VwGH vom 22.08.2019, Ra 2018/21/0188
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W137 2200802-2/14E, betreffend Zwangsstrafe nach § 5 VVG (mitbeteiligte Partei: E O in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte (nach einer erfolglosen Antragstellung vom ) am einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom zur Gänze abgewiesen; unter einem wurde dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt; es ergingen gegen ihn u.a. eine Rückkehrentscheidung samt Ausspruch gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, sowie ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht erteilt. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Ein Antrag an den Verwaltungsgerichtshof auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wurde mit Beschluss vom , Ra 2018/18/0484, wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen.
3 Mit Bescheid vom hatte das BFA dem im Bundesgebiet verbliebenen Mitbeteiligten gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG iVm § 19 AVG u.a. aufgetragen, einen durch Uhrzeit und Ort näher umschriebenen "Interviewtermin durch eine Experten-Delegation Nigeria am wahrzunehmen" und dadurch an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments mitzuwirken. Er habe in seinem Besitz befindliche relevante Dokumente (Reisepass, Ausweise, Urkunden und sonstige seine Identität oder Staatsangehörigkeit bescheinigende Dokumente) mitzubringen. Sollte er dem Auftrag ohne wichtigen Grund nicht Folge leisten, wurde ihm die Verhängung einer Haftstrafe von 14 Tagen angedroht. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen.
Die Zustellung dieses Bescheides, die eigenhändig vorzunehmen war (§ 19 Abs. 3 AVG), erfolgte gemäß der Aktenlage nach einem erfolglosen Zustellversuch an der Meldeadresse des Mitbeteiligten in Wien durch Hinterlegung bei einer Polizeiinspektion; der Beginn der Abholungsfrist fiel auf den .
In einer aus anderem Anlass erfolgten Beschwerdevorlage an das BVwG vom führte das BFA dazu u.a. aus, diese Zustellung sei "fehlgeschlagen". Der Mitbeteiligte habe den Bescheid bis zum nicht abgeholt. Er habe auch "trotz mehrfacher Festnahmeversuche" an seiner bekannten Wiener Meldeadresse nicht angetroffen werden können.
Der Mitbeteiligte äußerte sich zu diesem Thema mit Schriftsatz vom . Darin brachte er u.a. vor, dass er damals in Graz gelebt und sich nur selten in Wien aufgehalten habe, sodass es zu einer "Verzögerung in der Abholung" dieses Bescheides (bis zum ) gekommen sei.
4 Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid des BFA vom war über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet worden.
5 In Erledigung einer dagegen erhobenen Beschwerde erklärte das BVwG mit Erkenntnis vom die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft für rechtswidrig. Es stellte des Weiteren fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen. (Eine dagegen erhobene Amtsrevision des BFA wurde mit , zurückgewiesen.)
Am entließ das BFA den Mitbeteiligten aus der Schubhaft.
6 Unmittelbar darauf händigte das BFA dem Mitbeteiligten einen mit "" datierten Bescheid aus, mit dem es unter Bezugnahme auf die dem Mitbeteiligten im Bescheid vom auferlegte (nicht befolgte) Verpflichtung, bei der Erlangung eines Ersatzreisedokuments mitzuwirken und am zu einem Interviewtermin zu kommen (Ladung), über ihn gemäß § 5 VVG die für den Fall der Nichterfüllung angedrohte Haftstrafe von 14 Tagen verhängte.
Diesen Bescheid setzte das BFA am um 14:25 Uhr in Vollzug. Der Mitbeteiligte wurde bis zum (nach Beendigung des Interviewtermins vom selben Tag) in Haft angehalten.
