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VwGH vom 03.07.2018, Ra 2018/21/0081

VwGH vom 03.07.2018, Ra 2018/21/0081

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des J L in W, vertreten durch Dr. Stella Spitzer-Härting, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. G313 2186775- 1/2E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein 1981 geborener tschechischer Staatsangehöriger, reiste gemeinsam mit seinen Eltern etwa im Jahr 1989 nach Österreich ein, wo er sich seither großteils aufhält. Er leidet an mehreren psychischen und internen Erkrankungen, darunter an paranoider Schizophrenie, einer Verhaltens- und Persönlichkeitsstörung, HIV, einer Hepatitis C-Infektion und Suchterkrankungen (Alkoholmissbrauch sowie multipler Substanzmittelmissbrauch). Ihm wurden Sachwalter, zuletzt zur "Vertretung vor Gerichten, Behörden, Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern, Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten und finanziellen Angelegenheiten" bestellt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein über ihn gemäß § 67 Abs. 1 erster bis fünfter Satz und Abs. 2 FPG verhängtes, auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG erteilte es einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Begründend verwies das BVwG (wörtlich) auf folgende rechtskräftige Verurteilungen des Revisionswerbers durch inländische Strafgerichte:

"1. Urteil von 1997 wegen als Jugendstraftäter versuchten

gewerteten Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von

sechs Monaten bedingt ... bedingte Strafnachsicht im Jahr 2002

widerrufen ...

2. Urteil von 1998 wegen als Jugendstraftäter versuchten

Diebstahls zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen ...

3. Urteil von 2002 wegen versuchter Sachbeschädigung zu

einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ...

4. Urteil von 2002 wegen Einbruchsdiebstahls und

Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ...

5. Urteil von 2005 wegen versuchten Diebstahls zu einer

Geldstrafe von 100 Tagessätzen ...

6. Urteil von 2005 wegen Betruges, versuchter

Sachbeschädigung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von

vier Monaten ...

7. Urteil von 2006 wegen versuchten Diebstahls und

versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer

Freiheitsstrafe von sieben Monaten ...

8. Urteil von 2008 wegen versuchten Widerstands gegen die

Staatsgewalt, schwerer Körperverletzung und versuchten

Einbruchsdiebstahls, mit

9. Urteil von 2010 wegen versuchten Diebstahls,

Körperverletzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz, mit

10. Urteil von 2011 wegen versuchten gewerbsmäßigen

Einbruchsdiebstahls und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer

Freiheitsstrafe von 18 Monaten ...

11. Urteil von 2013 wegen versuchten Diebstahls und

versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer

Freiheitsstrafe von 20 Monaten ...

12. Urteil von 2013 wegen Körperverletzung, wobei ... keine

Zusatzstrafe mehr verhängt worden ist ...

13. Urteil von 2015 wegen versuchten gewerbsmäßigen

Einbruchsdiebstahls, Körperverletzung, gefährlicher Drohung, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Entfremdung unbarer Zahlungsmittel zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate Freiheitsstrafe bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, wobei der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe am vollzogen wurde."

Dazu komme, dass dem Revisionswerber der "dringende Verdacht" der Begehung des Vergehens der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der versuchten Körperverletzung zur Last gelegt worden sei. Im August 2017 habe die zuständige Staatsanwaltschaft dazu ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten eingeholt, das zur Diagnose "Paranoide Schizophrenie F 20.0, Psychische- und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch, Abhängigkeitssyndrom F 19.2., Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol F 10.2" gelangt sei. Infolge dessen sei der Revisionswerber für nicht zurechnungsfähig gehalten worden, die Staatsanwaltschaft habe die ihm zur Last gelegten Delikte gegen die sexuelle Integrität nicht weiter verfolgt. Vielmehr sei eine stationäre Behandlung des Revisionswerbers in einer näher bezeichneten psychiatrischen Abteilung einer Krankenanstalt erfolgt, wo er auch danach "im Sinne des Unterbringungsgesetzes aufhältig war". Abgesehen davon sei der Revisionswerber "im Zeitraum von 2009 bis 2011 auch einmal kurze Zeit lang in einer psychiatrischen Abteilung in Tschechien untergebracht (worden,) nachdem (er) von der Polizei aufgegriffen worden war, als er im Zug eingeschlafen war."

