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VwGH vom 25.11.2010, 2008/16/0070

VwGH vom 25.11.2010, 2008/16/0070

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Mag. Alexandra Doytchinova, Rechtsanwältin in 1014 Wien, Tuchlauben 17, diese vertreten durch Dr. Christine Wolf, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Bräuhausgasse 63/7-8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. FSRV/0107-W/07, betreffend Beigabe eines Verteidigers nach § 77 Abs. 3 FinStrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Erkenntnis des Zollamtes Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz vom wurde die Beschwerdeführerin der vorsätzlichen Abgaben- und Monopolhehlerei nach § 37 Abs. 1 lit. a und § 46 Abs. 1 lit. a FinStrG für schuldig erkannt, weil sie im Zeitraum Jänner 2005 bis Dezember 2006 im Bereich des Zollamtes Wien vorsätzlich 80.000 Stück Zigaretten der Marke "M. C."

drittländischer Herkunft, hinsichtlich derer zuvor von unbekannten Tätern die Finanzvergehen des Schmuggels und des vorsätzlichen Eingriffes in das Tabakmonopol begangen worden seien, an sich gebracht habe. Über die Beschwerdeführerin wurde eine Geldstrafe von EUR 8.000 (Ersatzfreiheitsstrafe 16 Tage) verhängt. Weiters wurde die Strafe des Wertersatzes mit EUR 13.586 (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) ausgesprochen. Die Kosten des Strafverfahrens wurden mit EUR 363 bestimmt. Bei einer freiwilligen Nachschau in der Wohnung ihres Vaters seien zwar keine Zigaretten drittländischer Herkunft gefunden worden, die Beschwerdeführerin habe aber dabei selbst angegeben, seit zwei Jahren wöchentlich vier Stangen Zigaretten der der Marke "M. C."

am Schwarzmarkt zu kaufen. Dies habe sie bei einer zweiten niederschriftlichen Einvernahme wiederholt.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, diese Aussagen unter Stress getätigt zu haben. Sie habe diese Aussagen auch bei der Verhandlung vor dem Spruchsenat zurückgezogen. Im Übrigen beantrage sie "die Gewährung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang".

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Verfahrenshilfe abgewiesen. Die belangte Behörde führte begründend aus, gemäß § 77 Abs. 3 FinStrG sei ein Pflichtverteidiger nur beizustellen, soweit dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich sei. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob eine materiell-rechtliche Komplexität wegen diffiziler Rechtsfragen oder eine verfahrensrechtliche Komplexität wegen einem umfangreichen Beweis- und Ermittlungsverfahrens im Interesse der Rechtspflege die Beigabe eines Pflichtverteidigers erfordere.

Im gegenständlichen Fall sei lediglich unter Berücksichtigung der geständigen Aussagen der Beschwerdeführerin zu prüfen, ob sie das ihr zum Vorwurf gemachte Finanzvergehen im Zeitraum Jänner 2005 bis Dezember 2006 begangen habe. Die Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes sei aber nicht mit einer verfahrensrechtlichen Komplexität im Hinblick auf die Notwendigkeit eines besonders umfangreichen Beweis- und Ermittlungsverfahrens verbunden. Hiezu bedürfe es lediglich der Würdigung der Beweisführung vor der Finanzstrafbehörde erster Instanz, die allenfalls im Rechtsmittelverfahren zu ergänzen wäre, ohne dass besondere Schwierigkeiten verfahrensrechtlicher Art, die eine verfahrensrechtliche Komplexität darstellen würden, zu gewärtigen seien. Daher habe auch die Beurteilung der Frage entfallen können, ob die Beschwerdeführerin außer Stande sei, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen habe, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Verteidigung zu tragen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Sie erachtet sich in ihrem "Recht auf Beigebung eines Rechtsanwaltes im Rahmen der Verfahrenshilfe gemäß § 77 Abs. 3 FinStrG" verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ist in Verfahren, in denen die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses gemäß § 58 Abs. 2 FinStrG einem Spruchsenat obliegt, der Beschuldigte außer Stande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat nach § 77 Abs. 3 FinStrG die Finanzstrafbehörde auf Antrag des Beschuldigten, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist, dem Beschuldigten für das gesamte Verfahren oder für einzelne Verfahrenshandlungen einen Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er nicht zu tragen hat.