7 Dagegen erhob der Mitbeteiligte am Beschwerde "gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG". Darin behauptete er primär eine rechtswidrige Fortsetzung der vorangehenden Schubhaft ungeachtet des Erkenntnisses des BVwG vom (laut Rn. 5). Im Verfahren berief er sich (nach Vorhalt durch das BVwG, dass aktuell eine Zwangsstrafe vollzogen werde) mit dem schon erwähnten Schriftsatz vom (Rn. 3) darauf, dass die "mit Bescheid vom verfügte Vollstreckung einer Zwangsstrafe rechtswidrig" sei. Dasselbe gelte für ihren Vollzug. Dies begründete er u.a. damit, dass die Erlassung des Bescheides vom (weil gegenüber dem Mitbeteiligten persönlich und nicht gegenüber seinem ausgewiesenen Rechtsvertreter vorgenommen) unwirksam und darüber hinaus zu knapp vor dem (noch innerhalb der offenen Abholungsfrist liegenden) Botschaftstermin am erfolgt sei, der schon deshalb vom Mitbeteiligten nicht habe wahrgenommen werden können. Die Ladung habe ihn nämlich bis zu diesem Termin gar nicht erreicht. Im Ergebnis liege eine rechtswidrige "verfahrensfreie Anhaltung" vor.
8 Mit Erkenntnis vom gab das BVwG der Beschwerde gemäß § 46 Abs. 2b FPG iVm § 11 BFA-VG statt und erklärte die Anhaltung des Mitbeteiligten seit , 14:25 Uhr, für rechtswidrig. Es traf entsprechende Kostenaussprüche nach § 35 VwGVG. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte es die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 9 Begründend stellte es (zu dem in Rn. 1 und 2 beschriebenen Verfahren zur Erlassung u.a. einer Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen sowie eines Einreiseverbotes) fest, der Mitbeteiligte habe am auf die Frage nach einem Vertreter oder Zustellbevollmächtigten geantwortet, er hätte einen gehabt, habe aber nun keinen mehr. Dieser Erklärung zufolge sei das Vertretungsverhältnis - jedenfalls im Außenverhältnis gegenüber dem BFA - als aufgelöst anzusehen gewesen. Infolge Einbringung einer Beschwerde am durch den schon bisher ausgewiesenen Rechtsanwalt (gegen den in Rn. 1 erwähnten Bescheid des BFA vom , dies unter Hinweis auf die ihm bereits am umfassend erteilte Vollmacht) habe dem BFA jedoch die erneute Bevollmächtigung dieses Rechtsanwaltes bewusst gewesen sein müssen.
Auf dieser Grundlage verneinte das BVwG eine rechtswirksame Erlassung der Bescheide vom und "vom " (im letztgenannten Fall am ), sodass sich die bekämpfte Anhaltung des Mitbeteiligten in Haft mangels Rechtsgrundlage als rechtswidrig erweise.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:
Die Revision ist zur Klärung der Frage, wie weit in einer Konstellation, wie sie hier vorliegt, ein gegenüber der Behörde erklärtes Vertretungsverhältnis reicht, zulässig; sie ist aber nicht berechtigt:
11 Auszugehen ist davon, dass sich der einschreitende Rechtsanwalt in der von ihm verfassten Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom auf die ihm vom Mitbeteiligten erteilte Vollmacht berufen hat. Er war daher - tatsächlicher Bestand der Vollmacht unterstellt - im weiteren Verfahren betreffend den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag auf internationalen Schutz und die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche als dessen Vertreter anzusehen.
