TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 15.09.2010, 2010/18/0174

VwGH vom 15.09.2010, 2010/18/0174

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des ZW, geboren 1979, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/461.276/2009, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen chinesischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer seit über einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Schulausbildung verfügt habe. Nachdem er von österreichischen Staatsbürgern adoptiert worden sei, sei ihm zuletzt eine Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit Österreichern erteilt worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom , hinsichtlich der Strafhöhe abgeändert durch den Obersten Gerichtshof, sei der Beschwerdeführer wegen Beteiligung am Verbrechen des Mordes gemäß §§ 75 und 12 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von zwölf Jahren rechtskräftig verurteilt worden, weil er am das spätere Opfer, den Haupttäter und zwei mitverurteilte Mittäter in einem Pkw zum Tatort geführt habe, wo das Opfer durch Hiebe mit einem Beil gegen den Kopf sowie den Nacken- und Schulterbereich getötet worden sei.

Genanntes Urteil erfülle den im § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierten Sachverhalt, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 leg. cit. gegeben sei.

Der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage ledig und habe keine Sorgepflichten; familiäre Bindungen bestünden zu seinen Adoptiveltern und zwei Schwestern, mit denen er zuletzt nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Es sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er sich zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit Dritter - als dringend geboten erweise. Das Urteil des Obersten Gerichtshofes führe aus, dass die Art der Tat und deren Ausführung einen außerordentlich hohen Unrechts- und Schuldgehalt indizierten. Dies dokumentiere sich in der Planung und Verübung eines Mordes, der nach quälender Behandlung des später Getöteten im Vorfeld sodann in brutaler Art und Weise wegen finanzieller Auseinandersetzungen und Abspaltungsbestrebungen von Mitgliedern innerhalb einer Schlepperorganisation begangen worden sei, um Macht zu demonstrieren und die straffe hierarchische Führung aufrecht zu erhalten. Wer sich, wie der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - an einem derartigen Verbrechen (wenn auch in untergeordneter Rolle) beteilige, lasse seine außerordentliche Geringschätzung maßgeblicher, (nicht nur) in Österreich gültiger Rechtsvorschriften erkennen. Unter den gegebenen Umständen sei eine zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose unmöglich.

Der Beschwerdeführer lebe mit seinen Adoptiveltern im gemeinsamen Haushalt und gehe eigenen Angaben zufolge keiner legalen Beschäftigung nach. Weitere familiäre Bindungen bestünden zu zwei Schwestern, beide österreichische Staatsbürgerinnen, und deren Familien sowie zu den Kindern seiner Adoptiveltern. Alle Betroffenen seien längst volljährig. Auch die leiblichen Eltern des Beschwerdeführers lebten mittlerweile in Österreich. "Diesen Behauptungen" stehe entgegen, dass der leibliche Vater des Beschwerdeführers seit als "verzogen in Nicht-EU-Raum" abgemeldet aufscheine. Eine leibliche Schwester wohne mit der leiblichen Mutter in Graz, die andere leibliche Schwester in Salzburg. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer meine, bereits mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens im Bundesgebiet aufhältig zu sein, weil er erst seit 1996 in Österreich "aktenkundig" sei und seit über einen Aufenthaltstitel (zunächst zum Zweck des Schulbesuchs) verfügt habe. Die in der Stellungnahme vom enthaltene Behauptung, der Beschwerdeführer befinde sich in aufrechter Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und beabsichtige zu heiraten, sei mangels Konkretisierung "nicht verlässlich feststellbar" gewesen. Nach den Meldedaten bestehe eine derartige Lebensgemeinschaft jedenfalls nicht. Insgesamt seien die privaten Interessen des Beschwerdeführers keinesfalls unterzubewerten, im Hinblick auf das dargestellte, besonders schwer wiegende strafbare Verhalten könnten bei der gebotenen Interessenabwägung die dargelegten privaten Interessen des Beschwerdeführers das maßgebliche öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten und am Schutz des Lebens und an der Gesundheit Dritter keinesfalls in den Hintergrund drängen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, welche unüberwindlichen Hindernisse einer allfälligen Ausreise bzw. Heimreise des Beschwerdeführers entgegenstünden. Dass dieser - wie behauptet - die deutsche Sprache besser spreche als seine chinesische Muttersprache, widerspreche jeglicher Lebenserfahrung und sei angesichts des Umstandes, dass er offenbar erst im

17. Lebensjahr nach Österreich gekommen sei, völlig unglaubwürdig. Darüber hinaus sei er ein erwachsener, offenbar gesunder Mann im arbeitsfähigen Alter, daher sei kein Grund ersichtlich, warum ihm eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft seines Heimatstaates nicht möglich sein solle, dies auch unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass sein leiblicher Vater offenbar ebenfalls Österreich bereits verlassen habe. Allfällige, mit einer Aus- oder Heimreise verbundene Schwierigkeiten werde der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse zu tragen haben. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG als zulässig.

Ein Sachverhalt gemäß § 61 leg. cit. sei nicht gegeben. Wenn der Beschwerdeführer meine, er erfülle sämtliche Voraussetzungen im Sinn des § 10 Staatsbürgerschaftsgesetz (1985 - StbG), so genüge der Hinweis auf § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG. Abgesehen davon erfülle der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes das Erfordernis eines zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde auch keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Wenn der Beschwerdeführer geltend mache, er sei in seiner Heimat der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt und könne dort zum Tode verurteilt werden, so sei dem entgegenzuhalten, dass mit gegenständlichem Bescheid nicht darüber abgesprochen werde, in welches Land der Beschwerdeführer auszureisen habe oder er allenfalls abgeschoben werde. Darüber hinaus stünden "für die Geltendmachung des Gesagten" eigene Verfahren zur Verfügung.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zu der behaupteten Unzuständigkeit der belangten Behörde führt die Beschwerde aus, der Beschwerdeführer sei "begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 48 (1) FrG 1997". Aus den Übergangsbestimmungen des § 125 Abs. 9 iVm § 126 FPG ergebe sich, dass für die Entscheidung über das Aufenthaltsverbot ausschließlich der örtlich zuständige unabhängige Verwaltungssenat berufen sei.

