VwGH vom 13.11.2018, Ra 2018/21/0137
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des A Y, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I406 1431803- 2/6E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer fremdenpolizeilichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom vollumfänglich abgewiesen; gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen. Mit Bescheid des BFA vom wurde insbesondere ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei, und gemäß § 53 Abs. 2 Z 6 FPG ein vierjähriges Einreiseverbot verhängt.
2 Dieser Bescheid wurde nach einem erfolglosen Zustellversuch vom an der Meldeadresse des Revisionswerbers schließlich am gemäß § 17 ZustG bei der Post hinterlegt. Am wurde die Sendung als nicht behoben retourniert.
3 Mit Bescheid des BFA vom wurde über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. In seiner gegen diesen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhobenen Beschwerde machte er insbesondere geltend, dass ihm der Bescheid vom nicht wirksam zugestellt worden sei. Dieses Vorbringen wiederholte er in seiner Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , mit dem dieses u. a. gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festgestellt hatte, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Anhaltung in Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2018/21/0064).
4 Daraufhin wurde dem Revisionswerber der Bescheid vom am persönlich ausgefolgt.
5 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom Beschwerde. Zu deren Rechtzeitigkeit führte er aus, dass die Zustellung durch Hinterlegung am unwirksam gewesen sei, weil er an seiner Meldeadresse bereits ab Juli 2017 nicht mehr gewohnt habe. Dies habe sich aus der Aktenlage unzweifelhaft ergeben. Er sei zu keinem Zeitpunkt (etwa bei behördlichen Ermittlungen am 15. und sowie am ) an der Adresse angetroffen worden, und auch die frühere Lebensgefährtin des Revisionswerbers habe angegeben, dass er dort nicht mehr wohne. Das BFA hätte daher vor diesem Hintergrund bei der Anordnung der Zustellung an der Meldeadresse nicht davon ausgehen dürfen, dass er an der angeführten Adresse noch über eine Abgabestelle verfüge.
6 Über Verspätungsvorhalt des Bundesverwaltungsgerichts wiederholte der Revisionswerber das Vorbringen, dass die Zustellung durch Hinterlegung mangels Vorliegens einer Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG unwirksam gewesen sei. Die Einbringung der Beschwerde sei rechtzeitig gewesen, weil die Zustellung des Bescheides des BFA erst mit persönlicher Ausfolgung am bewirkt worden sei.
7 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als verspätet zurück. Begründend führte es aus, dass von einer ordnungsgemäßen Zustellung des Bescheides des BFA vom durch Hinterlegung am auszugehen sei. Dies ergebe sich daraus, dass am Rückschein als Beginn der Abholfrist dieses Datum vermerkt sei. Beim Rückschein handle es sich um eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG iVm § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit für sich habe. Diese Vermutung sei widerlegbar, wobei die Behauptung der Unrichtigkeit des Beurkundeten entsprechend zu begründen sei und Beweise anzuführen seien, die geeignet seien, die Vermutung zu widerlegen. Ein entsprechendes Vorbringen sei weder in der Beschwerde noch in der Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt erhoben worden. In seiner rechtlichen Beurteilung wies das Bundesverwaltungsgericht außerdem darauf hin, dass der Revisionswerber anlässlich seiner Erstbefragung im Asylverfahren ausführlich über die Relevanz einer aktuellen Zustelladresse belehrt worden sei, sodass ihm die bestehende Verpflichtung, eine Änderung seiner Abgabestelle unverzüglich mitzuteilen, bewusst gewesen sein müsse. Eine rechtswirksame Zustellung müsse nicht tatsächlich Kenntnis verschaffen. Die Abgabestelle ändere nur der, der sie dauernd verlege bzw. dauerhaft etwa wegen Obdachlosigkeit aufgebe. Infolge der vom Revisionswerber unterlassenen Mitteilung über die Änderung bzw. Aufgabe seiner Abgabestelle sei der Bescheid vom an der zu diesem Zeitpunkt aufrechten Meldeadresse mittels Hinterlegung bei der "Zustellbasis" der Wohnsitzadresse am vorgenommen worden, wodurch der Beginn der vierwöchigen Beschwerdefrist ausgelöst worden sei, die somit am geendet habe. Die mit Schriftsatz vom eingebrachte Beschwerde sei daher verspätet.
8 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Über die gegen diesen Beschluss erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es von einer rechtswirksamen Zustellung des Bescheides des BFA vom durch Hinterlegung am ausgegangen sei.