12 Die erwähnten Aussprüche (vor allem die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach § 52 Abs. 9 FPG) zielten darauf ab, dass der Mitbeteiligte (insbesondere) Österreich unverzüglich in Richtung Nigeria verlasse. Das war auch die Zielrichtung "des Verfahrens" zur Erlangung eines nigerianischen Heimreisezertifikates, das mit Ladungsbescheid vom eingeleitet wurde und ergänzend die Umsetzung der Rückkehrentscheidung vorbereiten sollte. 13 Für die Beurteilung der Frage, ob eine Vollmacht auch für andere Verfahren über bereits schwebende oder erst später anhängig werdende Rechtsangelegenheiten als erteilt anzusehen ist, ist es zufolge der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entscheidend, ob ein so enger Verfahrenszusammenhang besteht, dass von derselben Angelegenheit oder Rechtssache gesprochen werden kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I2 § 10, Rz. 18, mit Verweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
14 Ein derartiger "enger Verfahrenszusammenhang" ist im vorliegenden Fall angesichts der aufgezeigten einheitlichen Zielrichtung beider "Verfahren" einerseits und der bloß dienenden Funktion des Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates andererseits anzunehmen, zumal als weiteres vereinheitlichendes Element hinzutritt, dass das Verfahren über den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag auf internationalen Schutz samt Rückkehrentscheidung im Beschwerdestadium noch anhängig war. 15 In dieser Konstellation bildete das mit Bescheid vom eingeleitete "Verfahren" nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls auch noch einen Teil des (anhängigen) Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz und die Rückkehrentscheidung. Es lag also noch kein anderes - davon gesondertes - Verfahren als dasjenige vor, in dem sich der Rechtsanwalt des Mitbeteiligten (mit dem erwähnten Schriftsatz vom ) bereits ausgewiesen und sich auf seine (umfassend erteilte) Vollmacht berufen hatte. Demzufolge wären sowohl der Ladungsbescheid vom als auch die mit datierte Vollstreckungsverfügung richtigerweise dem Rechtsvertreter zuzustellen gewesen. Die Zustellung an den Mitbeteiligen selbst hat zu keiner rechtswirksamen Erlassung der Bescheide geführt.
16 Zwar stehen im Allgemeinen, wie das BFA grundsätzlich richtig darlegt, ein Titelverfahren und ein folgendes Vollstreckungsverfahren nicht in einem so engen Zusammenhang, dass generell von "derselben" Angelegenheit oder Rechtssache zu sprechen wäre (vgl. dazu etwa ; , und , jeweils mwN).
17 Das kann allerdings dann nicht gelten, wenn es - wie hier - nur um den Vollzug des schon im Ladungsbescheid angedrohten Zwangsmittels geht, sodass auch insofern ein untrennbarer Zusammenhang existiert und nicht von einem gesonderten Vollstreckungsverfahren auszugehen ist.
18 Zutreffend verweist das BFA auch darauf, dass Zwangsakte im Zuge einer Vollstreckung grundsätzlich keine Maßnahmen behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bilden, sofern sie auf Grund einer Vollstreckungsverfügung (§ 10 VVG) von Verwaltungsorganen gesetzt wurden.
19 Vollstreckungshandlungen können aber dann Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellen und mit Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG angefochten werden, wenn sie ohne vorangegangenes Verfahren oder vor (wirksamer) Erlassung einer Vollstreckungsverfügung durchgeführt werden (vgl. zum Ganzen etwa ; und 0113, sowie , Rn. 13 und 20, jeweils mwN). Das war hier nach dem zuvor Gesagten der Fall.
20 Die vom BFA in der Revision gerügte Behandlung und Erledigung der (in Rn. 7 dargestellten) Beschwerde als Maßnahmenbeschwerde durch das BVwG (samt entsprechenden Kostenaussprüchen nach § 35 VwGVG) erweist sich somit auf Basis der eben (in Rn. 19) wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als im Ergebnis berechtigt. Es wurden nämlich die Vollstreckungshandlungen noch vor wirksamer Erlassung der Vollstreckungsverfügung und schon von daher rechtswidrig vollzogen.
21 Die Abänderung des Gegenstandes der Beschwerde an das BVwG (mit Schriftsatz vom , wiedergegeben in Rn. 7) ist schon deshalb unproblematisch, weil sie (über Verbesserungsauftrag des BVwG) jedenfalls innerhalb offener Beschwerdefrist erfolgte. 22 Die Amtsrevision des BFA erweist sich somit insgesamt als nicht berechtigt. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
23 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210188.L00 |
Schlagworte: | Beginn Vertretungsbefugnis Vollmachtserteilung Bescheidcharakter Bescheidbegriff Abgrenzung zur Verordnung Verbesserungsauftrag Bejahung Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Vertretungsbefugter Zurechnung |
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