Dem ist zu erwidern, dass sich weder aus der Beschwerde noch aus dem Verwaltungsakt Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die österreichischen Adoptiveltern des Beschwerdeführers ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätten und der Beschwerdeführer somit allenfalls (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) ein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG (i.d.F. BGBl. I Nr. 135/2009) sei; gegen die Zuständigkeit der belangten Behörde für die Erlassung des angefochtenen Bescheides gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG bestehen daher schon aus diesem Grund keine Bedenken (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0891, mwN).

2. Die - in der Beschwerde nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass auf Grund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, begegnet keinem Einwand.

Die Beschwerde wendet sich allerdings der Sache nach gegen die Ansicht der belangten Behörde, die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, und begründet dies im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer nur in untergeordneter Rolle als Beitragstäter tätig geworden sei, und die möglicherweise gesetzte Brutalität der Tatausführung keinesfalls Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zulasse. Seit seiner bedingten Haftentlassung am sei der Beschwerdeführer auch nicht mehr mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde die Verurteilung als Beitragstäter ohnehin berücksichtigt und zutreffend darauf hingewiesen hat, dass auch die Art der Tat (Machtdemonstration innerhalb der Schlepperorganisation wegen finanzieller Auseinandersetzungen und Abspaltungsbestrebungen zur Aufrechterhaltung der straffen hierarchischen Führung) einen außerordentlich hohen Unrechts- und Schuldgehalt indiziere, was auch durch deren Planung dokumentiert werde. Daraus schloss die belangte Behörde auf eine außerordentliche Geringschätzung maßgeblicher, nicht nur in Österreich gültiger Rechtsvorschriften. Dem Urteil des Obersten Gerichtshofes ist weiters zu entnehmen, dass von einer "untergeordneten" Tätigkeit des Beschwerdeführers nach der Aktenlage nicht ausgegangen werden könne; der Milderungsgrund der bisherigen Unbescholtenheit werde durch das teilweise selbst eingeräumte Vorleben (Mitglied einer Schlepperorganisation) substituiert. U.a. deshalb hat der Oberste Gerichtshof das Strafausmaß von ursprünglich acht Jahren auf zwölf Jahre Freiheitsstrafe angehoben. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Zeiten einer Haft bei der Beurteilung des Wohlverhaltens nicht zu berücksichtigen; der seit der Haftentlassung vergangene Zeitraum von nur etwa eineinhalb Jahren ist angesichts des massiven Fehlverhaltens zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine relevante Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen schließen zu können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0758, mwN).

Wenn die belangte Behörde angesichts der Beteiligung des Beschwerdeführers am Verbrechen des Mordes zu der Auffassung gelangt ist, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Auch das weitere Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer habe zwischenzeitlich seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im österreichischen Bundesgebiet, ist nicht zielführend. Gemäß § 61 Z. 3 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes - und nicht vor Erlassung des angefochtenen Bescheides - die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG (i.d.F. BGBl. I Nr. 124/1998) verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre u.a. wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer - unbestritten - zu einer unbedingten zwölfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weshalb § 61 Z. 3 FPG - worauf die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat -

schon aus diesem Grund der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegensteht.

3. Bei der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG (i.d.F. BGBl. I Nr. 29/2009) hat die belangte Behörde die familiären Bindungen zu seinen Adoptiveltern, mit denen er im gemeinsamen Haushalt lebt, sowie zu zwei Schwestern und deren Familien, den Kindern der Adoptiveltern und der leiblichen Mutter des Beschwerdeführers berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Den unbestrittenen Ausführungen im angefochtenen Bescheid zufolge ist der Beschwerdeführer ledig, hat keine Sorgepflichten und geht keiner legalen Beschäftigung nach. Alle Beteiligten sind volljährig.

Diesen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die oben beschriebene, sich aus seinem Fehlverhalten ergebende massive Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen und Schutz von Leben und Gesundheit anderer) dringend geboten sei, keinen Bedenken.

4. Entgegen der Beschwerdeansicht bestand für die belangte Behörde schließlich auch keine Veranlassung, im Rahmen der Ermessensübung von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen, wäre doch bei einer rechtskräftigen Verurteilung eines Fremden wegen einer im § 55 Abs. 3 Z. 1 FPG (i.d.F. BGBl. I Nr. 135/2009) angeführten strafbaren Handlung eine auf einer Ermessensübung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0537, mwN).

5. Dem Vorwurf, aus dem gegenständlichen Bescheid sei nicht ersichtlich, von welchen Feststellungen die belangte Behörde überhaupt ausgegangen sei und welchen Sachverhalt sie ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt habe, ist zu erwidern, dass der angefochtene Bescheid in ausreichender Weise erkennen lässt, von welchem Sachverhalt die belangte Behörde ausgegangen ist und aus welchen Gründen sie zu ihren Feststellungen und zu ihrer rechtlichen Beurteilung gelangt ist. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers entspricht die Begründung des angefochtenen Bescheides daher den Anforderungen des § 60 AVG.

6. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

7. Der Anspruch auf den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am