VwGH vom 20.10.2011, 2010/18/0254
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des SO in W, vertreten durch die NH Niederhuber - Hager Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wollzeile 24/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/58.319/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der im Instanzenzug (am ) abgewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer verfüge über keinen Aufenthaltstitel.
Laut eigenen Angaben in seiner Stellungnahme vom habe der Beschwerdeführer in Österreich keine Familienangehörigen oder Partnerinnen. Er habe mehrere Deutschkurse besucht und verkaufe den "Augustin". In einer weiteren Stellungnahme vom habe er seine Angaben dahingehend ergänzt, dass er am einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "beschränkt" eingebracht habe, sich in Österreich gut eingelebt habe und sowohl in sozialer als auch in beruflicher Hinsicht integriert sei. Seit 2003 arbeite er als Verkäufer der Zeitung "Augustin", sei Mitglied der "Christ-Love-Church", habe sich nichts zu Schulden kommen lassen und keinerlei Bezugspunkte mehr zu seinem Heimatland. Österreich bilde den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen; er lebe seit zwei Jahren in einer Beziehung mit einer Österreicherin, die ihn auch finanziell unterstütze.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung im Grunde des § 53 FPG seien gegeben, weil der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfüge. Mit der Ausweisung sei zwar von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser habe jedoch gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen und dadurch seine Missachtung fremdenrechtlich bedeutender Normen klar und eindeutig zu erkennen gegeben. Die aus der Dauer seines inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration sei in ihrem Gewicht dadurch entscheidend gemindert, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet nur auf Grund eines Asylantrages, der sich als unberechtigt erwiesen habe, vorläufig berechtigt gewesen sei und nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages unrechtmäßig sei. Der Beschwerdeführer habe sich seines unsicheren aufenthaltsrechtlichen Status bewusst sein müssen.
Den im Hinblick darauf stark relativierten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers stehe die durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt bewirkte erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme, gegenüber. Die angeführten persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich stellten - auch nach den in der Judikatur des EGMR dargestellten Kriterien - keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es dem Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels von Österreich auszureisen. Der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers erweise sich zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, als dringend geboten und zulässig im Sinn des § 66 FPG.
Unter den gegebenen Umständen sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet vom Inland aus zu legalisieren.
Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
II.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Beschwerdeführer am illegal nach Österreich eingereist ist, sein Asylantrag mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom rechtskräftig abgewiesen wurde und sich der Beschwerdeführer seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Im Hinblick darauf begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung und bringt dazu vor, unter Berücksichtigung der fortgeschrittenen Integration des Beschwerdeführers auf Grund der langen Aufenthaltsdauer, seiner Unbescholtenheit, der besonderen Intensität der Bindung an Österreich und der fehlenden Bindung an Nigeria, seiner guten Deutschkenntnisse, seines sozialen Umfeldes, der nunmehr dreijährigen Beziehung zu einer Österreicherin und seiner beruflichen Situation hätte die belangte Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers einen unzulässigen Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben darstelle.
Die belangte Behörde ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung gemäß § 66 FPG zutreffend von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ausgegangen. Die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers resultierenden persönlichen Interessen sind jedoch an Gewicht insoweit zu relativieren, als dieser Aufenthalt nur auf Grund eines Asylantrages, der in der Folge rechtskräftig abgewiesen wurde, erlaubt war und seither unrechtmäßig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0467, mwN). Da der Beschwerdeführer - eigenen Angaben in der Beschwerde zufolge - mit dem Verkauf der Obdachlosenzeitung "Augustin" monatlich rund EUR 400,-- verdient und auf die Versorgung durch die Caritas bzw. den Bund angewiesen ist, kann von einer Selbsterhaltungsfähigkeit nicht ausgegangen werden. Das Vorliegen einer im Verfahren vor der Niederlassungsbehörde zu seinen Gunsten abgegebenen Patenschaftserklärung vermag eine berufliche Integration im Bundesgebiet nicht zu ersetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0318). Auf bloße Pläne des Beschwerdeführers, eine Österreicherin zu heiraten, brauchte die belangte Behörde als künftigen und ungewissen Umstand bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zusätzlich Bedacht zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0557). Sie durfte auch berücksichtigen, dass die Bindungen des Beschwerdeführers zu einer Zeit entstanden sind, in der er nicht darauf vertrauen durfte, auf Dauer in Österreich bleiben zu können.
Die im vorliegenden Fall zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände sind in ihrer Gesamtheit betrachtet - selbst unter Berücksichtigung seiner Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin - nicht von einem solchen Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung des unverheirateten, kinderlosen und nicht selbsterhaltungsfähigen Beschwerdeführers begründen könnten. Auch seine Unbescholtenheit, seine Kenntnisse der deutschen Sprache und sein Engagement in der "Christ-Love-Church" fallen in diesem Zusammenhang nicht entscheidend ins Gewicht. Es trifft nämlich zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshof ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie der Beschwerdeführer - nach dem Ende ihres Rechts zum Aufenthalt unrechtmäßig im Bundesgebiet verbleiben, was nach dem Gesagten eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0557). Die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängel sind daher nicht berechtigt.
Bei dem Vorbringen, der Beschwerdeführer helfe hin und wieder bei der Caritas aus und sei ein aktives Mitglied der "National Association of Nigerian Community Austria", handelt es sich um eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG).
Dem Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer habe am einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) eingebracht, ist zu entgegnen, dass nach ständiger hg. Rechtsprechung auch derartige Anträge an der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG nichts zu ändern vermögen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0467, mwN). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist es auch nicht willkürlich, gegen ihn eine Ausweisung auszusprechen, obwohl - seiner Ansicht nach - "die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 NAG erfüllt" seien. Mit ähnlichen Einwänden hatte sich der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0214, zu befassen, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird.
Wenn die Beschwerde - mit Blick auf § 44 Abs. 5 letzter Satz NAG - vorbringt, eine Ausweisung (gemeint wohl:
Abschiebung, allenfalls auch freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet) vor Entscheidung des Niederlassungsverfahrens würde die Einstellung desselben nach sich ziehen, so ist dazu anzumerken, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 201/10-9, den in diesem Zusammenhang relevanten § 44 Abs. 5 letzten Satz NAG als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die diesbezügliche Anregung auf Einleitung eines Normprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof ist somit hinfällig.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde sei von einer unrichtigen Rechtslage, nämlich dass der Beschwerdeführer keine Möglichkeit habe, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, ausgegangen, ist ihr entgegenzuhalten, dass für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG die Möglichkeit einer künftigen Legalisierung des Aufenthaltes nicht entscheidungswesentlich ist. Dem in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmangel kommt somit keine Relevanz zu.
Auch der Beschwerdehinweis auf § 55 FPG ist nicht zielführend, weil der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, sondern nur über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Bestimmungen verfügt hat, die nach der ständigen hg. Judikatur nicht zu einer "Aufenthaltsverfestigung" führt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0305).
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht liegen auch keine besonderen Umstände vor, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen. Insbesondere ist hier nämlich auf das bereits erwähnte hg. Erkenntnis, Zl. 2010/21/0214, hinzuweisen, in dem ausführlich dargelegt wurde, weshalb trotz anhängigen Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG auch unter dem Gesichtspunkt des Ermessens keine Pflicht besteht, mit der Erlassung der Ausweisung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 4 NAG zuwarten zu müssen.
Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-80326