Abgabenhehlerei wird nach § 37 Abs. 2 FinStrG mit einer Geldstrafe bis zum Zweifachen des Verkürzungsbetrages an Verbrauchsteuern oder an Eingangs- oder Ausgangsabgaben geahndet, die auf die verhehlten Sachen oder die Sachen, die in den verhehlten Erzeugnissen enthalten sind, entfallen. Neben der Geldstrafe ist nach Maßgabe des § 15 FinStrG auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu erkennen. Überdies ist auf Verfall nach Maßgabe des § 17 FinStrG zu erkennen.

Monopolhehlerei wird nach § 46 Abs. 2 FinStrG mit einer Geldstrafe bis zum Einfachen der Bemessungsgrundlage (§ 44 Abs. 2 FinStrG) geahndet. Überdies ist auf Verfall nach Maßgabe des § 17 FinStrG zu erkennen.

Statt auf Verfall ist nach § 19 Abs. 1 lit. a FinStrG auf die Strafe des Wertersatzes zu erkennen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung feststeht, dass der Verfall unvollziehbar wäre. Die Höhe des Wertersatzes entspricht nach Abs. 3 leg. cit. dem gemeinen Wert, den die dem Verfall unterliegenden Gegenstände im Zeitpunkt der Begehung des Finanzvergehens hatten; ist dieser Zeitpunkt nicht feststellbar, so ist der Zeitpunkt der Aufdeckung des Finanzvergehens maßgebend.

Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 161/94, ist Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK auf ein Finanzvergehen im Sinne des FinStrG anwendbar. Dieser Bestimmung zufolge hat jeder Angeklagte das Recht, "falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist". Als Gründe, welche die Beigabe einer unentgeltlichen Verteidigung im "Interesse der Rechtspflege" erforderlich machen, kommen neben in der Person des Beschuldigten liegenden Gründen auch mit der Tat verknüpfte und mit dem Verfahren verbundene in Betracht. Neben der Höhe der angedrohten Strafe kann insbesondere die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie die Komplexität der Materie die Beiziehung eines Verteidigers notwendig machen (vgl. in diesem Zusammenhang auch beispielsweise die Urteile des EGMR vom , Nr. 66/1991/318/390, Pham Hoang , und vom , 23/1990/214/270, Quaranta ).

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Antrages auf Beigebung der Verfahrenshilfe ausschließlich damit begründet, dass der Beschwerdefall weder materiell-rechtliche noch verfahrensrechtliche Komplexität aufweise. Sie hat es aber unterlassen, sich mit der Frage, ob der Beschwerdeführerin eine schwer wiegende Sanktion drohte, auseinander zu setzen.

Im Beschwerdefall wurden über die Beschwerdeführerin, welche bereits im Strafverfahren angegeben hat, lediglich Notstandshilfe zu beziehen und für zwei Kinder sorgepflichtig zu sein, Strafen von insgesamt EUR 21.586 (zuzüglich Kosten von EUR 363) verhängt. Damit bewegt sich die Höhe der über die Beschwerdeführerin verhängten Strafen bzw. der ihr höchstens drohenden Strafen nicht mehr im Rahmen dessen, was der Verwaltungsgerichtshof in vergleichbaren Fällen als nicht ausschlaggebend für die Gewährung der Verfahrenshilfe angesehen hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/17/0095, vom , Zl. 2001/02/0012, und vom , Zl. 97/09/0055). Dass im Beschwerdefall Gründe vorlägen, warum diese Strafen dennoch nicht als schwer wiegend anzusehen wären, wurde von der belangte Behörde nicht festgestellt und ist auch für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich.

Indem die belangte Behörde der Höhe der Strafe keine Bedeutung beigemessen hat, hat sie die Rechtslage verkannt und ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil mit dem Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand bereits die Umsatzsteuer abgegolten wird.

Wien, am