VwGH vom 16.05.2019, Ra 2018/21/0177
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des U I, zuletzt in V, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das am mündlich verkündete und mit schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G312 2204433-1/14E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er stellte im April 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom vollinhaltlich abwies. Außerdem sprach es aus, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, erließ eine Rückkehrentscheidung - verbunden mit der Feststellung über die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria - sowie ein zehnjähriges Einreiseverbot und aberkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung.
2 Das Einreiseverbot beruhte darauf, dass der Revisionswerber insgesamt viermal wegen Suchtgiftdelikten strafrechtlich verurteilt worden war. Zuletzt war mit rechtskräftigem Urteil vom insbesondere gemäß § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG eine achtzehnmonatige Freiheitsstrafe verhängt worden, die der Revisionswerber - unter Anrechnung der Vorhaft und unter Miteinbeziehung eines widerrufenen Strafrestes aus einer vorangegangenen bedingten Entlassung - im Zeitraum vom bis verbüßte.
3 Im Anschluss an die Strafhaft wurde der Revisionswerber in Schubhaft überstellt. Dem lag zu Grunde, dass mit Bescheid des BFA vom über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG "idgF" (somit in der Fassung des FrÄG 2015) Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung - wobei die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung des Revisionswerbers aus der Gerichtshaft einzutreten hätten - angeordnet worden war. 4 Der Revisionswerber erhob Schubhaftbeschwerde. Mit dem in der Beschwerdeverhandlung vom mündlich verkündeten und dann am schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Außerdem stellte es fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A II.), erkannte dem Bund Aufwandersatz zu (Spruchpunkt A III.) und wies den Antrag des Revisionswerbers auf Aufwandersatz ab (Spruchpunkt A IV.).
5 Das BVwG stellte fest, dass der Revisionswerber gegen den Asylbescheid vom (siehe Rn. 1) Beschwerde erhoben habe und dass das Beschwerdeverfahren nach wie vor beim BVwG anhängig sei; der zuständige Richter habe mitgeteilt, dass der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt werde. Außerdem stellte das BVwG insbesondere fest, dass der Revisionswerber, dessen Abschiebung nach Nigeria für den vorgesehen sei, in Österreich über keine wesentlichen familiären, beruflichen oder sonstigen sozialen Bindungen sowie über keine eigene gesicherte Unterkunft verfüge. Darauf sowie auf das aus seinem bisherigen Gesamtfehlverhalten ableitbare Fehlen von Vertrauenswürdigkeit bezugnehmend gelangte das BVwG bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Schubhaftbescheides zu dem Ergebnis, es sei der Fluchtgefahrtatbestand nach § 76 Abs. 3 Z 9 FPG gegeben und es bestehe ein beträchtliches Risiko des Untertauchens. Angesichts seines bisherigen strafrechtlichen Fehlverhaltens und der dazu in der Beschwerdeverhandlung abgegebenen Erklärung, er sei mangels Unterstützung in Österreich gezwungen gewesen, durch Suchtgifthandel seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, stelle der Revisionswerber auch eine gravierende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Bundesgebiet dar. Im Hinblick auf die für den terminisierte Abschiebung, sein strafrechtliches Fehlverhalten und in Anbetracht dessen, dass das BFA davon habe ausgehen können, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit ein neuerliches Untertauchen des Revisionswerbers zu erwarten, erweise sich die Anordnung der Schubhaft auch als verhältnismäßig. Da das BFA "den gegenständlich angefochtenen Bescheid unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides maßgeblichen Rechtslage und Sachlage zutreffend auf die im Spruch angeführten Rechtsvorschriften gestützt hat", sei die Beschwerde hinsichtlich des Schubhaftbescheides gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG als unbegründet abzuweisen gewesen.
6 Den Erwägungen zum Vorliegen eines konkreten
Sicherungsbedarfs und zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft komme auch - so das BVwG zur Begründung seines Fortsetzungsausspruches - zum Zeitpunkt seiner Entscheidung unverändert Geltung zu. Außerdem sei der "weiter fortgeschrittene Stand des Verfahrens" maßgeblich zu berücksichtigen; der Sicherungsbedarf werde dadurch verstärkt, dass dem - weiterhin eine massive Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellenden - Revisionswerber nunmehr bewusst sein müsse, dass seine Abschiebung aus Österreich zeitnah möglich sei. Seine fortgesetzte Anhaltung in Schubhaft erweise sich daher zum Zweck der Sicherung der Abschiebung als notwendig und verhältnismäßig. Dem stünden auch die Erwägungen im Gnandi, C-181/16, nicht entgegen.
