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VwGH vom 20.03.2012, 2010/18/0257

VwGH vom 20.03.2012, 2010/18/0257

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des E M A in B, vertreten durch Maga. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/58.369/2010, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Aufhebung des gegen ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab.

Die belangte Behörde stellte dazu - soweit hier entscheidungsrelevant - fest, der Beschwerdeführer sei am in das Bundesgebiet gelangt und habe einen Asylantrag gestellt, der am (im Rechtsmittelweg) rechtskräftig abgewiesen worden sei. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde sei vom Verwaltungsgerichtshof abgewiesen worden.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom sei gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Diesem sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom gemäß § 15 StGB und § 28 Abs. 2 SMG rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden sei.

Bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auf die privaten und familiären Lebensumstände des Beschwerdeführers Bedacht genommen worden.

Dem gegenständlichen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes liege zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr in Österreich, sondern in Spanien aufhalte, wo er am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe. Diese habe - laut Vorbringen des Beschwerdeführers - ihre Freizügigkeit in Anspruch genommen und lebe mit ihm in Spanien. Er sei seit fünf Jahren nicht mehr straffällig geworden.

Unter Hinweis auf § 9 Abs. 1 und § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG führte die belangte Behörde zu dem Berufungsvorbringen, der Beschwerdeführer "sei Ehegatte eines die Freizügigkeit in Anspruch genommen habenden österreichischen Staatsbürgers" wörtlich aus:

"Der Berufungswerber vertritt offenbar die Auffassung, dass er aus de(m) Umstand, dass seine Gattin ihre Freizügigkeit in Spanien in Anspruch genommen habe und er ihr nachgereist sei, in Österreich begünstigter Drittstaatsangehöriger sei. Diese Ansicht erweist sich als unzutreffend. Die begünstigenden Bestimmungen über Einreise und Aufenthalt von EWR-Bürgern und deren Angehörige bestehen - wie sich unzweifelhaft aus der Richtlinie 2004/38/EG ergibt - immer nur in Bezug auf den 'Aufnahmemitgliedsstaat' im Sinn des Art. 2 Z. 3 der genannten Bestimmung. Ohne weiter darauf einzugehen (weil nicht aktenkundig) ob die Gattin des Berufungswerbers tatsächlich sämtliche Voraussetzungen (vgl. Art. 7 RL 2004/38/EG) erfüllt, um nicht nur in Spanien faktisch aufhältig zu sein, sondern ihre gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Niederlassungsfreiheit in Anspruch zu nehmen, mag der Berufungswerber allenfalls in Spanien begünstigter Drittstaatsangehöriger sein, in Bezug auf Österreich jedenfalls nicht. Österreich ist weder Aufnahmemitgliedsstaat noch liegt im gegenständlichen Zusammenhang ein grenzüberschreitendes, nach der Judikatur des EuGH dem Gemeinschaftsrecht zu unterstellendes Element vor, dass (richtig: das) den Berufungswerber in Österreich als begünstigten Drittstaatsangehörigen erscheinen lassen könnte. Solcherart ist - entgegen der offenbaren Rechtsansicht des Berufungswerbers - eine Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate nicht gegeben."

In weiterer Folge gelangte die belangte Behörde - unter Hinweis auf § 65 Abs. 1 FPG - zu der Auffassung, dass die im § 60 Abs. 1 FPG normierte Gefährdungsprognose nach wie vor aufrecht zu erhalten und der Fortbestand des Aufenthaltsverbotes auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

§ 2 Abs. 4 Z. 11 FPG (i.d.F. BGBl. I Nr. 135/2009) sowie § 9 Abs. 1 FPG lauten:

"§ 2. (4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

...

11. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte oder Verwandte des Ehegatten in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;

§ 9. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz."

Aus dem angefochtenen Bescheid geht hervor, dass der Beschwerdeführer nach Spanien gereist ist, wo er am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet hat und nunmehr mit dieser dort lebt. Laut Feststellungen im angefochtenen Bescheid wurde bereits in der Berufung vorgebracht, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe ihre Freizügigkeit in Anspruch genommen, weshalb der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als Berufungsbehörde zuständig sei. Laut Beschwerdevorbringen gehe die Ehefrau des Beschwerdeführers seit mehreren Jahren in Spanien einer Erwerbstätigkeit nach; nunmehr plane das Ehepaar, nach Österreich zurückzukehren.

Dazu vertrat die belangte Behörde die Auffassung, nicht näher prüfen zu müssen, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers "tatsächlich sämtliche Voraussetzungen (vgl. Art. 7 RL 2004/38/EG) erfüllt", weil der Beschwerdeführer allenfalls in Spanien begünstigter Drittstaatsangehöriger sein könne, nicht jedoch in Österreich. Österreich sei nämlich nicht "Aufnahmemitgliedsstaat" im Sinn der Richtlinie 2004/38/EG, im gegenständlichen Zusammenhang liege somit kein grenzüberschreitendes Element vor.

Damit unterliegt die belangte Behörde einem Rechtsirrtum. Hat die Ehefrau des Beschwerdeführers nämlich ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen, wäre der Beschwerdeführer auch in Österreich als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0077). Das für die Inanspruchnahme der Freizügigkeit zu fordernde grenzüberschreitende Element wäre verwirklicht, wenn die Ehefrau des Beschwerdeführers als österreichische Staatsbürgerin in einem anderen EU-Mitgliedstaat, nämlich Spanien, lebt und arbeitet. Im Übrigen würde die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, wonach sich ein Drittstaatsangehöriger nur im Aufnahmemitgliedstaat, nicht jedoch in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sein Ehegatte besitzt, auf sein Recht nach der Richtlinie 2004/38/EG berufen könnte, ein Hindernis für den freien Personenverkehr bedeuten; ein EU-Bürger könnte sich in diesem Fall davon abhalten lassen, seine Freizügigkeit in Anspruch zu nehmen, wenn er damit rechnen müsste, dass sich sein Ehegatte im Fall einer Rückkehr in den Heimatstaat des EU-Bürgers nicht auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen könnte.

Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG wäre für den Fall, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte, zur Entscheidung über seine Berufung gegen die erstinstanzliche Abweisung seines Antrags auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes der Unabhängige Verwaltungssenat Wien zuständig.

Dadurch, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage dazu keine Feststellungen dazu getroffen hat, belastet sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Kosten beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
SAAAE-80332