10 Dies trifft zu, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.
11 Gemäß § 2 Z 4 ZustG stellt (u.a.) die Wohnung eine Abgabestelle dar, an der ein Dokument gemäß § 13 Abs. 1 ZustG dem Empfänger zugestellt werden darf. Unter einer Wohnung im genannten Sinn ist jede Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also tatsächlich wohnt. Der dazu erforderliche regelmäßige Aufenthalt des Empfängers in seiner Wohnung ist dabei nach objektiven Gesichtspunkten ex post und ohne Rücksicht darauf zu beurteilen, wie sich die Verhältnisse dem Zustellorgan seinerzeit subjektiv geboten haben sowie ohne Rücksicht auf die Absichten des Empfängers. Die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle geht (erst) verloren, wenn die Nahebeziehung des Empfängers zu ihm auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum erlischt, dass nach den Gepflogenheiten des Lebens das Warten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar ist (vgl. etwa , mwN).
12 Die (versuchte) Zustellung des Bescheides des BFA vom ist an die Adresse der früheren Lebensgefährtin des Revisionswerbers erfolgt, an der er noch bis zum gemeldet war. Der Revisionswerber hat in der Beschwerde allerdings vorgebracht, dass er dort seit Juli 2017 nicht mehr gewohnt habe. Dies deckt sich im Wesentlichen mit einem - ebenfalls in der Beschwerde angesprochenen - polizeilichen Erhebungsbericht an das BFA vom September 2017, wonach sich der Revisionswerber an seiner Meldeadresse nicht mehr aufhalte, sondern (nach den Angaben seiner früheren Lebensgefährtin) schon ca. drei Monate zuvor nach Italien verzogen sei.
13 Angesichts dessen kann überhaupt keine Rede davon sein, dass der Revisionswerber kein geeignetes Vorbringen gegen die Richtigkeit der sich aus dem Rückschein ergebenden Vermutung einer vorschriftsmäßig erfolgten Zustellung erstattet hätte (vgl. zu dieser Vermutung etwa , mwN). Vielmehr hat er substantiiert dargelegt, dass er zum Zeitpunkt des Zustellversuchs am und der Hinterlegung am den regelmäßigen Aufenthalt an seiner Meldeadresse aufgegeben hatte und die betreffende Wohnung daher nicht mehr als Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG in Betracht kam (vgl. zur bloßen Indizwirkung von Eintragungen im Zentralen Melderegister ).
14 Nach § 8 Abs. 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs. 2 ZustG, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.
15 Diese Regelung hatte das Bundesverwaltungsgericht offenbar im Auge, soweit es darauf verwies, dass der Revisionswerber eine Änderung seiner Abgabestelle unverzüglich mitzuteilen gehabt hätte. Für die Anordnung oder Vornahme einer Zustellung iSd § 8 Abs. 2 (iVm § 23) ZustG gibt es im vorliegenden Fall aber anhand der vorgelegten Akten keinerlei Hinweise (vgl. zu einem solchen Fall auch das bereits genannte Erkenntnis ).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zwar auch schon ausgesprochen, dass die Partei mit der Unterlassung der ihr obliegenden Mitteilung der Änderung der Abgabestelle die Gefahr trägt, dass die Behörde diese Änderung nicht erkennen und die Zustellung an der bisherigen Abgabestelle bewirkt werden kann, gleichgültig, wo sich die Partei tatsächlich aufgehalten hat und welche Abgabestelle für sie zu diesem Zeitpunkt sonst in Betracht gekommen wäre (vgl. etwa , mwN). Diese auch vom Obersten Gerichtshof übernommene Rechtsprechung betrifft allerdings nur jene Fälle, in denen die Behörde bzw. das Gericht von der Änderung bzw. Aufgabe der Abgabestelle keine Kenntnis erlangt und sich daher zu Nachforschungen über die Abgabestelle des Empfängers iSd § 8 Abs. 2 ZustG von vornherein nicht veranlasst sehen kann (vgl. ). Im vorliegenden Fall ist demgegenüber in den Verwaltungsakten dokumentiert, dass das BFA von sich aus Zweifel am Weiterbestehen der Abgabestelle hegte; dies hätte - obwohl der Rückschein nur den für sich genommen auf keine Aufgabe der Abgabestelle hinweisenden Vermerk "nicht behoben" enthielt - zu weiteren Nachforschungen und gegebenenfalls - mangels ohne Schwierigkeiten feststellbarer neuer Abgabestelle - zu einer Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG führen müssen.
17 Das Bundesverwaltungsgericht durfte daher - jedenfalls ohne nähere Auseinandersetzung mit den Angaben des Revisionswerbers hinsichtlich der Aufgabe seiner Wohnung - nicht von einer rechtswirksamen Zustellung des Bescheides des BFA vom durch Hinterlegung am und darauf gegründet von der Verspätung der Beschwerde ausgehen.
18 Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannt hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210137.L00 |
Schlagworte: | Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 |
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