VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111

VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Eraslan, über die Revision des O O in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W171 2184534- 3/5E, betreffend Zurückweisung einer Schubhaftbeschwerde (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit sogleich in Vollzug gesetztem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wurde gegenüber dem Revisionswerber, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Nigeria, gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

2 Gegen diesen Bescheid und die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft erhob der Revisionswerber Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG.

3 Die Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom (zugestellt am ) als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen.

4 Mit Erkenntnis vom stellte das Bundesverwaltungsgericht - im Hinblick auf das Überschreiten einer viermonatigen Haftdauer nach dem - gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei.

5 Am erhob der Revisionswerber Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG gegen die "andauernde, nunmehr auf das Erkenntnis vom gestützte Haft" und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge die Schubhaft ab Zustellung des Erkenntnisses vom , in eventu ab Erreichen von drei Monaten ab der (in der Schubhaft erfolgten) Asylantragstellung, in eventu ab Zustellung des Erkenntnisses vom für rechtswidrig erklären.

6 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unzulässig zurück und verpflichtete den Revisionswerber zum Aufwandersatz.

7 Begründend führte es aus, dass das Erkenntnis vom dem Revisionswerber am zugestellt worden sei. Die formelle Rechtskraft dieses Erkenntnisses trete erst nach Ablauf der gesetzlich normierten Frist zur Erhebung einer Revision ein. Diese sechswöchige Frist sei zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde noch offen gewesen. Das "Beschwerdeverfahren aufgrund der Entscheidung nach § 22a Abs. 4 BFA-VG" sei daher noch nicht abgeschlossen gewesen. Der Erhebung einer weiteren Beschwerde gegen eben diese Schubhaft sei die Gerichtsanhängigkeit entgegengestanden, sodass sie "wegen Unzulässigkeit" zurückzuweisen sei.

8 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Über die gegen diesen Beschluss erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie die Revision aufzeigt - mit der Zurückweisung der Beschwerde von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

10 Vorauszuschicken ist, dass Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte mit ihrer Erlassung (formell und materiell) rechtskräftig werden (vgl. etwa , Pkt. C.2., mwN) und damit das ihnen jeweils zugrundeliegende Beschwerdeverfahren beendet ist. Dass noch die Frist zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof offen ist, ändert daran nichts.

11 Zur mehrmaligen Erhebung von Schubhaftbeschwerden nach § 83 FPG in der Fassung vor dem FNG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass nur dann von entschiedener Sache ausgegangen werden kann, wenn sich die spätere Beschwerde auf einen Zeitraum bezieht, über den bereits durch einen Bescheid abgesprochen wurde. Der - (nur) einen neuen Titelbescheid darstellende - Ausspruch des unabhängigen Verwaltungssenates nach § 83 Abs. 4 FPG, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, begründet im Verhältnis zu einer sich auf den danach liegenden Zeitraum beziehenden Schubhaftbeschwerde nicht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (vgl. etwa , mwN).

12 Diese Rechtsprechung ist auf die Schubhaftbeschwerde nach § 22a BFA-VG und den Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG zu übertragen. Es kann also nur dann von entschiedener Sache ausgegangen werden, wenn sich die spätere Beschwerde auf einen Zeitraum bezieht, über den bereits durch einen rechtskräftigen Bescheid oder ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgesprochen wurde. Dies gilt nicht für den Zeitraum, der nach dem - einen neuen Hafttitel darstellenden - Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts nach § 22a Abs. 3 BFA-VG liegt.

13 Im vorliegenden Fall wurde mit dem - die erste Schubhaftbeschwerde abweisenden - Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom über den Zeitraum ab der Schubhaftverhängung bis zum (Datum der Zustellung des Erkenntnisses) abgesprochen; weiters wurde - wie dargestellt - mit diesem Erkenntnis gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen. Einer Überprüfung des von der nunmehr zu beurteilenden Schubhaftbeschwerde ausdrücklich angesprochenen Zeitraums ab Zustellung des Erkenntnisses vom steht dieses Erkenntnis nicht entgegen.

14 Was das gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangene Erkenntnis vom betrifft, so wurde damit entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt wird, nicht entgegen.

15 Die gegenständliche Schubhaftbeschwerde des Revisionswerbers war demnach zulässig und hätte nicht zurückgewiesen werden dürfen.

16 Der angefochtene Beschluss war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210111.L00.1
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete Zurückweisung wegen entschiedener Sache Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

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