VwGH vom 16.05.2019, Ra 2018/21/0122
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der A L L (laut Revision richtig: R I L) in W, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W171 2193914-2/7E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A.I. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Spruch
Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben und es werden die Spruchpunkte A.II. und A.IV. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte nach ihrer Einreise am einen Antrag auf internationalen Schutz, der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom zur Gänze abgewiesen wurde. Unter einem erging gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung samt der Feststellung der Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Nigeria. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
2 Die Revisionswerberin wurde sodann am im Zuge einer Polizeiintervention festgenommen. Nach ihrer Einvernahme am nächsten Tag ordnete das BFA mit Mandatsbescheid vom über die Revisionswerberin gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 AVG Schubhaft zur Sicherung ihrer Abschiebung an.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 (gemeint: Z 1) FPG stellte das BVwG des Weiteren fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Demzufolge wies es dann gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG den Antrag der Revisionswerberin auf Kostenersatz ab (Spruchpunkt A.III.) und verpflichtete sie zum Aufwandersatz an den Bund (Spruchpunkt A.IV.). Schließlich sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:
5 Die Revision ist nur teilweise zulässig, insofern aber auch berechtigt:
6 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (au��erordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
7 Das BVwG stellte in Bezug auf die der Entscheidung unter Spruchpunkt A.I. seines Erkenntnisses zugrundeliegende Annahme des Vorliegens von Fluchtgefahr fest, die Revisionswerberin, gegen die eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestehe, sei in der Vergangenheit für die Behörde nicht greifbar gewesen. Sie halte sich nicht regelmäßig an ihrer Meldeadresse auf und habe keinen gesicherten Wohnsitz in Österreich. Die Revisionswerberin sei nicht rückkehrwillig und nicht kooperativ. Sie verfüge über keine ausreichenden finanziellen Mittel und habe keinen nennenswerten sozialen Anschluss in Österreich.
Beweiswürdigend verwies das BVwG dazu auf die Aussage der Revisionswerberin vor dem BFA. Daraus ergebe sich, dass sie offenbar überwiegend an einer Adresse in Wien 15 unangemeldet wohnhaft gewesen sei, während die Meldeadresse, an der sie für die Behörde nicht erreichbar gewesen sei, keinen "faktischen Wohnsitz" dargestellt habe. An der fehlenden Rückreisewilligkeit und an der fehlenden Kooperationsbereitschaft bestehe kein Zweifel, weil die Revisionswerberin - anstatt (nach Besorgung der notwendigen Dokumente) ihrer Verpflichtung zur Ausreise aus Eigenem nachzukommen - untergetaucht sei.
Daraus folgerte das BVwG rechtlich, das BFA sei zutreffend von der Verwirklichung der Tatbestände der Z 1, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG ausgegangen. Auch für das BVwG begründe das in seiner Gesamtheit eine die Schubhaft rechtfertigende ausreichende Fluchtgefahr. Auf diese Erwägungen, die mangels Änderung der Umstände "aufgrund ihrer Aktualität und ihres Zukunftsbezuges" auch für den Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG maßgeblich seien, verwies das BVwG dann auch bei der Begründung des Spruchpunktes A.II. des angefochtenen Erkenntnisses. 8 In diesem Zusammenhang wird in der Revision unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit nach Art. 133 Abs. 4 B-VG bemängelt, es fehle eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Revisionswerberin "bezüglich ihrer Situation als Opfer von Menschenhandel". Damit wird auf das Vorbringen in der am eingebrachten Schubhaftbeschwerde Bezug genommen, die Revisionswerberin halte sich vor ihrer "Madam", bei der sie Schulden habe und von der sie bedroht werde, versteckt. Das erkläre ihre "widersprüchlichen" Angaben vor dem BFA zu ihrer Wohnsituation. Sie sei willens, bei Gewährung von entsprechendem Schutz, mit der Polizei zu kooperieren. Zur Klärung (u.a.) dieser Fragen hätte es der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung bedurft.
9 Diese Einwände treffen zwar zu, sind aber - da sie auf dem in diesem Verfahren erstmals in der Beschwerde erstatteten Vorbringen basieren - von vornherein nur geeignet, den mit Spruchpunkt A.II. vorgenommenen Ausspruch über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft in Frage zu stellen. In Bezug auf die Beschwerdeabweisung mit Spruchpunkt A.I. war es nur Aufgabe des BVwG, diesen Bescheid - und in weiterer Folge die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft - einer nachträglichen Kontrolle zu unterziehen. Im Rahmen dieser Überprüfung war die Rechtmäßigkeit des konkret erlassenen Bescheides zu beurteilen; es war also zu klären, ob es am aus damaliger Sicht rechtens war, über die Revisionswerberin Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zu dem genannten Sicherungszweck zu verhängen und diese Schubhaft bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG aufrecht zu erhalten (vgl. , Rn. 13, mwN). Das bedeutet, dass neues Vorbringen in der Schubhaftbeschwerde - auch unter dem Aspekt Verhandlungspflicht - nur insoweit von Bedeutung sein konnte, als es eine mögliche Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und der darauf gegründeten Anhaltung aufzuzeigen vermochte (vgl. sinngemäß , Rn. 14). Das war aber gegenständlich nicht der Fall. Gründe für die Zulässigkeit der Revision, die sich - wie erwähnt - nur auf das (neue) Beschwerdevorbringen bezieht, werden somit betreffend Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses nicht dargetan. Im Übrigen erweist sich die vom BVwG bestätigte Annahme von Fluchtgefahr durch das BFA jedenfalls als vertretbar, was insoweit der Zulässigkeit der Revision ebenfalls entgegensteht (vgl. , Rn. 12, mwN). 10 In der Revision wird im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung zwar auch noch gerügt, das BVwG habe unbeachtet gelassen, dass die Revisionswerberin in der Beschwerde den Wunsch zum Ausdruck gebracht habe, einen Asylfolgeantrag zu stellen. Weder das BFA noch das BVwG hätten "jemals dieses Begehren aufgegriffen und ein diesbezügliches Verfahren eingeleitet".
