VwGH vom 29.05.2018, Ra 2018/21/0060

VwGH vom 29.05.2018, Ra 2018/21/0060

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W197 2186650-1/8E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: H J, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, Wattgasse 48), zu Recht erkannt:

Spruch

Das bekämpfte Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkte A I. bis III.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte ist chinesische Staatsangehörige. Sie war in Österreich nicht gemeldet und wurde am als "Arbeitskraft" in einem Chinarestaurant betreten und in der Folge festgenommen.

2 Im Zuge ihrer nachfolgenden niederschriftlichen Einvernahme gab die Mitbeteiligte an, zuletzt kurz vor Weihnachten 2017 "zu ihrem Freund" nach Österreich gekommen zu sein; sie besitze einen polnischen Aufenthaltstitel, den sie jedoch "zusammen" mit ihrem Reisepass verloren habe. (Via Smartphone präsentierte die Mitbeteiligte jedoch Fotografien - insbesondere - ihres chinesischen Reisepasses und eines bis gültigen polnischen Aufenthaltstitels.)

3 Mit Mandatsbescheid vom verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sodann gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG über die Mitbeteiligte Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Sicherung der Abschiebung. Dem lag insbesondere die Annahme zu Grunde, es sei im vorliegenden Fall der Fluchtgefahrstatbestand nach § 76 Abs. 3 Z 9 FPG verwirklicht und es bestehe ein beträchtliches Risiko "des Untertauchens".

4 Mit weiterem Bescheid vom sprach das BFA aus, dass der Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde; unter einem erließ das BFA gegen die Mitbeteiligte gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 und 7 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach China zulässig sei und hielt fest, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde. Schließlich erkannte es gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung ab.

5 Die Mitbeteiligte erhob gegen beide Bescheide jeweils Beschwerde.

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen den Schubhaftbescheid (sowie "gegen die Anhaltung in Schubhaft seit dem ") erhobenen Beschwerde statt - über die Beschwerde gegen Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgesprochen worden - und erklärte die Anhaltung der Mitbeteiligten "vom , 18.00 Uhr bis zur Entlassung" für rechtswidrig (Spruchpunkt A I.). Außerdem stellte es gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorlägen (Spruchpunkt A II.), verpflichtete den Bund zum Aufwandersatz an die Mitbeteiligte (Spruchpunkt A III.) und wies deren Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr als unzulässig zurück (Spruchpunkt A IV.). Außerdem sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Über die gegen die Spruchpunkte A I. bis III. dieses Erkenntnisses erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

8 Das BFA begründet die Zulässigkeit der von ihm erhobenen Revision insbesondere damit, dass das angefochtene Erkenntnis keine taugliche Begründung aufweise. Damit ist das BFA, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, im Recht, weshalb sich seine Revision als zulässig und berechtigt erweist.

9 Zunächst ist zu konstatieren, dass sich das angefochtene Erkenntnis im Rahmen seines Abschnittes "Feststellungen" überwiegend damit begnügt, Aussagen darüber zu machen, was alles nicht festgestellt (oder nicht ausgeschlossen) werden könne. So heißt es dort insbesondere:

"Nicht festgestellt werden kann, ob die (Mitbeteiligte) ausreichend Barmittel zu ihrem Unterhalt im Bundesgebiet hat. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass die (Mitbeteiligte) im Bundesgebiet eine ihr bis zur Ausreise freiwillig zur Verfügung gestellte Wohnmöglichkeit besitzt.

Nicht festgestellt werden kann, dass die (Mitbeteiligte) mit den Behörden nicht kooperieren will. Nicht festgestellt werden kann, dass die (Mitbeteiligte) mit ihrem Reisepass und dem polnischen Visum nicht freiwillig nach Polen ausreisen kann und dass sie es ablehnen würde, dorthin auszureisen.

Nicht festgestellt werden kann, dass sich die (Mitbeteiligte) jemals den Behörden entzogen hat oder am Verfahren nicht mitgewirkt hat."

10 Aussagen zu treffen, etwas könne nicht festgestellt werden, ist allerdings im Allgemeinen nicht die Aufgabe eines Verwaltungsgerichtes. Vielmehr hat es - unter Bedachtnahme auf das im Grunde des § 17 VwGVG auch für die Verwaltungsgerichte maßgebliche Prinzip der Amtswegigkeit (vgl. nur , VwSlg. 18886 A, Punkt II. B 2.5.2. der Entscheidungsgründe) - regelmäßig ein Ermittlungsverfahren zu führen und nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel in seiner Entscheidung zu den fallbezogen wesentlichen Sachverhaltsfragen eindeutig Stellung zu nehmen. Nur wenn auch nach Durchführung eines solchen Ermittlungsverfahrens eine klare Beantwortung einer derartigen Frage nicht möglich ist (was ebenso wie das Treffen einer "positiven" Feststellung im Rahmen beweiswürdigender Erwägungen näher zu begründen wäre), kommt als Aussage allenfalls in Betracht, dass der betreffende Gesichtspunkt "nicht festgestellt werden kann".

