VwGH vom 19.03.2015, 2013/06/0191
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofrätin Mag.a Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Beschwerde des M H in W, vertreten durch die Minihold Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in 1070 Wien, Bernardgasse 36/21, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 06/20/14143/2012-17, betreffend Bestrafung nach dem Wiener Reinhaltegesetz (weitere Partei: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde gegenüber dem Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von EUR 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und neun Stunden) gemäß § 2 Abs. 1 und 8 iVm § 6 Abs. 1 Wiener Reinhaltegesetz (Wr. ReiG) verhängt, weil er es zu verantworten habe, dass er zumindest am um 11.35 Uhr in 1060 Wien, M-Straße 89a, eine Verunreinigung nach dem Wr. ReiG begangen habe, indem er "diversen Unrat und Müll (diverse Speisereste, leere Kaffeebecher, sowie leere Tetrapack Milch und diverse Zeitungen) auf dem Boden abgestellt" habe.
Der Beschwerdeführer berief mit Schriftsatz vom gegen dieses Straferkenntnis.
In der mündlichen Verhandlung vom vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (UVS) sagte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er leide unter Depressionen und könne sich schwer konzentrieren. Wenn es um die Anzeige gehe, bei der die Zeitschrift (...) erwähnt sei, so führe er dazu aus, "dass ich das ganz sicher nicht war". Er lese nie diese Zeitschrift und benutze als Sitzunterlage seinen Seesack, in dem sich sein Schlafsack befinde. Darüber hinaus habe er einen kleinen Rucksack. Ein Tetrapackerl habe er als Aschenbecher verwendet und dieses - nach Beendigung seiner Arbeit - mitgenommen und entsorgt. Manchmal habe er sogar einen eigenen Aschenbecher mitgehabt. Mitunter habe er bei der Arbeit auch einen Kaffee getrunken, den Kaffeebecher nach Arbeitsende jedoch mitgenommen und entsorgt. "Lediglich bei der Wegweisung kann es durch die Stresssituation gewesen sein, dass ich etwas stehen gelassen habe." Manchmal bekomme er auch von Kunden, die beim A(…) kauften, eine Wurstsemmel, einen Kaffee oder auch Hundefutter, das er dann in seinem Rucksack verstaue. Wenn er gehe, hinterlasse er seinen Platz aber sauber und gereinigt. Er habe seine Sachen auch mitgenommen, wenn er während einer Pause seinen Standplatz verlassen habe. An den konkreten Tag könne er sich nicht mehr so genau erinnern. Die M-Straße sei in diesem Bereich sehr belebt; auch andere Personen z.B. Junkies seien dort herumgesessen. Es seien ständig Zigarettenstummeln und auch weggeworfene Kaffeebecher und zurückgelassene Verpackungen von Wurstsemmeln herumgelegen. Ein Beamter müsste sich den ganzen Tag dort aufhalten, um zu sehen, wer dort etwas hinterlasse.
Der Zeuge Inspektor S sagte in der mündlichen Verhandlung aus:
"Ich kann mich an den ggst. Vorfall noch erinnern. Wir wurden von Passanten darauf aufmerksam gemacht, dass der Bw wieder dort sitzt und als wir dort hingekommen sind, lagen wieder Zeitungen herum, Becher, Zigaretten. Wie viele Becher es waren, wie die dort aufbewahrt waren, kann ich heute nicht mehr sagen. Als wir zum Bw kamen, war er der einzige der sich dort aufgehalten hat. Wir haben den Bw auch gefragt, ob der Müll von ihm stammt, aber, wie jeder, hat er das bestritten. Er selbst saß damals auf einer Zeitschrift. Es lagen dort Zigarettenstummel definitiv auch am Boden, wenn der Bw behauptet, er habe ein Tetrapack als Aschenbecher verwendet, gebe ich an, dann hat er daneben getroffen. Wir haben den Bw schon des Öfteren dort wahrgenommen. Dass es dort nicht so ausgesehen hat wie in einer Wohnung haben wir mehrfach festgestellt. Wenn ich von Zeitungen spreche, so meine ich den Unrat, die zusammen gewuzelten Zeitschriftenteile, nicht die Zeitschrift auf der der Bw gesessen ist und nicht die von ihm verkauften Zeitschriften. Wenn ich dort einen stehenden Kaffeebecher festgestellt habe, kann es sein, dass dieser noch teilweise voll und in Verwendung war. Ich habe nicht überprüft, ob das Tetrapack als Aschenbecher verwendet wurde. Ich habe auch nicht festgestellt, ob es offen oder geschlossen war. Zum allgemeinen Verunreinigungszustand der M(…)straße würde ich sagen, diese kann man als sauber bezeichnen. Zur Frage, wie ich die Zigarettenstummeln dem Bw zuordnen kann, wenn ich dort nicht länger beobachtet habe, gebe ich an, wenn es vor und nach dem Aufenthalt des Bw dort sauber war und beim Aufenthalt dann nicht, dann ist nicht anzunehmen, dass Passanten alle Zigarettenstummel dort hinwerfen. Jedes Mal wenn wir (den Beschwerdeführer) weggewiesen haben, hat er dort den gröberen Unrat zusammengeräumt."