7 Über die gegen dieses Erkenntnis schon auf Basis seiner mündlichen Verkündung erhobene außerordentliche Revision - das BVwG hatte ausgesprochen, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei - hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessem Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
8 Der Revisionswerber verweist in den Zulässigkeitsausführungen
seiner Revision u.a. auf das schon in seiner Schubhaftbeschwerde angeführte Gnandi, C-181/16, und leitet aus den dort angestellten Überlegungen ab, dass die gegenständliche Schubhaft rechtswidrig sei. Damit ist er im Ergebnis im Recht, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.
9 Auszugehen ist von § 76 FPG, der mit dem insoweit am in Kraft getretenen FrÄG 2015 neu gestaltet wurde. Die Umschreibung der Schubhafttatbestände findet sich seither im zweiten Absatz dieser Bestimmung, der bis wie folgt lautete:
"Schubhaft
§ 76. (1) ...
(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen."
10 Durch das FrÄG 2018 erhielt § 76 Abs. 2 FPG mit Wirksamkeit
vom folgende geänderte Fassung:
"Schubhaft
§ 76. (1) ...
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt."
11 Die dargestellte innerstaatliche Regelung der Schubhaftgründe ist vor dem Hintergrund unionsrechtlichen Sekundärrechts zu lesen, das die maßgeblichen Voraussetzungen für die Haft - jedenfalls gegen nichtbegünstigte Drittstaatsangehörige - vorgibt. Neben der ausdrücklich genannten, im vorliegenden Fall nicht einschlägigen "Dublin-Verordnung", die unmittelbar anzuwenden ist, sodass nur auf deren Voraussetzungen verwiesen wird, sind das einerseits die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungs-RL), insbesondere deren Art. 15, und andererseits die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung) (Aufnahme-RL), insbesondere deren Art. 8.
12 Die zweitgenannte Richtlinie gilt gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 für alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die (insbesondere) im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats internationalen Schutz beantragen, solange sie als Antragsteller im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen. Haft gegen Angehörige dieses Personenkreises kommt also nur nach Maßgabe des erwähnten Art. 8 Aufnahme-RL in Betracht, während sonst die Rückführungs-RL - v.a. deren schon angesprochener Art. 15 - den unionsrechtlichen Bezugsrahmen bildet.
13 Der Revisionswerber war bei Erlassung des gegenständlichen Schubhaftbescheides vom Asylwerber. Er war das auch noch im Zeitpunkt der faktischen Schubhaftnahme am sowie bei Ergehen des Fortsetzungsausspruches nach § 22a Abs. 3 BFA-VG am . Zwar hatte das BFA seinen Antrag auf internationalen Schutz bereits mit Bescheid vom vollinhaltlich abgewiesen und das mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes verbunden, wobei einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt worden war. Über die dann dagegen erhobene Beschwerde war aber - auch in Bezug auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung - jedenfalls bis noch keine Entscheidung des BVwG ergangen. Damit kam dem Revisionswerber ungeachtet der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde und ungeachtet der daran anknüpfenden innerstaatlichen Regelung des § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG, wonach in einem solchen Fall mit der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme (hier: der Rückkehrentscheidung) nur bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage beim BVwG zugewartet werden müsste, weiterhin ein Bleiberecht zu (so schon , Rn. 12, sowie nunmehr in Auseinandersetzung mit dem Gnandi, C-181/16, und dem C., J., und S., C-269/18 PPU, , Rn. 31). Das ergibt sich, wie in den eben genannten Urteilen des Verwaltungsgerichtshofes näher dargelegt wurde, aus dem Regelungszusammenhang der Absätze 5, 6 und 8 des Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung) (Verfahrens-RL), womit insoweit die dargestellte Anordnung des § 16 Abs. 4 BFA-VG verdrängt wird (, Rn. 27 ff). 14 Dass die Verfahrens-RL auch im vorliegenden Fall - unbeschadet dessen, dass der Revisionswerber bereits im April 2013 seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte - einschlägig ist, folgt daraus, dass der österreichische Gesetzgeber die Regelungen dieser Richtlinie mit dem FrÄG 2015, ohne erkennbare zeitliche Einschränkung, umsetzen wollte (siehe nur den Allgemeinen Teil der ErläutRV zum FrÄG 2015, 582 BlgNR 25. GP 1), sodass er von der ihm offenstehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, seine zur Umsetzung der Verfahrens-RL erlassenen Vorschriften mit sofortiger Wirkung (auch) auf vor dem gestellte Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden (
Ro 2019/18/0001, Rn. 10 bis 12, mit Verweis auf Ibrahim, C-297/17 u.a.).
