VwGH vom 20.03.2012, 2010/18/0301
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des L O O in W, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/407.814/2009, betreffend Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der am rechtskräftig abgewiesen worden sei. Die Behandlung einer dagegen eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof sei von diesem abgelehnt worden. Jedenfalls seit diesem Zeitpunkt halte sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung vorlägen.
Der Beschwerdeführer sei - eigenen Angaben zufolge - mit einer spanischen Staatsangehörigen verheiratet, die mit zwei gemeinsamen Kindern in Spanien lebe. Da seine Ehefrau als spanische Staatsangehörige in Spanien lebe, habe sie ihre Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen. Der Beschwerdeführer unterliege somit nicht der Richtlinie 2004/38/EWR (gemeint wohl: 2004/38/EG); gemäß § 9 FPG sei keine Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben.
In weiterer Folge begründete die belangte Behörde, dass die Erlassung der Ausweisung aus ihrer Sicht auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde bringt - soweit entscheidungsrelevant - neuerlich vor, der Beschwerdeführer habe sehr wohl ein Privat- und Familienleben in Österreich, "selbst wenn er dieses nicht im familienherkömmlichen Sinn in Österreich lebt". Es bestünden intensive familiäre Bindungen, weil der Beschwerdeführer mit einer EU-Bürgerin verheiratet sei und zwei Kinder habe. Die belangte Behörde habe keine Feststellungen zur Intensität des Familienlebens mit der "zumindest zeitweise in Österreich aufhältigen Gattin sowie den Kindern" und zum Privatleben des Beschwerdeführers getroffen. Auch zum "Integrationsausmaß der Gattin sowie der Kinder" seien keine Feststellungen getroffen worden. Die belangte Behörde hätte erheben müssen, ob eine Übersiedlung des Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat mit Blick auf eine Aufrechterhaltung des Kontaktes vom Heimatland aus als übermäßige Härte für die Familienangehörigen zu erachten sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0736).
Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Der Beschwerdeführer hat bereits in der Berufung vorgebracht, mit einer EU-Bürgerin verheiratet zu sein und mit dieser zwei Kinder zu haben; es bestünden intensive familiäre Bindungen, die belangte Behörde habe jedoch keine Feststellungen zum Integrationsausmaß der zumindest zeitweise in Österreich aufhältigen Gattin sowie der Kinder getroffen. Ausgehend von diesen Behauptungen könnte eine relevante Inanspruchnahme des gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts durch die Ehefrau des Beschwerdeführers zu bejahen und dieser daher als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 FPG anzusehen sein.
Die belangte Behörde hat jedoch keine Erhebungen durchgeführt, wann, wie lange und zu welchem Zweck sich die Ehefrau des Beschwerdeführers in Österreich aufgehalten hat. Wenn im angefochtenen Bescheid ausgeführt wird, der Unabhängige Verwaltungssenat Wien sei nicht zuständig, weil die Ehefrau des Beschwerdeführers als spanische Staatsangehörige in Spanien lebe, greift diese Begründung zu kurz, weil dadurch keinesfalls ausgeschlossen ist, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers einen unionsrechtlich relevanten Sachverhalt gesetzt haben könnte.
Nach ständiger hg. Rechtsprechung hat eine Behörde ihre Unzuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens, auch wenn dies von der Partei nicht geltend gemacht wurde, wahrzunehmen (vgl. die in Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) § 6 AVG E 4 zitierte hg. Judikatur sowie jüngst das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0177).
Indem es die belangte Behörde unterlassen hat, eine allfällige Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts durch die Ehefrau des Beschwerdeführers und damit ihre Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weil nicht auszuschließen ist, dass sie bei Durchführung eines mängelfreien Verfahrens zum Ergebnis gekommen wäre, dass der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger ist und der Sicherheitsdirektion daher nicht die Zuständigkeit zur Berufungsentscheidung zukommt. Diesfalls hätte die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 AVG an den unabhängigen Verwaltungssenat weiterzuleiten gehabt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0004).
Der angefochtene Bescheid war daher - ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
CAAAE-80414