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VwGH vom 13.11.2018, Ra 2018/21/0064

VwGH vom 13.11.2018, Ra 2018/21/0064

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des A Y, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts Zl. W174 2189426-1/37Z, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt A.II.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Über den Revisionswerber, einen Staatsangehörigen Nigerias, wurde mit sogleich in Vollzug gesetztem Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhobenen Beschwerde statt, indem es aussprach, dass der Bescheid "ersatzlos behoben" werde, und die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft für rechtswidrig erklärte (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG stellte es fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Anhaltung maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Mit Spruchpunkt A.III. verpflichtete es den Bund zum Aufwandersatz gegenüber dem Revisionswerber.

3 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich - dar, dass der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom vollumfänglich abgewiesen worden sei; gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 sei das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückverwiesen worden. Dieses habe mit Bescheid vom insbesondere einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei, und gemäß § 53 Abs. 2 Z 6 FPG ein vierjähriges Einreiseverbot verhängt. Der Bescheid sei dem Revisionswerber nach einem erfolglosen Zustellversuch vom schließlich am mittels Hinterlegung bei der "Zustellbasis" seiner Wohnsitzadresse rechtswirksam zugestellt worden und mit Ablauf des in Rechtskraft erwachsen.

4 Das BFA habe die Anordnung der Schubhaft erkennbar auf § 76 Abs. 3 Z 1, 2 und 9 FPG gestützt. Allerdings lägen die Voraussetzungen der Z 2 nicht vor: Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist sei; der Bescheid des BFA vom betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot sei ihm nämlich erst am zugestellt worden und am in Rechtskraft erwachsen, sodass erst ab diesem Zeitpunkt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorgelegen sei. Dass der Revisionswerber aber erst nach dem in das Bundesgebiet eingereist sei, habe nicht festgestellt werden können. Der Schubhaftbescheid sei schon aus diesem Grund zu beheben und die darauf gestützte Anhaltung für rechtswidrig zu erklären gewesen.

5 Die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft lägen jedoch vor. Beim Revisionswerber liege auf Grund seines bisherigen Verhaltens, insbesondere der jahrelangen Verwendung mehrerer Identitäten und der nach wie vor mangelnden Kooperationsbereitschaft Fluchtgefahr vor. Auch fehle eine maßgebliche familiäre bzw. soziale Verankerung in Österreich. Für die Durchsetzung der Rückkehrentscheidung sei die Anwesenheit des Revisionswerbers notwendige Voraussetzung. Er verfüge weder über substantielle soziale Anknüpfungspunkte noch über ausreichende eigene Geldmittel für seinen weiteren Aufenthalt bis zum bereits für den festgesetzten Abschiebetermin. Im Ermittlungsverfahren seien keine Gründe hervorgekommen, die es nahelegen würden, dass sie den Revisionswerber davon abhalten würden, sich der Abschiebung durch erneutes Untertauchen zu entziehen bzw. sie weiterhin zu verschleppen. Es bestünden daher eine erhebliche Fluchtgefahr und eine hohes staatliches Interesse an der Sicherstellung der Abschiebung. Es erscheine auch "wegen der oftmals nicht gegebenen Bereitschaft freiwillig und zeitnahe zu rechtskräftig gewordenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen das Bundesgebiet auch tatsächlich zu verlassen" umso mehr geboten, bereits durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahmen konsequent umzusetzen.

6 Zur rechtswirksamen Zustellung des Bescheides betreffend die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass für den Revisionswerber die Verpflichtung bestanden habe, eine Änderung seiner Abgabestelle während des auf seinen Antrag eingeleiteten und nach Erhebung von Rechtsmitteln weiterhin laufenden Asylverfahrens unverzüglich mitzuteilen. Im Übrigen müsse eine rechtswirksame Zustellung nicht tatsächliche Kenntnis verschaffen. Die Abgabestelle ändere nur, wer sie dauernd verlege bzw. dauerhaft wegen Obdachlosigkeit aufgebe. Hierfür hätten jedoch auf Grund der vom BFA vorgenommenen, aus den Verwaltungsakten ersichtlichen Ermittlungen keine Anhaltspunkte bestanden. Infolge der vom Revisionswerber unterlassenen Mitteilung über die Änderung bzw. Aufgabe seiner Abgabestelle während des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens sei der Bescheid des BFA vom an der zu diesem Zeitpunkt aufrechten Meldeadresse mittels Hinterlegung rechtwirksam zugestellt worden.

7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Gegen Spruchpunkt A.II. dieses Erkenntnisses (betreffend den Fortsetzungsausspruch gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG) richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

8 Der Revisionswerber macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es von einer rechtswirksamen Zustellung des Bescheides des BFA vom und damit von einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung ausgegangen sei.

