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VwGH vom 22.09.2011, 2010/18/0177

VwGH vom 22.09.2011, 2010/18/0177

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des AB, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/72.768/2010, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Guinea, vom auf Aufhebung des "Rückkehrverbotes" gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab.

Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass sie gegen den Beschwerdeführer mit Berufungsbescheid vom ein unbefristetes Rückkehrverbot erlassen habe, weil er im April 2002 und nochmals im Februar 2004 jeweils wegen Suchtgiftdelikten zunächst zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten und im Wiederholungsfall zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt worden sei.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom sei das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ entschieden worden, und er sei in der Folge gemäß § 53 Abs. 1 FPG rechtskräftig aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Ein Antrag des Beschwerdeführers vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei abgewiesen worden.

Mit Schreiben vom habe der Beschwerdeführer die Aufhebung des gegenständlichen "Rückkehrverbotes" beantragt und dies damit begründet, dass er sich seit seiner letzten Verurteilung im Februar 2004 nichts mehr zu Schulden habe kommen lassen, in Wien adoptiert worden sei und seit Anfang 2008 in Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin lebe. Er habe mehrere Deutsch- und sonstige Fortbildungskurse besucht und arbeite seit 2003 fast durchgehend.

In seiner Berufung habe er geltend gemacht, dass er am seine Lebensgefährtin geheiratet habe. Dieser Beziehung entstamme die minderjährige, am geborene Tochter, und seine Ehefrau erwarte am das zweite gemeinsame Kind.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei "Familienangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG, weil er Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin sei. Daher seien - im Sinn des § 87 FPG - § 85 Abs. 2 und § 86 leg. cit. anzuwenden. Der Beschwerdeführer sei allerdings kein "begünstigter Drittstaatsangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG, weil seine Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe; solches sei nämlich weder aus dem bisherigen Akteninhalt noch aus dem Berufungsvorbringen zu erkennen. Die Sicherheitsdirektion sei daher gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG zur Entscheidung über die vorliegende Berufung zuständig.

In weiterer Folge begründete die belangte Behörde, dass die Aufrechterhaltung des "Rückkehrverbotes" im Sinn des § 62 Abs. 1 iVm Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG gerechtfertigt sei und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Aufhebung des "Rückkehrverbotes" (§ 66 FPG).

II.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Zunächst ist festzuhalten, dass das gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrverbot gemäß § 62 Abs. 4 FPG im Hinblick darauf, dass sein Asylverfahren negativ entschieden und er - unbestritten - rechtskräftig aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde, das Rückkehrverbot somit durchsetzbar ist, als Aufenthaltsverbot gilt.

Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Berufungsentscheidung durch die belangte Behörde und bringt diesbezüglich vor, seine Ehefrau habe wiederholt von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht. In ihrer Funktion als Mitarbeiterin einer Importfirma habe sie die Warenverkehrsfreizügigkeit in Anspruch genommen, die sich jeweils auch auf die im grenzüberschreitenden Warenverkehr tätigen Personen erstrecke. Als Studentin habe sie einen Sprachkurs in B absolviert und an einem Kurs für Malerei an einem Universitätsinstitut teilgenommen. Die Wahrnehmung studentischer Freizügigkeit stelle jedenfalls eine Wahrnehmung der Freizügigkeit im Sinn des Unionsrechts dar. Schließlich habe sie insgesamt drei Monate für einen französischen Arbeitgeber gegen Entgelt in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union gearbeitet. Unter diesen Umständen könne ungeklärt bleiben, ob durch die Erwerbstätigkeit im S nicht auch noch ein weiteres Element der Freizügigkeit verwirklicht worden sei (zur möglichen Freizügigkeitsrelevanz des AKP-Abkommens verweist der Beschwerdeführer auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Camar Srl.). Somit stehe fest, dass die falsche Behörde über die Berufung entschieden habe, nämlich die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien anstatt des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien.

Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Der Beschwerdeführer hat bereits in der Berufung mitgeteilt, dass er am Tag der Verfassung des Berufungsschriftsatzes seine (österreichische) Lebensgefährtin geheiratet habe. Obwohl die Bundespolizeidirektion Wien - worauf die Beschwerde ausdrücklich hinweist - den Beschwerdeführer am zur Sicherung des Verfahrens gemäß § 46 FPG vernommen hat, hat sie dabei keinerlei Erhebungen durchgeführt, ob seine Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Die belangte Behörde hat diesbezüglich auch keine anderen Ermittlungen getätigt. Wenn sie im angefochtenen Bescheid ausführt, der Beschwerdeführer sei kein "begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG", weil aus dem bisherigen Akteninhalt kein Freizügigkeitssachverhalt seiner Ehefrau hervorgehe, greift diese Begründung insofern zu kurz, als sie nach ständiger hg. Rechtsprechung ihre Unzuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens, auch wenn dies von der Partei nicht geltend gemacht wurde, wahrzunehmen hat (vgl. die in Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) § 6 AVG E 4 zitierte hg. Judikatur). Der Beschwerdeführer hat erst nach Erlassen des erstinstanzlichen Bescheides geheiratet und dies in der Berufung vorgebracht. Ausgehend davon hätte die belangte Behörde eine allfällige Inanspruchnahme des gemeinschaftlichen Freizügigkeitsrechts durch seine Ehefrau und damit ihre Zuständigkeit von Amts wegen prüfen müssen. Da die belangte Behörde zu jenen Feststellungen, die das Nichtausüben der Freizügigkeit durch die Ehefrau des Beschwerdeführers zum Gegenstand haben, kein Parteiengehör eingeräumt hat, verstößt das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende Neuerungsverbot.

Indem die belangte Behörde dies unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weil nicht auszuschließen ist, dass sie bei Durchführung eines mängelfreien Verfahrens zum Ergebnis gekommen wäre, dass der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger ist und der Sicherheitsdirektion daher nicht die Zuständigkeit zur Berufungsentscheidung zukommt. Diesfalls hätte die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 AVG an den unabhängigen Verwaltungssenat weiterzuleiten gehabt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0004).

Der angefochtene Bescheid war daher - ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien,am

Fundstelle(n):
TAAAE-80161