15 Kam dem Revisionswerber nach dem Gesagten trotz Aberkennung der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde gegen den Asylbescheid des BFA vor dem Hintergrund der Verfahrens-RL ein Bleiberecht zu, so durfte er nicht nach Art. 15 der Rückführungs-RL in Haft genommen werden ( C., J. und S., C- 269/18 PPU, Rn. 51 und 54, mit Verweis auf das vom Revisionswerber ins Treffen geführte Urteil Gnandi), was dann aber weiter bedeutet, dass die über ihn verhängte Schubhaft nur dann (und insoweit) rechtmäßig sein kann, als die herangezogene innerstaatliche Rechtsgrundlage in der Aufnahme-RL Deckung findet (in diesem Sinn schon , Rn. 16). Das war indes in Bezug auf § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idF des FrÄG 2015 nicht der Fall (siehe abermals , Rn. 22), weshalb der darauf gegründete Schubhaftbescheid sowie dann weiter die auf diesem Bescheid basierende Anhaltung des Revisionswerbers keine taugliche Rechtsgrundlage hatten und daher in Stattgabe der erhobenen Schubhaftbeschwerde für rechtswidrig zu erklären gewesen wären.
16 Wie schon oben dargestellt (siehe Rn. 10), wurde § 76 Abs. 2 FPG mit dem FrÄG 2018 mit Wirksamkeit vom geändert. Diese Änderung diente insbesondere dem Ziel, den Haftgrund des Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL ("Ein Antragsteller darf (...) in Haft genommen werden, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist") im innerstaatlichen Recht zu implementieren. Außerdem sollten die Schubhaftgründe dem jeweiligen unionsrechtlichen Sekundärrecht (Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG der Aufnahme-RL, Z 2 dieser Bestimmung der Rückführungs-RL und deren Z 3 schließlich der "Dublin-Verordnung") zugeordnet werden. Im Einzelnen halten die ErläutRV (189 BlgNR 26. GP 18f) dazu - auszugsweise - fest:
"Durch die vorgeschlagene Änderung soll - außerhalb von ‚Dublin -Konstellationen' und außer dem in Abs. 6 genannten Fall - der Haftgrund des Art. 8 Abs. 3 lit. e Aufnahme-RL in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Zu diesem Zweck soll die vorgeschlagene Z 1 die Anordnung der Schubhaft gegen Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, dahingehend einschränken, dass neben Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende
Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ... als
zusätzliche Haftvoraussetzung vorliegen muss. Der Begriff der Gefährdung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung in Art. 8 Abs. 3 lit. e Aufnahme-RL setzt voraus, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr
vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt ... und
daher über die soziale Störung, die jedem Gesetzesverstoß innewohnt, hinausgeht. Dies entspricht dem in § 67 bzw. in Art. 27 Abs. 2 der RL 2004/38/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom ... definierten Gefährdungsmaßstab und geht daher über den Maßstab des § 53 hinaus. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VwGH zum Aufenthaltsverbot werden trotz des insoweit strengeren Maßstabs allerdings auch für die Auslegung des vorgeschlagenen Verweises auf § 67 sowohl die in § 53 Abs. 3 ... als auch die in Abs. 2 leg. cit. definierten Tatbestände ... sinngemäß herangezogen werden können.
Festzuhalten ist, dass der vorgeschlagene Abs. 2 Z 1 über die Vorgaben des Art. 8 Abs. 3 lit. e Aufnahme-RL insofern hinausgeht, als er neben einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zusätzlich das Vorliegen einer Fluchtgefahr voraussetzt. Dies ist verfassungsrechtlich geboten, weil Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit - PersFrG, BGBl. Nr. 684/1988 idF BGBl. I Nr. 2/2008, für die Schubhaft das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes im Hinblick auf eine beabsichtigte Ausweisung, der mit einer - wenn auch schwer wiegenden - Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht gleichzusetzen ist, voraussetzt, und ist dies auch unionsrechtlich zulässig, weil die Aufnahme-RL gemäß ihrem Erwägungsgrund 28 der Einführung günstigerer Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht entgegensteht. Festzuhalten ist außerdem, dass der vorgeschlagene Abs. 2 Z 1 die Anordnung der Schubhaft in ‚Dublin-Konstellationen', für die Z 3 einen eigenen Tatbestand vorsieht, unberührt lässt; insbesondere ist es in diesem Fall nicht erforderlich, dass von dem Aufenthalt des Fremden eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht.
Abgesehen von der Umsetzung des Art. 8 Abs. 3 lit. e Aufnahme-
RL nimmt die vorgeschlagene Änderung das ... zum Anlass, die
Schubhaftgründe übersichtlicher zu fassen und insoweit dem jeweils unterschiedlichen unionsrechtlichen Hintergrund besser Rechnung zu tragen. Die bisher ebenfalls in Z 1 behandelte Schubhaft zum Zweck der Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen sonstige, nicht in einem Asylverfahren befindliche Fremde, oder zur Sicherung der Abschiebung soll ohne inhaltliche Änderung in einer eigenen Ziffer (Z 2) behandelt werden. Anders als die Schubhaft nach der vorgeschlagenen Z 1 unterliegt diese den Vorgaben der Art. 15 ff Rückführungs-RL und umfasst auch ehemalige Asylwerber ... sowie Asylwerber, die bereits während des laufenden
Beschwerdeverfahrens weder faktischen Abschiebeschutz ... genießen
noch zum Aufenthalt ... berechtigt sind ...
