VwGH vom 20.10.2011, 2010/18/0253
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des SC, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/118033/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführer ein auf § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes, auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am im Wege der Österreichischen Botschaft Skopje einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gestellt. Diesen Antrag habe er auf die am in M erfolgte Eheschließung mit der österreichischen Staatsbürgerin G gestützt. Eine Entscheidung über diesen Antrag sei noch nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer halte sich noch im Kosovo auf.
Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges, des Inhaltes von Erhebungsberichten und der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen des FPG führte die belangte Behörde aus, das Eingehen einer Aufenthaltsehe rechtfertige die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 86 Abs. 1 FPG. Eine Aufenthaltsehe liege hier vor.
In ihrer Beweiswürdigung stellte die belangte Behörde darauf ab, dass sich der Beschwerdeführer und seine Ehefrau im Dezember 2006 kennengelernt und bereits nach wenigen Tagen, in denen sie sich mehrmals getroffen hätten, beschlossen hätten, sich vom jeweiligen bisherigen Ehepartner scheiden zu lassen und einander zu heiraten. Dies sei "in dieser Form jedenfalls schon sehr auffällig". Im Rahmen einer Befragung habe die Ehefrau im Jahr 2009 das genaue Datum der Hochzeit nicht nennen können und sich um ein ganzes Jahr "verschätzt". Zwischen dem Kennenlernen im Dezember 2006 und der Hochzeit im April 2008 hätten keine persönlichen Kontakte bestanden. Dieser "mehr als seltsame Zustand" habe auch nach der Hochzeit angedauert. Wäre "der Ehefrau wirklich etwas am" Beschwerdeführer "gelegen, läge also keine Scheinehe vor, hätte sie aus ihrer Liebe heraus Mittel und Wege gefunden, wenigstens im Besuchsweg zeitweise beim Ehemann zu sein". Es möge Zufall gewesen sein, dass im Rahmen einer Erhebung der frühere Ehemann der Ehefrau des Beschwerdeführers in deren Wohnung habe angetroffen werden können. Dem Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Einvernahme des früheren Ehemannes seiner Ehefrau sei nicht zu folgen gewesen, weil dem Vorbringen, dass der frühere Ehemann an der im Beweisantrag genannten Adresse wohne, keine grundsätzliche Unglaubwürdigkeit unterstellt werde. Eine Bestätigung dieses Umstandes würde dem Erhebungsbericht vom August 2009 nicht widersprechen, wonach der frühere Ehemann der Ehefrau des Beschwerdeführers die Zeit vor der Erhebung dort nicht wohnhaft gewesen sei. Dabei handle es sich nur um einen "kleinen Mosaikstein im Gesamtbild des Scheinehesachverhalts, das bzw. der auch ohne ihn deutlich erkennbar bliebe". Jedenfalls sei auf Grund einer polizeilichen Erhebung erwiesen, dass der frühere Ehemann der Ehefrau des Beschwerdeführers an seiner "Meldeadresse" überhaupt nicht aufhältig sei. Des Weiteren stellte die belangte Behörde Fragen zum Sachverhalt - unter anderem zu den oben angeführten Umständen betreffend die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau - in den Raum, die sie damit beantwortete, dass es im Einzelfall "nicht gänzlich ausgeschlossen werden" könnte, dass Zufälle vorlägen, "in Summe" seien "die 'Zufälle' aber mehr als auffällig".
Ausgehend von ihren beweiswürdigenden Überlegungen bejahte die belangte Behörde das Vorliegen einer Aufenthaltsehe sowie einer vom Beschwerdeführer ausgehenden nach § 86 Abs. 1 FPG maßgeblichen Gefährdung und führte im Weiteren noch aus, weshalb ihrer Ansicht nach auch gemäß § 66 FPG die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zulässig sei.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und führt ins Treffen, es sei nicht verwunderlich, dass er von Hausparteien im Wohnhaus seiner Ehefrau auf einem Lichtbild nicht erkannt worden sei, weil er sich noch im Kosovo aufhalte. Ebenso sei es "kein Wunder", dass die Hausparteien den früheren Ehemann seiner Ehefrau kennen, weil diese zwei gemeinsame Kinder hätten und der frühere Ehemann diese besuche. Im Übrigen habe er die Einvernahme des früheren Ehemannes seiner Ehefrau und eines weiteren namentlich genannten Zeugen zum Beweis dafür beantragt, dass der frühere Ehemann in seiner Wohnung in W (und nicht bei der Ehefrau des Beschwerdeführers) wohne. Diesem Antrag sei die belangte Behörde nicht nachgekommen. Auch rechtfertigten weder der Umstand, dass seine Ehefrau und seine frühere Ehefrau in M geboren seien, noch das Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau die Vermutung, dass eine Scheinehe vorliege. Es bestehe zwischen ihnen regelmäßiger telefonischer Kontakt.
Die Beschwerde ist berechtigt.
Wenngleich die belangte Behörde in ihrer Begründung ausführte, sie spreche dem früheren Ehemann die grundsätzliche Glaubwürdigkeit nicht ab, an der von ihm angegebenen Adresse zu wohnen, bezog sie sich erkennbar darauf, dass er dort erst seit der Zeit des Einlangens des Beweisantrages wohne. Darüber hinaus ergibt sich aus der Gesamtheit ihrer beweiswürdigenden Überlegungen, was sie aber unter Hinweis auf "fragwürdige Zufälle" zu verschleiern suchte, dass sie das Bestehen einer Aufenthaltsehe letztlich tragend auf das Ergebnis der polizeilichen Erhebungen an der Adresse der Ehefrau des Beschwerdeführers gründete. Demnach hätten die dortigen Hausparteien angegeben, an der hier in Betracht kommenden Adresse der Ehefrau des Beschwerdeführers wohne eine Familie, die aus einer Frau, einem Mann und zwei Kindern bestehe. Bei dem Mann handle es sich mit Sicherheit nicht um den Beschwerdeführer, sondern um den früheren Ehemann der Ehefrau des Beschwerdeführers. Anders als die belangte Behörde vor Augen hat, bezieht sich der Beweisantrag des Beschwerdeführers ganz offenkundig nicht bloß auf die Zeit nach der polizeilichen Erhebung, sondern auch auf die hier relevante Zeit davor, in der jene Erhebungen stattfanden, die die belangte Behörde letztlich ihren Überlegungen tragend zugrunde gelegt hat. Soweit die belangte Behörde in ihrer Begründung lediglich Fragen in den Raum stellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dieser Art der Begründung um eine dem Gesetz entsprechende Beweiswürdigung handelt. Der Hinweis, in Summe seien die "Zufälle" mehr als auffällig, vermag aber letztlich auch nicht darzulegen, von welchen Gegebenheiten die Behörde tatsächlich ausging, und wie sie diese im Rahmen ihrer Beweiswürdigung bewertete.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0823, mwN).
Vor dem Hintergrund des oben Gesagten, hätte die belangte Behörde in Beachtung dieser Judikatur dem zitierten Beweisantrag des Beschwerdeführers entsprechen müssen. Die Unterlassung der Vernehmung der beantragten Zeugen stellt fallbezogen einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dem Relevanz zukommt, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Zutreffen des Vorbringens des Beschwerdeführers, zu dessen Beweis die Zeugen angeführt wurden, zu einer anderen Beurteilung hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf die Erstattung von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese im in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalsatz bereits enthalten ist.
Wien, am
Fundstelle(n):
TAAAE-80323