9 Dies trifft zu, weshalb sich die Revision als zulässig erweist.

10 Gemäß § 2 Z 4 ZustG stellt (u.a.) die Wohnung eine Abgabestelle dar, an der ein Dokument gemäß § 13 Abs. 1 ZustG dem Empfänger zugestellt werden darf. Unter einer Wohnung im genannten Sinn ist jede Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also tatsächlich wohnt. Der dazu erforderliche regelmäßige Aufenthalt des Empfängers in seiner Wohnung ist dabei nach objektiven Gesichtspunkten ex post und ohne Rücksicht darauf zu beurteilen, wie sich die Verhältnisse dem Zustellorgan seinerzeit subjektiv geboten haben sowie ohne Rücksicht auf die Absichten des Empfängers. Die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle geht (erst) verloren, wenn die Nahebeziehung des Empfängers zu ihm auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum erlischt, dass nach den Gepflogenheiten des Lebens das Warten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar ist (vgl. etwa , mwN).

11 Die (versuchte) Zustellung des Bescheides des BFA vom ist an die Adresse der früheren Lebensgefährtin des Revisionswerbers erfolgt, an der er noch bis zum gemeldet war. Der Revisionswerber hat allerdings schon in der Schubhaftbeschwerde vorgebracht, dass er erst am aus Italien kommend wieder nach Österreich eingereist sei und dann mit seiner nunmehrigen Freundin in zwei näher bezeichneten Hotels in Niederösterreich und Wien gewohnt habe, bis sie Ende Jänner in ihre neue Wohnung in Wien gezogen seien. In den Verwaltungsakten des BFA findet sich zudem ein Erhebungsbericht aus dem September 2017, wonach sich der Revisionswerber an seiner Meldeadresse nicht mehr aufhalte, sondern (nach den Angaben seiner früheren Lebensgefährtin) schon ca. drei Monate zuvor nach Italien verzogen sei.

12 Angesichts dessen kann - auch wenn das BFA die Ausreise nach Italien in der Begründung seines Bescheides vom nicht für glaubwürdig erachtete - entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts keine Rede davon sein, dass auf Grund der aus den Verwaltungsakten ersichtlichen Ermittlungen keine Anhaltspunkte für eine Aufgabe oder Änderung der Abgabestelle bestanden hätten. Vielmehr spricht der genannte Erhebungsbericht in Verbindung mit den eigenen Angaben des Revisionswerbers dafür, dass er zum Zeitpunkt des Zustellversuchs am und der Hinterlegung am den regelmäßigen Aufenthalt an seiner Meldeadresse aufgegeben hatte und die betreffende Wohnung daher nicht mehr als Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG in Betracht kam (vgl. zur bloßen Indizwirkung von Eintragungen im Zentralen Melderegister ).

13 Nach § 8 Abs. 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs. 2 ZustG, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

14 Diese Regelung hatte das Bundesverwaltungsgericht offenbar im Auge, soweit es darauf verwies, dass der Revisionswerber eine Mitteilung über die Änderung bzw. Aufgabe seiner Abgabestelle während des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens unterlassen habe. Für die Anordnung oder Vornahme einer Zustellung iSd § 8 Abs. 2 (iVm § 23) ZustG gibt es im vorliegenden Fall aber anhand der vorgelegten Akten keinerlei Hinweise (vgl. zu einem solchen Fall auch das bereits genannte Erkenntnis ).

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zwar auch schon ausgesprochen, dass die Partei mit der Unterlassung der ihr obliegenden Mitteilung der Änderung der Abgabestelle die Gefahr trägt, dass die Behörde diese Änderung nicht erkennen und die Zustellung an der bisherigen Abgabestelle bewirkt werden kann, gleichgültig, wo sich die Partei tatsächlich aufgehalten hat und welche Abgabestelle für sie zu diesem Zeitpunkt sonst in Betracht gekommen wäre (vgl. etwa , mwN). Diese auch vom Obersten Gerichtshof übernommene Rechtsprechung betrifft allerdings nur jene Fälle, in denen die Behörde bzw. das Gericht von der Änderung bzw. Aufgabe der Abgabestelle keine Kenntnis erlangt und sich daher zu Nachforschungen über die Abgabestelle des Empfängers iSd § 8 Abs. 2 ZustG von vornherein nicht veranlasst sehen kann (vgl. ). Im vorliegenden Fall ist demgegenüber in den Verwaltungsakten dokumentiert, dass das BFA von sich aus Zweifel am Weiterbestehen der Abgabestelle hegte; dies hätte - obwohl der Rückschein nur den für sich genommen auf keine Aufgabe der Abgabestelle hinweisenden Vermerk "nicht behoben" enthielt - zu weiteren Nachforschungen und gegebenenfalls - mangels ohne Schwierigkeiten feststellbarer neuer Abgabestelle - zu einer Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustG führen müssen.

16 Das Bundesverwaltungsgericht durfte daher - jedenfalls ohne nähere Auseinandersetzung mit den Angaben des Revisionswerbers hinsichtlich der Aufgabe seiner Wohnung - nicht von einer rechtswirksamen Zustellung des Bescheides des BFA vom betreffend (insbesondere) Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot ausgehen.

17 Da aber die Bejahung der Voraussetzungen der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung durch das Bundesverwaltungsgericht - insbesondere unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten - tragend darauf gestützt wurde, dass eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorgelegen sei, erweist sich der Fortsetzungsausspruch schon aus diesem Grund als rechtswidrig.

18 Das in Revision gezogene Erkenntnis war daher im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210064.L00.1
Schlagworte:
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

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