Die Schubhaft in ‚Dublin-Konstellationen' ... wird ohne inhaltliche Änderung in der neuen Z 3 geregelt."
17 Vor diesem Hintergrund stellt sich der neue § 76 Abs. 2 Z 1 FPG als Umsetzung des Haftgrundes des Art. 8 Abs. 3 lit. e Aufnahme-RL - in seiner Ausprägung Erfordernis der Haft aus Gründen der öffentlichen Ordnung (siehe dazu mit Verweis auf J.N., C-601/15 PPU, zum wiederholten Mal , Rn. 24 f) - dar, sodass in dessen Rahmen nunmehr also (auch außerhalb von "Dublin-Konstellationen") Schubhaft grundsätzlich auch gegen Asylwerber mit Bleiberecht in Betracht kommt. Wie der Vollständigkeit halber anzumerken ist, darf eine auf den neugefassten § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gestützte Haft aus verfassungsrechtlichen Gründen (siehe dazu etwa Khakzadeh-Leiler, Art. 2 PersFrG, Art. 5 EMRK, in Kneihs/Lienbacher (Hg), Rill/Schäffer-Kommentar (22. Lfg 2019) Rz 87) nur dann verhängt werden, wenn das in dieser Bestimmung genannte zu sichernde Verfahren "über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme" auch in eine Abschiebung münden kann. Gleichwohl steht die Verfahrenssicherung im Vordergrund, was insbesondere im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten ist, wobei auch die Frage der voraussichtlichen Dauer des Asylverfahrens bzw. eines dem Asylwerber weiterhin zukommenden Bleiberechts (siehe dazu in einem Fall wie dem vorliegenden oben Rn. 13) mit einzubeziehen ist.
18 Schon im Schubhaftbescheid des BFA vom war ausgeführt worden, dass der Revisionswerber eine große Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Dem kam vor dem Hintergrund der in Umsetzung von Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL erst mit Wirksamkeit vom erfolgten Einführung des auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung bezugnehmenden Schubhafttatbestandes (§ 76 Abs. 2 Z 1 FPG idF des FrÄG 2018) nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (§ 76 Abs. 2a FPG) Relevanz zu. Im Fortsetzungsausspruch des BVwG vom hätte der neue Schubhafttatbestand zwar bereits herangezogen werden dürfen, was allerdings dem bekämpften Erkenntnis - ungeachtet der Zitierung der neuen Vorschrift bei Darstellung der Rechtsgrundlagen - nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnommen werden kann. Zwar konstatierte auch das BVwG, dass der Revisionswerber eine gravierende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, doch geschah dies zunächst und in erster Linie bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Schubhaftbescheides vom , daher mit Bezug auf - wie vom BVwG ausdrücklich betont - die im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides geltende Rechtslage nach dem FrÄG 2015. Bezüglich des Fortsetzungsausspruches wurde unter grundsätzlichem Verweis auf die vorangegangenen Überlegungen und ohne die Rechtsänderung durch das FrÄG 2018 auch nur anzudeuten dann aber ergänzend nur mehr - im Wesentlichen - mit einem verstärkten Sicherungsbedarf im Hinblick auf die bereits eingeleitete Rückführung des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat argumentiert, sodass sich - so das BVwG zusammenfassend - die fortgesetzte Anhaltung in Schubhaft "zum Zweck der Sicherung der Abschiebung" - der in § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idF des FrÄG 2018 festgehaltene Sicherungszweck wird gar nicht erwähnt - als notwendig und verhältnismäßig erweise.
19 Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, das BVwG habe seinen Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG auf den neuen § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gestützt und insbesondere eine diesem Schubhafttatbestand entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen (siehe oben Rn. 17). Vielmehr ist indiziert, es sei, wie ausdrücklich bei der Beurteilung des Schubhaftbescheides, ausgehend von der (unterstellten) Durchführbarkeit der Rückkehrentscheidung in Wahrheit § 76 Abs. 2 Z 1 FPG "alt" (nunmehr insoweit § 76 Abs. 2 Z 2 FPG "neu") als Grundlage herangezogen worden. Somit ist nicht nur die Abweisung der Schubhaftbeschwerde (siehe dazu Rn. 15), sondern auch der Fortsetzungsausspruch mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodass das angefochtene Erkenntnis zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
20 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210177.L00 |
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