Drei weitere Zeugen konnten sich an den gegenständlichen Vorfall nicht mehr erinnern. Revierinspektor P gab an, schon mehrere Amtshandlungen gegen den Beschwerdeführer geführt zu haben und dass es am Standplatz des Beschwerdeführers "eher unordentlich war, dass aber davon gesprochen werden könnte, dass es dort prinzipiell unaufgeräumt wäre, kann man so nicht sagen." Er könne nicht ausschließen, dass die dort vorhandenen Sachen einen Zweck für den Beschwerdeführer erfüllt hätten, für ihn sei dies aber nicht nachvollziehbar gewesen. Die beiden anderen Zeugen sagten aus, dass sie beim Beschwerdeführer keine Verunreinigungen wahrgenommen hätten.
Mit dem angefochtenen Bescheid (vom ) wies der UVS die Berufung des Beschwerdeführers mit der Maßgabe ab, dass in der Tatumschreibung das Wort "zumindest" entfällt und setzte das Strafausmaß von EUR 200,-- auf EUR 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag) herab. In der Begründung bezog sich der UVS insbesondere auf die Aussage von Inspektor S, der den Sachverhalt schlüssig und nachvollziehbar geschildert habe. Revierinspektor P habe ebenfalls festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer an der gegenständlichen Örtlichkeit aufgehalten habe und um ihn herum in näherer Umgebung Unrat gelegen sei. Zwei weitere Zeugen hätten zum konkreten Tatzeitpunkt keine Aussagen treffen können, sie hätten jedenfalls nicht beobachtet, dass der Platz des Beschwerdeführers, als sie ihn gesehen hätten, verunreinigt gewesen wäre. Dies bedeute jedoch nicht, dass zum Tatzeitpunkt nicht entsprechender Unrat in unmittelbarem Umkreis vorhanden gewesen sei, der dem Beschwerdeführer zuzurechnen gewesen sei. Die Behörde gehe zu Recht davon aus, dass es äußerst unwahrscheinlich erscheine, dass andere Passanten ihren Unrat und ihre Zigarettenstummeln in unmittelbarer Nähe des Beschwerdeführers weggeworfen bzw. zurückgelassen hätten, dass dieser von den Beamten festgestellte Unrat daher anderen Personen und nicht dem Beschwerdeführer zuzuordnen gewesen wäre. Es sei als erwiesen anzusehen, dass der Beschwerdeführer sich zur Tatzeit am Tatort aufgehalten und von den Beamten angesprochen worden sei und dass sich in seinem unmittelbaren Umfeld verschiedener Unrat und Müll (wie diverse Speisereste, leere Kaffeebecher sowie leere Tetrapack Milch und diverse Zeitungen) befunden hätten, "die von ihm dort deponiert wurden". Mit dem Zurücklassen des genannten Unrates, auch wenn sich der Beschwerdeführer dort weiter aufgehalten habe, sei § 2 Abs. 1 Wr. ReiG verletzt und § 2 Abs. 8 leg. cit. nicht entsprochen worden, weil entsprechender Müll ohne unnötigen Aufschub zu beseitigen gewesen wäre. Da sich der Beschwerdeführer am Tatort zur Tatzeit aufgehalten habe, sich dort Müll befunden habe, der von ihm dort zumindest gelagert worden sei und den er nicht ohne unnötigen Aufschub beseitigt habe, erweise sich sowohl die objektive wie auch die subjektive Tatseite als gegeben. Anschließend begründete der UVS gemäß § 19 Abs. 1 VStG iVm § 6 Abs. 1 Wr. ReiG die Bemessung der Strafhöhe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der UVS legte die Verfahrensakten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.