Der Revisionswerber sei im Bundesgebiet ab dem Jahr 1998 - mit Unterbrechungen - mehreren Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Nach Zeiten an Arbeitslosigkeit und Bezug eines Pensionsvorschusses habe er "zum " Anspruch auf Invaliditätspension zuzüglich Ausgleichszulage; Pflegegeld könne er "weiterhin auch in Tschechien beziehen".

In Österreich lebten seine Eltern und seine Schwester, in Tschechien dagegen eine Tante, ein Onkel, Cousinen und Cousins. Allerdings habe der Revisionswerber zu seinen Angehörigen insgesamt keinen Kontakt. Auch ansonsten bestünden keine Sozialkontakte. Seine Kenntnisse der tschechischen Sprache beliefen sich auf "einzelne Worte" bzw. "lediglich Brocken".

4 Rechtlich bejahte das BVwG auf Basis dieser Feststellungen ein hohes Risiko für die Begehung weiterer Gewalthandlungen gegen Personen durch den Revisionswerber und damit den Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 erster bis fünfter Satz FPG. Obgleich er bereits das Recht zum Daueraufenthalt erworben habe, schlage die Interessenabwägung zu seinem Nachteil aus. Seine erwähnten Erkrankungen könnten in der tschechischen Republik behandelt werden, wo auch eine Übernahme seiner in Österreich bestehenden Sachwalterschaft möglich sei. Ebenso könnten die - nicht ausgeprägten - privaten und familiären Kontakte kein anderes Ergebnis begründen.

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - in dessen Rahmen haben sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sowie der Revisionswerber schriftlich geäußert, Revisionsbeantwortungen wurden hingegen nicht erstattet - erwogen hat:

Die Revision erweist sich - wie in ihrer Zulassungsbegründung im Ergebnis zutreffend aufgezeigt wird - schon deshalb als zulässig und berechtigt, weil das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es keine näheren Feststellungen zu den vom Revisionswerber begangenen Straftaten getroffen, für die Interessenabwägung maßgebliche Umstände nicht geprüft und ohne tragfähige Begründung von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

6 Beim Revisionswerber handelt es sich, soweit dies den dazu bislang getroffenen Feststellungen (so insbesondere, er sei "im Zeitraum von 2009 bis 2011 auch einmal kurze Zeit lang in einer psychiatrischen Abteilung in Tschechien untergebracht" worden) entnommen werden kann, um einen seit 1989 im Wesentlichen kontinuierlich in Österreich lebenden Unionsbürger. Gegen einen solchen ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur nach Maßgabe des § 67 Abs. 1 FPG zulässig, der Folgendes anordnet:

"Aufenthaltsverbot

§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. ..."

Die Erläuterungen zur insoweit inhaltsgleichen Bestimmung des § 86 FPG in der Stammfassung des BGBl. I Nr. 100/2005 (RV 952 BlgNR 22. GP 106) lauten auszugsweise:

"Die Änderungen des Abs. 1 sind im Wesentlichen auf die Artikel 27 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 Z a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zurückzuführen. Danach werden die Mitgliedstaaten ermächtigt, die Freizügigkeit eines Unionsbürgers und seiner Familienangehörigen im Sinne der Richtlinie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu beschränken. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit zu wahren und ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen abzustellen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. ..."

Die angesprochenen Art. 27 und 28 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (Freizügigkeits-RL) enthalten (auszugsweise) folgende Anordnungen:

"Artikel 27

Allgemeine Grundsätze

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

(3) ... (4) ...

Artikel 28

Schutz vor Ausweisung

(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.

