VwGH vom 16.02.2012, 2010/18/0295
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des F T in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19/9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/160.382/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe zunächst einen Asylantrag gestellt. Am habe er die österreichische Staatsbürgerin N B. geheiratet und auf diese Ehe gestützt die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt.
Erhebungen im März 2004 hätten ergeben, dass N B. mit ihrem (laut eigenen Angaben) ehemaligen Lebensgefährten in der P-Straße wohne, und am Wohnsitz des Beschwerdeführers in der W-Straße nur mit Nebenwohnsitz gemeldet sei. Laut Auskunft einer Wohnungsnachbarin wohne der Beschwerdeführer in der W-Straße allein, eine Frau sei dort noch nie gesehen worden.
Bei der am erfolgten Vernehmung der Eheleute hätten sich Widersprüche insbesondere darüber ergeben, ob N B. beim Beschwerdeführer übernachtet habe.
Im Rahmen einer neuerlichen Vernehmung des Ehepaares am seien erneut zahlreiche - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - Widersprüche beispielsweise zum Ablauf des vorangegangen Wochenendes, des Weihnachtsfestes oder hinsichtlich des Kaufs der Eheringe zutage getreten.
Im Zuge einer Erhebung am in der P-Straße habe eine Hauspartei ausgesagt, dass N B. nicht mit einem Ausländer, sondern mit einem jüngeren Mann zusammenwohne. N B. habe weder Dokumente noch andere Gegenstände des Beschwerdeführers vorweisen und das Datum der Eheschließung nicht genau angeben können. Schließlich habe sie zugegeben, dass es sich bei der Ehe mit dem Beschwerdeführer um eine Aufenthaltsehe handle, für die sie EUR 3.000,-- erhalten habe. Der ebenfalls in der Wohnung anwesende D G. sei ihr Lebensgefährte.
Der Beschwerdeführer habe das Vorliegen einer Aufenthaltsehe stets bestritten und die Aussage seiner Ehefrau damit begründet, dass sie zuvor heftig gestritten hätten und N B. die Angaben wohl aus Unmut getätigt habe. Der Betrag von EUR 3.000,-- sei zur Bezahlung der Kaution für die gemeinsame Wohnung, der Vermittlungsprovision sowie zum Ankauf von Einrichtungsgegenständen für diese Wohnung verwendet worden.
Am sei die Ehefrau, am der Beschwerdeführer neuerlich vernommen worden. Auch dabei seien zahlreiche Widersprüche - etwa darüber, wann das Ehepaar in welcher Wohnung gelebt habe - zutage getreten.
Am seien mehrere, vom Beschwerdeführer beantragte Zeuginnen und Zeugen vernommen worden. Von den insgesamt neun Befragten - auf die Vernehmung weiterer Auskunftspersonen sei verzichtet worden, weil kein Kontakt mehr hätte hergestellt werden können - habe nur die Schwester von N B., die auch Trauzeugin gewesen sei, angegeben, dass sie den Beschwerdeführer und seine Ehefrau auch in deren Wohnung in der P-Straße besucht habe. Hasan B., die Eltern von N B. sowie L B. hätten angegeben, dass die Eheleute ein- bis dreimal in deren Wohnung (der Wohnung der Zeuginnen oder Zeugen) gewesen seien. Laut Aussage von H und L B. hätte das Ehepaar auch Zärtlichkeiten ausgetauscht. B R. sei 2005 zwar ein- bis zweimal im Haus in der W-Straße gewesen, habe N B. dabei jedoch nicht gesehen. H B., B R., B I., die Schwester und Trauzeugin von N B. sowie L B. hätten die Eheleute im Donauzentrum oder auf der Donauinsel gemeinsam gesehen; laut H B. hätten sie sich beim Gehen umarmt.
Mit Urteil vom sei die Ehe geschieden worden.
Bei der Vernehmung am habe N B. das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritten. (Dem Behördenauftrag gemäß legte sie das Scheidungsurteil vor.) Zu den Widersprüchen ihrer Aussagen mit jenen des Beschwerdeführers bei den Vernehmungen im März und Mai 2004 sowie im August 2007 befragt habe sie ihre Angaben teilweise zurückgenommen und zu den verbleibenden Widersprüchen wiederholt angegeben, sich diese nicht erklären zu können.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, unter Bedachtnahme auf sämtliche Aussagen, insbesondere die zutage getreten massiven Widersprüche und die Erhebungen an den Wohnadressen sei davon auszugehen, dass die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und N B. ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um diesem die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Bei den Vernehmungen der Eheleute seien durchaus (wenn auch wenige) gleichlautende Angaben gemacht worden; es liege jedoch im Wesen einer Aufenthaltsehe, der Behörde durch gleichlautende Angaben ein gemeinsames Ehe- und Familienleben wahrheitswidrig glaubhaft machen zu wollen. Auch die vom Beschwerdeführer beantragten Zeuginnen und Zeugen hätten ein gemeinsames Ehe- und Familienleben nicht bestätigen können. Deren Aussagen hätten angesichts der übrigen eindeutigen Sachverhalte nicht beweisen können, dass der Beschwerdeführer mit N B. ein gemeinsames Familienleben geführt habe. In diesem Zusammenhang sei auch der Umstand bezeichnend, dass die Eltern von N B. nicht nur keinerlei Angaben zur Person des Beschwerdeführers hätten machen können, sondern überhaupt erst zwei Jahre nach der Eheschließung davon erfahren hätten.
