VwGH vom 15.09.2010, 2010/18/0330
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des S (alias J) N (alias O alias O) in W, geboren am (alias ), vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/233.829/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 (Z. 1) des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am aus Barcelona kommend am Flughafen Wien-Schwechat eingelangt sei. Bei der Kontrolle sei festgestellt worden, dass sich der Beschwerdeführer mit keinem gültigen Reisedokument, sondern lediglich mit einer auf einen anderen Namen lautenden spanischen Aufenthaltsberechtigungskarte ausweisen habe können. Im Zuge einer mit ihm am durchgeführten niederschriftlichen Vernehmung habe er seine wahre Identität und sein Geburtsdatum gestanden sowie, dass er die spanische Aufenthaltsberechtigungskarte gefunden und selbst sein Foto darin angebracht habe.
Daraufhin sei gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Schwechat vom gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 und 7 Fremdengesetz 1997 - FrG (wegen Täuschung sowie Mittellosigkeit) ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, welches in Rechtskraft erwachsen sei.
Am habe der Beschwerdeführer unter seiner wahren Identität beim Bundesasylamt einen Asylantrag gestellt. Dieser sei mit erstinstanzlichem Bescheid vom unter gleichzeitiger Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei, abgewiesen worden. Während des Berufungsverfahrens, nämlich mit , habe das Verfahren beim unabhängigen Bundesasylsenat eingestellt werden müssen und habe erst mit einer neuen Adressenbekanntgabe des Beschwerdeführers mit fortgesetzt werden können.
"Nachdem der unabhängige Bundesasylsenat die erstinstanzliche Entscheidung mit Bescheid vom abgewiesen hatte, wurde einer dagegen eingebrachten Beschwerde zunächst mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom Folge gegeben, ehe dieser Gerichtshof mit Beschluss vom die Behandlung der Beschwerde ablehnte."
Der Beschwerdeführer, der erstmals ab dem bis zum Widerruf am und (nach Fortsetzung seines Asylverfahrens) ab dem bis zum Widerruf am im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz gewesen sei, sei am vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des teils vollendeten, teils versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall und Abs. 3 SMG sowie 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt, verurteilt worden.
Er habe den gerichtlichen Feststellungen zufolge auf Grund seiner ungünstigen finanziellen Verhältnisse beschlossen, seinen Lebensunterhalt durch Gewinn bringenden Verkauf von Suchtmitteln zu finanzieren. In Umsetzung dieses Tatentschlusses habe der Beschwerdeführer im Zeitraum von Oktober 2006 bis Februar 2007 in mehreren Teilmengen 6 Gramm brutto Heroin an einen Suchtgiftabhängigen verkauft. In einem weiteren Zeitraum von Mai 2007 bis September 2007 habe er in mehreren Teilmengen 10 Gramm Heroin und Kokain brutto in nicht mehr feststellbaren Teilmengen einem anderen Suchtgiftabnehmer verkauft. Am sei es zu einem Scheinkauf gekommen, bei welchem der Beschwerdeführer insgesamt 4,6 Gramm brutto Heroin und 8,6 Gramm brutto Kokain an einen Suchtgiftabnehmer verkaufen habe wollen. Es sei jedoch nicht zur Übergabe gekommen, weil der Beschwerdeführer bereits im Vorfeld durch die Polizei festgenommen worden und die festgestellte Suchtgiftmenge bei ihm sichergestellt worden sei. Im Zuge einer mit dem Beschwerdeführer am durchgeführten niederschriftlichen Vernehmung habe der Beschwerdeführer angegeben, ledig zu sein, keine Sorgepflichten zu haben, zu Österreich weder familiäre noch berufliche Bindungen aufzuweisen und auch nicht im Besitz von Barmitteln zu sein.
Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers könne kein Zweifel bestehen, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, zumal das in dieser Gesetzesstelle normierte Strafausmaß beträchtlich überschritten worden sei.
Vor dem Hintergrund des dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhaltens möge dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer durch sein massives Täuschungsverhalten selbst zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG erfülle. Auch möge dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer auch als mittellos im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 7 FPG anzusehen sei, habe er doch nicht initiativ - untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel - nachgewiesen, dass er nicht nur über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhaltes verfüge und sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gesichert erscheine.
Jedenfalls gefährde das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit im höchsten Maße, sodass sich (auch) die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erweise. In einem solchen Fall könne gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn dem nicht die Bestimmung des § 66 FPG entgegenstehe.
Diesbezüglich sei zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer selbst im Berufungsschriftsatz keine familiären bzw. legalen beruflichen Bindungen zum Bundesgebiet geltend gemacht habe. Auf Grund seines bis dato über siebenjährigen - zum Teil durch die Zuerkennung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz auch rechtmäßigen - inländischen Aufenthaltes sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen.
Dessen Zulässigkeit sei jedoch im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit Dritter sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens - im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität als dringend geboten zu erachten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche mehr als augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne für den Beschwerdeführer schon in Ansehung der gewerbsmäßigen, über einen längeren Zeitraum ausgeübten Tatbegehung sowie der den Suchtgiftdelikten zu Grunde liegenden immanenten Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen.
Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen, aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Von daher gesehen hätten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Darüber hinaus sei nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration eines Fremden nicht rechtswidrig.
Angesichts des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können.
Nach der - auch vorliegend zu beachtenden - ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 39 FrG sei ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein werde, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden könne. Die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, welches auch für einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren aufrecht erhalten werden könne, stelle gegenüber der Verhängung eines - auf höchstens zehn Jahre - befristeten Aufenthaltsverbotes die schwerer wiegende Beeinträchtigung der persönlichen Interessen des Fremden dar. Als für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes maßgebliche Umstände, die gemäß § 63 Abs. 2 FPG auch für die Festsetzung der Gültigkeitsdauer von Bedeutung seien, kämen das konkret gesetzte Fehlverhalten und die daraus resultierende Gefährdung der öffentlichen Interessen sowie die privaten und familiären Interessen im Sinne des § 66 FPG in Betracht.
Wer, wie der Beschwerdeführer, nach seiner illegalen Einreise unter Verwendung eines gefälschten Dokumentes falsche Angaben über seine wahre Identität mache, dadurch eine Fremdenpolizeibehörde über das Vorliegen einer Aufenthaltsberechtigung täusche und in der Folge über einen besonders langen Tatzeitraum hinweg gewerbsmäßig Suchtgifthandel betreibe, lasse seine Geringschätzung für maßgebliche, zum Rechtsgüterschutz aufgestellte Vorschriften nachhaltig erkennen. Angesichts der bestehenden Mittellosigkeit des Beschwerdeführers und der damit verbundenen Gefahr, dass er (neuerlich) durch strafbares Verhalten seinen Unterhalt zu finanzieren trachte, könne ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des nunmehr für die Dauer von zehn Jahren festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid zur rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers begegnet die - unbekämpfte - Beurteilung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
2. Nach diesen Feststellungen hat der Beschwerdeführer - wie oben (I. 1.) dargestellt - gewerbsmäßig im Zeitraum von Oktober 2006 bis Februar 2007 und von Mai 2007 bis September 2007 jeweils in mehreren Teilmengen insgesamt etwa 16 Gramm Heroin und Kokain brutto anderen Suchtgiftabnehmern verkauft und wurde bei einem Geschäft mit der Absicht, weitere etwa 13 Gramm brutto Heroin und Kokain zu verkaufen, verhaftet.
In Anbetracht dieses massiven Gesamtfehlverhaltens und auch im Hinblick darauf, dass erfahrungsgemäß die Wiederholungsgefahr bei der Suchtgiftkriminalität besonders groß ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0529, mwN), begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand. Entgegen der Beschwerdeansicht lag das Fehlverhalten des Beschwerdeführers bei Erlassung des angefochtenen Bescheides auch noch nicht so lange zurück, um auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes auf einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr schließen zu können, zumal für die gemäß § 60 Abs. 1 FPG zu treffende Verhaltensprognose die in Haft verbrachte Zeit nicht zu berücksichtigen ist (vgl. dazu nochmals das vorzitierte Erkenntnis). Darüber hinaus besteht auf Grund der - unbestritten gebliebenen - Mittellosigkeit des Beschwerdeführers die Gefahr, dass er erneut versuchen werde, sich durch strafbares Verhalten seinen Unterhalt zu finanzieren.
Dass die Verurteilung 2013 getilgt werde, vermag die Interessen des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zu stärken; im Übrigen dürfte - entgegen der Beschwerdeansicht - auch das bereits getilgten Verurteilungen zu Grunde liegende strafbare Verhalten bei der Beurteilung des Gesamtfehlverhaltens eines Fremden berücksichtigt werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0409, mwN).
3. Bei der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG hat die belangte Behörde den über siebenjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet berücksichtigt und zutreffend einen relevanten Eingriff in das Privatleben im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Zu Recht hat sie darauf hingewiesen, dass die aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers resultierende Integration einerseits durch sein strafbares Verhalten in ihrer sozialen Komponente eine erhebliche Minderung erfahren hat, andererseits auch in ihrem Gewicht dadurch gemindert wird, dass der inländische Aufenthalt zuerst nur auf Grund eines Asylantrages, der sich als unberechtigt herausgestellt hat, berechtigt und nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages unrechtmäßig war. Der Beschwerdeführer ist - was unbestritten blieb - ledig, für niemanden sorgepflichtig und geht auch keiner Erwerbstätigkeit nach. Inwiefern der Beschwerdeführer unter diesen Umständen "sozial vollkommen integriert" sei, lässt die Beschwerde offen.
Den nur geringen privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet stehen die aus seinem weiteren Aufenthalt resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen, vor allem an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, und das öffentliche Interesse am Schutz der Gesundheit anderer gegenüber. Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers kommt kein größeres Gewicht zu als dem angeführten gegenläufigen öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes, hat doch der Beschwerdeführer durch sein bisheriges Fehlverhalten deutlich gezeigt, dass er offensichtlich nicht gewillt ist, die österreichische Rechtsordnung zu beachten, und auch nicht bereit ist, vor schwer wiegenden Straftaten zurückzuschrecken.
Die Auffassung der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG zulässig sei, begegnet daher keinem Einwand.
4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
5. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-80509