(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt

werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden

Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten

festgelegt wurden, wenn sie

a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im

Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b) ..."

7 Entgegen der Revision verlangt § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG sowohl nach seinem Wortlaut, als auch nach den (damit umgesetzten, eben genannten) Bestimmungen der Freizügigkeits-RL kein dem Fremden subjektiv vorwerfbares persönliches Fehlverhalten. Maßgeblich sind vielmehr Aspekte einer von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

8 Eine solche Gefährdung kann somit grundsätzlich auch bei Vorliegen einer psychischen Behinderung bejaht werden, wenn nicht etwa eine Behandlung und Medikation Gewähr dafür bieten, dass eine derartige Gefährdung künftig auszuschließen sein wird (vgl. die auch für die dargestellte Rechtslage sinngemäß anwendbare Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, etwa , Pkt. 2. der Entscheidungsgründe).

9 Der Revisionswerber übersieht bei seiner gegenteiligen Argumentation, dass es sich bei einem Aufenthaltsverbot nicht um eine Strafe handelt und dem Fremden auch kein Verschulden an der von ihm ausgehenden Gefährdung angelastet werden muss (vgl. dazu , mwN). Der Prognose einer vom Fremden ausgehenden Gefahr steht somit nicht entgegen, dass die Gefährlichkeit auf eine Krankheit zurückzuführen ist (vgl. , Pkt. II., mwN). Vielmehr hat der Gesetzgeber sogar die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch wegen Tathandlungen vorgesehen, die im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen wurden und zu einer Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher geführt haben (vgl. nunmehr § 53 Abs. 6 FPG und zum bloß klarstellenden Charakter dieser schon in Vorgängerregelungen enthaltenen Anordnung , mwN). Der dadurch zum Ausdruck kommende Grundsatz gilt auch in den Fällen des § 67 Abs. 1 FPG.

10 Auch bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt für Differenzierungen bei der Gefährlichkeitsprognose für den Fall, dass ein Fremder gemäß dem UbG untergebracht ist (vgl. in diesem Sinn neuerlich § 53 Abs. 6 FPG betreffend den Vollzug von Maßnahmen nach § 21 StGB).

11 Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der notwendigen Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. dazu etwa ; , Rn. 9; , Rn. 8, und , insbesondere Rn. 6, jeweils mwN).

12 Das BVwG hat zum persönlichen Verhalten des Revisionswerbers keine Feststellungen getroffen, sondern sich auf die (in Rn. 3 wiedergegebene) zusammenfassende Bezeichnung ihm gegenüber erfolgter strafgerichtlicher Verurteilungen beschränkt. Das ist nach der eben dargestellten Judikatur nicht ausreichend, zumal die - teilweise sehr lang zurückliegenden - Delikte nicht schon für sich genommen jedenfalls und zwingend eine solche Schwere aufweisen, dass sie die erwähnte hohe Gefährdungsprognose des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG rechtfertigen würden (vgl. dazu etwa Panagiotis Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40 und 50).

13 Diese Überlegung gilt umso mehr hinsichtlich des (in Rn. 3 beschriebenen, nach Verneinung der Zurechnungsfähigkeit strafrechtlich nicht weiter verfolgten) Vorwurfs sexueller Belästigung (vorläufig qualifiziert nach § 218 Abs. 1 StGB) "von August 2017", wobei das BVwG gänzlich ungeprüft gelassen hat, ob und welche Verhaltensweisen der Revisionswerber tatsächlich konkret gesetzt hatte.

Dazu ist anzumerken, dass zu diesem Themenkreis bereits unterschiedliche Beweisergebnisse vorliegen. Etwa beschreibt der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Univ. Doz. Dr. D. in seinem Gutachten vom zusammengefasst mehrere ihm bekannt gewordene, gegen den Revisionswerber erhobene Vorwürfe sexueller Belästigungen (zwischen April und August 2017). Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. B. nimmt in seinem Gutachten vom Bezug auf ein ihm vorliegendes polizeiamtsärztliches Gutachten und spricht dabei mit "wiederholter Fremdgefährdung und Vergewaltigungsversuchen bei bekannter HIV-Infektion" eine noch weit höhere Gefährdung an. Der Revisionswerber hat die entsprechenden Vorwürfe (etwa bei seiner niederschriftlichen Befragung vor dem BFA am oder der Befundaufnahme zum eben erwähnten Gutachten vom ) zum überwiegenden Teil bestritten.