Darüber hinaus hätten weder N B. noch der Beschwerdeführer glaubwürdige oder nachvollziehbare Begründungen zur Auflösung der massiven und zahlreichen Widersprüche geben können. N B. habe sich meist darauf zurückgezogen, sich den jeweiligen Widerspruch nicht erklären zu können bzw. diesen nicht zu verstehen. Auch der Beschwerdeführer habe die Widersprüche nicht substantiell entkräften können. Es sei auch lebensfremd, dass zahlreiche Umstände aus dem persönlichen Umfeld des jeweiligen Partners völlig unbekannt gewesen seien und sogar Dinge des täglichen Lebens entweder widersprüchlich bzw. in völliger Unkenntnis dargestellt worden seien. Die Erhebungsergebnisse rundeten dieses Bild ab.
Angesichts der Widersprüche in den Aussagen des Beschwerdeführers und von N B., der übrigen Aussagen und der Erhebungen stehe fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Die Angaben des Beschwerdeführers seien als bloße Schutzbehauptungen zu werten.
Schließlich begründete die belangte Behörde, warum aus ihrer Sicht die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 FPG gerechtfertigt und auch im Rahmen der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung zulässig sei.
II.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom , B 294/10-6, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Dieser hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde wendet sich u.a. gegen die Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach die Zeuginnen und Zeugen ein gemeinsames Ehe- und Familienleben nicht hätten bestätigen können. Diese hätten vielmehr in ihren Aussagen dargelegt, dass von den Eheleuten ein gemeinsames Familienleben geführt worden sei. So hätten H und L B. die Eheleute beim Austausch von Zärtlichkeiten beobachtet, B B. habe das Ehepaar mehrmals, B I. einmal in Begleitung der Schwägerin des Beschwerdeführers getroffen.
Damit zeigt die Beschwerde einen Verfahrensmangel auf. Die pauschale Beurteilung der belangten Behörde, die Zeuginnen und Zeugen hätten ein gemeinsames Ehe- und Familienleben nicht bestätigen können, ist ohne beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den jeweiligen Aussagen nicht nachvollziehbar. Einerseits hat die Schwester von N B. ausgesagt, das Ehepaar sehr oft bei sich zu Hause, in deren Wohnungen in der F-Gasse und in der P-Straße und auch sehr oft im Donauzentrum (am Anfang der Ehe ein- bis zweimal pro Woche) gesehen zu haben. Andererseits haben H und L B. das Ehepaar beim Austausch von Zärtlichkeiten beobachtet. Laut Aussage von H B. habe er den Beschwerdeführer und N B. im Donauzentrum beobachtet, wie sie sich beim Gehen umarmt hätten; er sei sich sicher, dass die beiden zusammengelebt hätten. Warum diese Aussagen ungeeignet sein sollten, ein Familienleben nachzuweisen, oder aus welchem Grund die belangte Behörde ihnen keinen Glauben schenkt, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor.
Darüber hinaus verweist die Beschwerde auf das Scheidungsurteil vom , wonach die Ehe aus Verschulden von N B. gemäß § 49 EheG geschieden und in der Urteilsbegründung festgehalten worden sei, dass eine Wiederherstellung der Ehe nicht mehr in Frage komme. Eine Scheidung gemäß § 49 EheG setze voraus, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden könne. Durch den Spruch des Scheidungsurteils sei rechtsverbindlich festgestellt worden, dass die Eheleute eine dem Wesen der Ehe entsprechende Ehegemeinschaft geführt hätten. Das Scheidungsurteil sei der belangten Behörde auf deren Verlangen von N B. bei ihrer Vernehmung am vorgelegt worden. Dennoch habe sich die belangte Behörde damit überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Auch dieses Beschwerdevorbringen ist berechtigt. Laut Niederschrift über die Vernehmung von N B. am hat diese das Scheidungsurteil vorgelegt, den Verwaltungsakten liegt es jedoch nicht bei. Somit kann nicht beurteilt werden, ob daraus tatsächlich abzuleiten ist, die Eheleute hätten eine dem Wesen der Ehe entsprechende Ehegemeinschaft geführt. Der angefochtene Bescheid enthält dazu keine Feststellungen.
Im Hinblick auf das hinsichtlich des Scheidungsurteils unvollständige Ermittlungsverfahren sowie die mangelhafte Beweiswürdigung, die der vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Prüfung nicht standhalten kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am