § 63 Abs. 1 FPG darf ein Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z. 1, 5 und 12 bis 14 FPG unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß Abs. 2 leg. cit. auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen.
In Anbetracht des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ist die Auffassung der belangten Behörde, dass ein Wegfall der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe derzeit nicht vorhergesehen werden könne, nicht zu beanstanden. Das Beschwerdevorbringen, es sei die Annahme durchaus gerechtfertigt, dass sich ein Ersttäter durch einen zweijährigen Gefängnisaufenthalt von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abschrecken lasse, zeigt keine konkreten Umstände auf, die die Festsetzung einer bestimmten Gültigkeitsdauer der in Rede stehenden Maßnahme geboten hätten.
7. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-80579