Zwar spricht nichts dagegen, das Vorliegen eines Verhaltens, das nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, selbständig zu prüfen und auf Basis entsprechender Feststellungen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen. Allerdings erfordert dies in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffene Feststellungen, die bislang fehlen (vgl. dazu etwa , und , Rn. 15, mwN).

Überdies bedürfte es klarer und aktueller Feststellungen zu der aus den psychischen Erkrankungen des Revisionswerbers resultierenden Gefährlichkeit, wozu - jedenfalls partiell - bereits Äußerungen von psychiatrischen Sachverständigen vorliegen (siehe oben).

14 Auch die Sprachkenntnisse des Revisionswerbers wurden vom BVwG nur unzureichend geprüft: Das BFA stellte (auf Seiten 15 und 41 des vor dem BVwG bekämpften Bescheides) fest, der (im Alter von acht Jahren mit seinen tschechischen Eltern von Tschechien nach Österreich eingereiste) Revisionswerber beherrsche sowohl die deutsche als auch die tschechische Sprache. Letzteres kann, neben einem Gedächtnisprotokoll vom , aus seiner eben erwähnten niederschriftlichen Befragung vom abgeleitet werden, wird dort doch "eine Unterhaltung mit der Dolmetscherin auf Tschechisch" beschrieben.

Das BVwG folgt dagegen, allerdings ohne jede Begründung, generalisierend der Einschätzung des dem Revisionswerber beigegebenen österreichischen Sachwalters, der bei einer niederschriftlichen Befragung am meinte: "Er spricht ab und zu auf Tschechisch, aber nur einzelne Worte. Ich denke, er spricht lediglich Brocken der tschechischen Sprache."

15 Was die Interessenabwägung anlangt, weist die Revision zutreffend darauf hin, dass die Therapierbarkeit der erwähnten - zu einem erheblichen Teil dem psychiatrischen Formenkreis zuzuordnenden - Erkrankungen in Tschechien unter Berücksichtigung der vom BVwG festgestellten nahezu fehlenden Kenntnisse des Revisionswerbers von der tschechischen Sprache nicht ausreichend geprüft wurde.

Ebenso wären präzise Feststellungen geboten, aus denen die Betreuungssituation in Tschechien (etwa in einer bestimmten Einrichtung) angesichts der Vielzahl der nebeneinander zu therapierenden Erkrankungen des Revisionswerbers konkret gefolgert werden kann. Dabei wäre auch, wie die Revision hervorhebt, auf die Vertretung bei der Beantragung von Sozialleistungen sowie auf die (als Folge der langen Abwesenheit vom Heimatstaat) geltend gemachte Entfremdung für den Fall einer Rückkehr einzugehen gewesen. Auch fehlt eine schlüssige Begründung für die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes.

16 Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Zwar kann - worauf sich das BVwG gestützt hat - nach § 21 Abs. 7 BFA-VG trotz Vorliegens eines darauf gerichteten Antrages von der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung abgesehen werden, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der genannten Bestimmung kann allerdings bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa , Rn. 7, mwN).

17 Ein eindeutiger Fall im Sinn dieser Judikatur liegt hier allerdings nach dem Gesagten nicht vor. Dazu kommen die aufgezeigten strittigen Themen, zu denen (mängelfrei getroffene) Feststellungen bislang fehlen.

Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb (ohne dass auf weiters geltend gemachte Verletzungen des rechtlichen Gehörs im Zuge des bisherigen Verfahrens eingegangen werden musste) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210081.L00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Parteiengehör

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