Dafür bestand - für das BVwG - aber kein ausreichender Anlass, wurde doch in der Beschwerde nur vorgetragen, die Revisionswerberin habe am - dem Tag vor der Beschwerdeeinbringung - "den Wunsch geäußert, einen Folgeantrag zu stellen und diesmal die Wahrheit über ihr Leben und Schicksal zu erzählen". "Jedenfalls" sei - so heißt es dazu weiter - "die Behörde" darüber "per Fax" informiert worden, dass die Revisionswerberin "einen Folgeantrag zu stellen wünscht". Vor diesem Hintergrund musste das BVwG aber ohne diesbezügliche weitere Verständigung nicht davon ausgehen, dass noch vor seiner Entscheidung von der Revisionswerberin während der Anhaltung in Schubhaft ein deren Zulässigkeit entgegenstehender Asylfolgeantrag (vgl. dazu etwa , Rn. 8, mwN) iSd § 17 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt worden war. Das wird so in der Revision im Übrigen auch nicht geltend gemacht.
11 Angesichts dessen war die Revision, soweit sie Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses bekämpft, mangels Vorliegens einer im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzlichen Rechtsfrage gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Das gilt auch insoweit, als sich die Revision gegen die Abweisung des Kostenersatzbegehrens der Revisionswerberin mit Spruchpunkt A.IV. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, weil nunmehr feststeht, dass sie im Verfahren vor dem BVwG nicht (mehr) zur Gänze obsiegen kann (vgl. zum Aufwandersatzanspruch im Schubhaftbeschwerdeverfahren nur bei vollständigem Obsiegen etwa , Rn. 5, mwN).
12 Beim Ausspruch nach § 22a Abs. 3 FPG in Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses hatte das BVwG die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen, und zwar unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft. Insoweit ist das BVwG "ermächtigt", auf Basis der aktuellen Sach- und Rechtslage "in der Sache" zu entscheiden (vgl. neuerlich , Rn. 15, mwN). Demzufolge hätte das BVwG das Vorbringen in der Beschwerde zur Verfolgung der Revisionswerberin als Opfer von Menschenhandel durch ihre "Madam" nicht unbeachtet lassen dürfen, waren die vorgebrachten Umstände im Falle ihres Zutreffens insgesamt doch geeignet, einerseits das Vorliegen von Fluchtgefahr trotz Verwirklichung einzelner Tatbestände des § 76 Abs. 3 FPG zu relativieren und andererseits die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft zu bezweifeln. Daran ändert für sich genommen noch nichts, dass das BVwG der Stellungnahme des BFA vom folgend noch zugrunde legte, von der nigerianischen Botschaftsdelegation sei am - so die Revisionswerberin nicht binnen vierzehn Tagen freiwillig ausreise - die Ausstellung eines Heimreisezertifikates in Aussicht gestellt worden und sie könne danach am abgeschoben werden. Vor diesem Hintergrund durfte die belangte Behörde aber auch nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen und die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung für entbehrlich halten.
13 Das hat das BVwG außer Acht gelassen und seine Entscheidung dadurch mit relevanten Verfahrensfehlern belastet, sodass das angefochtene Erkenntnis in seinem Spruchpunkt A.II. (samt der gegenüber der Revisionswerberin erfolgten Auferlegung von Aufwandersatz mit Spruchpunkt A.IV.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat - aufzuheben war.
14 Zur Vollständigkeit sei im Übrigen noch angemerkt, dass sich die Revisionswerberin der im Kopf des angefochtenen Erkenntnisses angeführten Aliasidentität (Loveth LAWRENCE, geboren am bzw. am ) der Aktenlage zufolge nie bedient hat. Vielmehr hat sich die Genannte zur Legitimation bei ihrer der anschließenden Schubhaft vorangegangen Festnahme am mit der Asylkarte der Revisionswerberin ausgewiesen, was allerdings im weiteren Verfahren ohnehin aufgeklärt wurde. Die Feststellungen unter Punkt I.1.2. bis I.2.4. des angefochtenen Erkenntnisses betreffen daher nicht die Revisionswerberin, sondern Loveth LAWRENCE. Diese Aktenwidrigkeit macht die Revision der Sache nach zwar zutreffend geltend, sie war aber für die Entscheidung des BVwG letztlich ohne Einfluss. Die aufgezeigten Umstände werden jedoch im weiteren Verfahren zu beachten sein.
15 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die § 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-AufwErsV. Das Mehrbegehren auf gesonderten - über den dort genannten Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand hinausgehenden - Zuspruch von Umsatzsteuer und auf Ersatz einer WEB-ERV-Gebühr hat in der genannten Verordnung keine Deckung und war daher abzuweisen (vgl. etwa , Rn. 15; siehe aus der letzten Zeit auch , Rn. 3).
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210122.L00 |
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