11 Im vorliegenden Fall kann von einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren nicht die Rede sein. Insbesondere hat das BVwG von der Durchführung der von der Mitbeteiligten beantragten Beschwerdeverhandlung "wegen geklärten Sachverhalts" abgesehen, was zu dem mehrmaligen und nicht näher begründeten "nicht festgestellt werden kann, dass ..." in einem unauflösbaren Widerspruch steht (siehe insoweit ähnlich , Punkt III. 2. und 3. der Entscheidungsgründe).

12 Nachdem sich das BVwG nicht der Mühe unterzogen hat, zu den von ihm angesprochenen Sachverhaltsfragen ein (nennenswertes) Ermittlungsverfahren zu führen und sich im Wesentlichen auf die "Nichtfeststellbarkeit" für maßgeblich erachteter Tatsachen beschränkte, verwundert es nicht weiter, dass dem angefochtenen Erkenntnis auch nur rudimentär beweiswürdigende Erwägungen zu entnehmen sind. Zwar enthält das Erkenntnis einen eigenen Abschnitt "Beweiswürdigung". Die im Rahmen dieses Abschnitts erstatteten Ausführungen beschränken sich aber zum einen wesentlich auf eine Begründung dafür, weshalb die Mitbeteiligte "wenig vertrauenswürdig" sei, was zu der davor getätigten Aussage, es könne "nicht festgestellt werden", dass die Mitbeteiligte mit den Behörden nicht kooperieren wolle, in einem aufklärungsbedürftigen Spannungsverhältnis steht. Eine solche Aufklärung bietet das angefochtene Erkenntnis allerdings nicht. Vielmehr wird dann im Rahmen des Abschnitts "Rechtliche Beurteilung" die Rechtswidrigkeit der gegenständlichen Schubhaft - im Ergebnis ausschließlich - mit dem "kooperative(n) Verhalten" (iVm einer legalen Ausreisemöglichkeit) der Mitbeteiligten begründet, wofür es aber weder auf Basis des erwähnten "nicht festgestellt werden Könnens" und noch weniger in Anbetracht der angenommenen geringen Vertrauenswürdigkeit der Mitbeteiligten eine Grundlage gibt. Auch insoweit ist das angefochtene Erkenntnis daher in sich widersprüchlich.

13 Zum anderen wird im Abschnitt "Beweiswürdigung" eingeräumt, dass angesichts des bisherigen Verhaltens der Mitbeteiligten (wobei offenbar an die Überlegungen zu deren mangelnder "Vertrauenswürdigkeit" angeknüpft wird) die vom BFA angenommene Fluchtgefahr "jedenfalls nicht denkunmöglich" sei; im Hinblick "auf die gestrenge Judikatur des Senats 21 des Verwaltungsgerichtshofs" reiche der vorliegende Sachverhalt jedoch nicht zur Schubhaftverhängung aus.

14 Überlegungen, warum ein Sachverhaltselement für gegeben oder für nicht gegeben angesehen werde - was Thema einer Beweiswürdigung zu sein hätte -, können darin nicht erblickt werden. Soweit es sich, der Sache nach, dabei aber um eine rechtliche Schlussfolgerung handelt, ist zu betonen, dass der Verweis auf "gestrenge Judikatur des Senats 21 des Verwaltungsgerichtshofs" - was erkennbar als Kritik an freilich nicht näher dargestellter Rechtsprechung des Gerichtshofes zu verstehen ist - für sich betrachtet keinen Aussagewert hat und die - gebotene - fallbezogene Behandlung der Beschwerdesache am Boden zu treffender Feststellungen und vor dem Hintergrund der maßgeblichen Rechtslage nicht ersetzen kann (vgl. dazu auch , Rn. 17).

15 In diesem Zusammenhang ist dann noch darauf hinzuweisen, dass sich die Mitbeteiligte, die nach ihren, vom BVwG nicht in Zweifel gezogenen Behauptungen (siehe oben Rn. 9) über einen polnischen Aufenthaltstitel verfügt, im Hinblick auf die von ihr in der Schubhaftbeschwerde selbst zugestandene Ausübung von "Schwarzarbeit" nichtsdestotrotz jedenfalls unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (, VwSlg. 19244 A). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot kam ungeachtet dessen nur nach Maßgabe des § 52 Abs. 6 FPG in Frage (siehe dazu zuletzt , Rn. 14 f), was vor dem Hintergrund des der gegenständlichen Schubhaft zu Grunde liegenden Sicherungszwecks auch im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist. Darauf wäre daher - zumal vor dem Hintergrund der dies thematisierenden Beschwerden der Mitbeteiligten und weil die vom BFA gleichfalls am verhängte Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) noch nicht rechtskräftig war - einzugehen gewesen. Das hat das BVwG unterlassen, weshalb die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses auch insofern mangelhaft ist.

16 Das angefochtene Erkenntnis war somit im Hinblick auf seine mehrfachen wesentlichen Begründungsmängel im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210060.L00
Schlagworte:
Verfahrensbestimmungen Befangenheit offenbare Unrichtigkeiten Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht

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