zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 24.10.2019, Ra 2018/21/0246

VwGH vom 24.10.2019, Ra 2018/21/0246

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der S S, in W, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , G305 2129193- 2/2E, betreffend insbesondere Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Nordmazedoniens, reiste im August 2009 unter Verwendung eines Schengen-Visums in das Bundesgebiet ein. Hier lernte sie noch im selben Jahr D., einen Staatsangehörigen der Republik Kosovo, kennen, mit dem sie in der Folge eine Lebensgemeinschaft einging. Am wurde in Wien der gemeinsame Sohn, ein Staatsangehöriger Nordmazedoniens, geboren.

2 D. wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom der Status eines Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Ebenso wurde dem (in Rn. 1 erwähnten) gemeinsamen Sohn (im Familienverfahren) mit Bescheid des BFA vom gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3 Mit Bescheid vom sprach das BFA (von Amts wegen) aus, dass der Revisionswerberin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Es erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG und stellte nach § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Mazedonien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG bestimmte es eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

4 Die von ihr dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Begründend stellte das BVwG - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - fest, dass sich die Revisionswerberin seit August 2009 in Österreich aufhalte. Sie lebe (seit ) im gleichen Haushalt wie ihr Lebensgefährte D. und der gemeinsame Sohn, zu dem dieser die Vaterschaft anerkannt habe. Zudem halte sich ihre Schwester im Bundesgebiet auf. Der Lebensgefährte, bei dem sie mitversichert sei, sei seit 2014 bis zuletzt bei verschiedenen Dienstgebern im Bundesgebiet unselbständig beschäftigt gewesen. Die Revisionswerberin sei keiner Beschäftigung nachgegangen, sie verfüge jedoch, für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels, über eine Einstellungszusage. Im Heimatstaat habe sie eine Wirtschaftsschule besucht und sei in der Privatwirtschaft, als Archivarin und zuletzt als Verkaufsmanagerin, tätig gewesen. Der Sohn habe im Bundesgebiet ab Oktober 2015 den Kindergarten und zuletzt - im Schuljahr 2017/2018 - als außerordentlicher Schüler die Volksschule besucht. Die Revisionswerberin habe an einem Deutschkurs (Niveaustufe A1) teilgenommen. Sie sei strafrechtlich unbescholten und gesund.

6 Rechtlich führte das BVwG aus, der Aufenthalt der Revisionswerberin, die in Österreich nie einen Asylantrag gestellt habe, sei mangels Aufenthaltsberechtigung rechtswidrig. Auch lägen keine Umstände vor, auf Grund derer ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen gewesen wäre. Vielmehr seien die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erfüllt.

Das Familienleben mit dem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Sohn, dessen Hauptbezugsperson die Revisionswerberin sei, habe während ihres unrechtmäßigen Aufenthalts stattgefunden. Sie habe deshalb keinesfalls ein längerfristiges Familienleben in Österreich planen dürfen, weshalb dieses gegenüber dem hohen öffentlichen Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung in den Hintergrund trete. Dem Sohn, der keinen auf eine eigene Verfolgungsgefahr gestützten Asylantrag gestellt habe und der sich in einem noch anpassungsfähigen Alter befinde, sei es zumutbar, die Mutter in deren Herkunftsstaat zu begleiten. Die Aspekte der von der Revisionswerberin neben dem Familienleben im Bundesgebiet erreichten Integration seien nicht ausgeprägt. Kontakte zum Lebensgefährten bzw. Kindesvater könnten im Wege moderner Kommunikationsmittel oder im Rahmen von Besuchen aufrechterhalten werden. Eine Reintegration im Herkunftsstaat, in dem sie bis zu ihrer Ausreise gelebt und gearbeitet habe, sei (auch ohne Vorliegen aktueller familiärer Anknüpfungspunkte) zu erwarten. 7 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 4921/2018, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8 Über die in der Folge ausgeführte Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Hat das Verwaltungsgericht - wie hier - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen sie entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

11 Im Übrigen, die Rückkehrentscheidung und die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche betreffend, erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt, weil das BVwG bei seiner Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

12 Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. grundlegend , Punkt 3.2., und , Rn. 12, jeweils mwN). 13 Das BVwG stellte bei seiner Interessenabwägung in den Vordergrund, dass das Eingehen der gegenständlichen Lebensgemeinschaft sowie die Geburt des gemeinsamen Sohnes (am ) im Bewusstsein der Revisionswerberin über ihren rechtswidrigen Aufenthalt erfolgt wären. Deshalb sei ein Vertrauen darauf auszuschließen, das gemeinsame Familienleben künftig in Österreich gestalten zu können.

14 Letztlich geht das Bundesverwaltungsgericht dabei von einer gemeinsamen Ausreise der Revisionswerberin und ihres Sohnes in der Heimatstaat (Nordmazedonien) aus. Im Hinblick darauf führte die gegenständliche Rückkehrentscheidung zwangsläufig zu einer Trennung des (in Österreich geborenen und bei seinen Eltern lebenden - aufenthaltsberechtigten) Sohnes von seinem Vater, was eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls darstellt. Kontakte über Telefon oder mittels E-Mail können das nicht wettmachen (vgl. dazu etwa , Punkt II.2.2., sowie , Punkt III.2.; ebenso , Rn. 11.).

15 Die angefochtene Entscheidung erweist sich somit in Bezug auf die Rückkehrentscheidung und die damit verbundenen Aussprüche als inhaltlich rechtswidrig. Sie war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210246.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.