§ 2 Wiener Reinhaltegesetz - Wr. ReiG, LGBl. Nr. 47/2007,
lautet auszugsweise:
"Reinhaltung öffentlicher Flächen
§ 2. (1) Das Verunreinigen von Straßen mit öffentlichem Verkehr sowie von öffentlich zugänglichen Grünflächen ist verboten.
(2) Straßen mit öffentlichem Verkehr im Sinne des Abs. 1 sind alle dem Verkehr von Menschen oder Fahrzeugen dienenden Grundflächen, einschließlich der Verkehrsflächen nach § 53 Abs. 1 der BO für Wien, ohne Rücksicht auf die Art der Oberflächenbefestigung, sofern sie von jeder Person unter den gleichen Bedingungen benützt werden können.
(3) Als Bestandteile der Straßen gelten
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | ... |
c) | Gehsteige, |
d) | ... |
5) | Als Verunreinigen gilt das Zurücklassen von Stoffen oder Gegenständen, das Ausgießen von Flüssigkeiten sowie das Aufbringen von färbenden Stoffen. |
(6) ...
(8) Verunreinigungen im Sinne des Abs. 1 hat der Verursacher ohne unnötigen Aufschub zu beseitigen."
§§ 5, 25 und 45 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, lauten (auszugsweise):
"Schuld
§ 5. (1) Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.
(2) ...
§ 25. (1) Verwaltungsübertretungen sind mit Ausnahme des Falles des § 56 von Amts wegen zu verfolgen.
(2) Die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände sind in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden.
§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen.
(2) ..."
Aus folgenden Erwägungen erweist sich die Beschwerde als berechtigt:
Der Tatbestand der Verunreinigung von Straßen mit öffentlichem Verkehr gemäß § 2 Abs. 5 Wr. ReiG ist durch das Zurücklassen unter anderem von Stoffen oder Gegenständen erfüllt. In dem Straferkenntnis vom wird dem Beschwerdeführer jedoch nicht vorgeworfen, dass er Stoffe oder Gegenstände zurückgelassen habe, sondern, dass er diversen Unrat und Müll (diverse Speisenreste, leere Kaffeebecher sowie leere Tetrapack Milch und diverse Zeitungen) auf dem Boden abgestellt habe. Aus der Aussage von Inspektor S. ergibt sich nicht, ob mehrere Kaffeebecher bzw. Milchpackungen vorhanden und ob diese leer oder nach wie vor in Verwendung (als Trinkgefäß, Flüssigkeitsbehälter oder als Aschenbecher) waren. Selbst wenn diese Gegenstände nicht mehr verwendet wurden, erfüllt deren bloßes Abstellen noch nicht den Tatbestand des Zurücklassens gemäß § 2 Abs. 5 Wr. ReiG. Inspektor S. sagte in der mündlichen Verhandlung vor dem UVS selbst aus, dass der Beschwerdeführer jedes Mal, wenn er weggewiesen wurde, den gröberen Unrat zusammengeräumt habe. Dass er zum Tatzeitpunkt Gegenstände zurückgelassen habe, geht weder aus dem Straferkenntnis noch dem angefochtenen Bescheid hervor. Es wurde somit nicht nachvollziehbar begründet, dass der Beschwerdeführer den Tatbestand des § 2 Abs. 5 Wr. ReiG (Zurücklassen von Stoffen oder Gegenständen) erfüllte. Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014).
Wien,am